# taz.de -- Weltarbeitsorganisation zu Coronafolgen: Long Covid auf dem Arbeits… | |
> Corona hat laut ILO global über 100 Millionen Arbeitsplätze vernichtet. | |
> Betroffen sind vor allem gering Qualifizierte und Frauen im globalen | |
> Süden. | |
Bild: Weniger Jobs wohl auch auf dem Basar von Dakar, Senegal | |
GENF taz | Die Spätfolgen der Covid-19-Pandemie werden noch lange auf den | |
Arbeitsmärkten weltweit zu spüren sein – und diejenigen, die schon vor der | |
Pandemie benachteiligt waren, sind davon besonders betroffen. Das sagt die | |
[1][jährliche Beschäftigungsprognose voraus, die die Internationale | |
Arbeitsorganisation ILO] am Mittwoch in Genf vorgestellt hat. „Long Covid | |
könnte ein wirtschaftliches und soziales Phänomen werden, nicht nur ein | |
medizinisches“, warnte ILO-Generaldirektor Guy Rider. Er beobachte | |
Rückschritte in fast allen Bereichen der Arbeitswelt und befürchte noch | |
mehr Spaltung zwischen Arm und Reich, wenn nichts getan werde. | |
Wegen der Pandemie fiel 2020 weltweit jede elfte Arbeitsstunde aus, | |
zusammengerechnet ergäbe das 255 Millionen Vollzeitstellen. Während manche | |
nur vorübergehend nicht beschäftigt waren, etwa wegen Kurzarbeit, verloren | |
114 Millionen Menschen ihr Arbeit ganz. Noch einmal 30 Millionen Stellen | |
wurden wegen der Pandemie nicht geschaffen. Für 2021 rechnet die ILO mit | |
weiteren 75 Millionen, für 2022 mit 23 Millionen Arbeitslosen. | |
„Wir erwarten im zweiten Halbjahr 2021 zwar ein deutliches Wachstum an | |
Arbeitsstellen, aber das wird nicht genug sein, um den Schaden der Krise zu | |
beheben“, erklärt Ryder. Grund für die düsteren Aussichten ist einerseits | |
das Aufflammen der Pandemie in einigen Regionen, andererseits die | |
schleppende Impfkampagne in vielen Ländern. | |
Besonders dramatisch ist die Lage auf den Arbeitsmärkten Lateinamerikas und | |
der Karibik, Asien und die Pazifikregion kamen bisher am glimpflichsten | |
davon. Westeuropa liegt dazwischen, konnte vor allem wegen staatlicher | |
Unterstützungen aber mehr als vier von fünf Arbeitsverträgen erhalten. | |
## Dramatische Lage auch für Menschen mit Arbeit | |
Angesichts der [2][ungerechten Impfstoffverteilung] – 75 Prozent aller | |
bisher gegen Covid Geimpften kommen aus nur zehn Ländern – überrascht es | |
kaum, dass vom erwarteten Stellenwachstum nur wenige Staaten profitieren. | |
„Wir gehen davon aus, dass die Arbeitssituation in armen Ländern sich | |
weiter verschlechtern wird, während die Länder mit hohem Einkommen die | |
Kluft am schnellsten überwunden haben werden“, so Ryder. In armen Ländern | |
ist die Lage sogar für diejenigen, die Arbeit haben, dramatisch: 108 | |
Millionen Menschen weltweit arbeiten zwar, verdienen aber weniger als 3,20 | |
US-Dollar am Tag. | |
Mit Sorge sieht die Organisation die Zunahme selbstständiger Arbeit. Gerade | |
im globalen Süden sei dies kein sozialer Aufstieg, sondern das Gegenteil. | |
Selbstständigkeit bedeute für die meisten Betroffenen Arbeit im informellen | |
Sektor, vom Autowaschen über den Straßenverkauf bis zur Garküche am | |
Straßenrand. | |
Drei von fünf Beschäftigten weltweit, zwei Milliarden Menschen, arbeiten in | |
solchen informellen Verhältnissen. Für sie gab und gibt es im Lockdown | |
keine Unterstützung, Bankkredite ohnehin nicht. Viele informell | |
Beschäftigte sind in den vergangenen 18 Monaten pleitegegangen, andere | |
stehen vor einer ungewissen Zukunft. Pläne zum Wiederaufbau der Wirtschaft | |
müssten deshalb unbedingt den informellen Sektor einbeziehen, fordert | |
Ryder. | |
Das von der ILO errechnete globale Einkommen fiel 2020 um 8,3 Prozent, und | |
auch diese Verluste sind ungleich verteilt. Auf der [3][ganzen Welt sind | |
die Verliererinnen der Krise mehrheitlich weiblich]. Einerseits ging die | |
Beschäftigung von Frauen weltweit während der Pandemie um 5 Prozent zurück, | |
bei Männern liegt die Quote bei 3,9 Prozent. Die ILO prognostiziert zudem, | |
dass nur jede zehnte Frau auf den Arbeitsmarkt zurückkehren wird, was auch | |
daran liegt, dass die Zahl der Stunden, die Frauen unbezahlt arbeiten – | |
etwa in Haushalt und Familie –, deutlich zugenommen hat. | |
## Auch Jugendliche stark betroffen | |
ILO-Chef Ryder fürchtet, dass diese Entwicklung „antiquierte | |
Geschlechterrollen wiederbeleben“ werde. Besonders betroffen sind außerdem | |
Jugendliche, gerade dann, wenn sie während der Pandemie am Übergang | |
zwischen Ausbildung und Arbeitsleben standen. Erfahrungen zeigten, dass | |
solche Vorkommnisse die Karrieremöglichkeiten und das Lohnniveau für | |
Jahrzehnte beeinträchtigten – vorausgesetzt, die Jungen finden in der | |
Nach-Covid-Wirtschaft überhaupt Arbeit. Die Zahl junger Arbeitsloser in der | |
Pandemie ist laut ILO zweieinhalb Mal höher als die der erwachsenen; bei | |
vielen von ihnen sei vollkommen ungewiss, wann und ob sie je wieder Arbeit | |
fänden. | |
Am kommenden Montag beginnt die Internationale Arbeitskonferenz. | |
Regierungen, Arbeitgeber und Gewerkschaften werden dort auch darüber | |
sprechen, wie die Zukunft der Arbeit nach der Pandemie aussehen kann. | |
Corona habe gezeigt, wie unverzichtbar soziale Sicherungssysteme seien, | |
sagt ILO-Chef Ryder. Nur eins schließt er aus: dass die Arbeitswelt jemals | |
wieder so wie vor der Pandemie sein wird. Ob das eine gute Nachricht ist, | |
muss sich zeigen. | |
2 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ilo.org/berlin/presseinformationen/WCMS_797122/lang--de/index.h… | |
[2] /Ex-Ministerin-zu-Covid-im-Globalen-Sueden/!5767168 | |
[3] /Soziologin-ueber-Homeoffice-nach-Corona/!5775668 | |
## AUTOREN | |
Marc Engelhardt | |
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