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# taz.de -- Spätfolgen von Covid-19: Wenn Corona nicht verschwindet
> Das Gesundheitssystem ist auf eine große Zahl von
> Long-Covid-Patient:innen nicht vorbereitet. Viele Betroffene fühlen sich
> im Stich gelassen.
Bild: Ein Long-Covid-Patient beim Training in einem Reha-Zentrum
Die Infektionszahlen sinken, die Angst vor Corona rückt in den Hintergrund.
Doch es gibt viele Menschen, die sich bis heute nicht von ihrer Erkrankung
erholt haben. In der Medizin nennt man ihren Zustand Long Covid oder auch
[1][Post-Covid-Syndrom]. Ersten Studiendaten zufolge leiden rund 10 Prozent
aller Erkrankten noch Monate nach ihrer Infektion unter schweren Symptomen.
Das wären in Deutschland rund 350.000 Menschen.
Viele von ihnen sind zwischen 20 und 50 Jahre alt, weiblich, ohne
Vorerkrankungen und haben sich während der Infektion nie besonders krank
gefühlt. [2][Nun sind sie teilweise wochen- oder monatelang nicht
arbeitsfähig.] Manche werden vielleicht sogar nie in ihren Beruf
zurückkehren können. Die Auswirkungen auf das Gesundheitssystem sind noch
gar nicht absehbar, fürchten Expert:innen.
„Die Infektion der Sozialsysteme hat gerade erst begonnen“, sagt Andreas
Gonschorek, Leiter des Neurozentrums am BG Klinikum Hamburg. Außerdem steht
man bei der Definition des Post-Covid-Syndroms noch ganz am Anfang. In
Studien werden teils mehrere Hundert Symptome genannt. Die häufigsten:
ständige Müdigkeit und Erschöpfung nach geringster Belastung,
Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Geruchs- und Geschmacksverlust,
Kurzatmigkeit und Schlafstörungen. Ob es sich dabei um ein einzelnes
Krankheitsbild handelt oder um verschiedene, ist momentan ebenso unklar wie
die Ursache selbst.
Virusreste im Darm, eine fehlgeleitete Autoimmunreaktion und
Entzündungsprozesse werden als erste Erklärungsansätze genannt. Abzugrenzen
ist das Post-Covid-Syndrom von den Langzeitfolgen meist älterer Menschen,
die sich nach einem Aufenthalt [3][auf der Intensivstation nur langsam
erholen].
## Versorgungskapazitäten nicht ausreichend
[4][Von Long Covid sind auch Kinder und Jugendliche betroffen.] Uta
Behrends leitet das MRI Chronisches Fatigue Centrum für junge Menschen bis
25 Jahre an der Kinderklinik Schwabing. Die Ambulanz gab es bereits vor
Corona, auch andere Virusinfektionen wie das Pfeiffersche Drüsenfieber
können chronische Erschöpfungszustände auslösen – das Chronische Fatigue
Syndrom (CFS). Jetzt haben Behrends und ihr Team [5][das Zentrum auch für
junge Coronapatient:innen] mit Langzeitfolgen geöffnet.
„Die Versorgung dieser Patient:innen ist sehr aufwendig“, sagt die
Ärztin. „Man findet in den Untersuchungen der Organe mit Routinemethoden
häufig keine Auffälligkeiten – trotzdem sind die Patient:innen sehr
krank.“ Durch Anamnesegespräche, spezielle Untersuchungen, Blutanalysen und
verschiedene Bildgebungsverfahren würden zunächst andere mögliche Gründe
für eine Fatigue ausgeschlossen, erklärt sie. All das brauche viel Zeit, in
ihrer Ambulanz gibt es derzeit eine Warteliste.
Behrends weist darauf hin, dass die Versorgungsstruktur für Menschen mit
postinfektiöser chronischer Fatigue schon vor der Coronapandemie schlecht
war. „Wir müssen dringend ausreichend Anlaufstellen schaffen, damit nicht
zigtausend Patienten unversorgt sind“, sagt sie. [6][Die Deutsche
Gesellschaft für ME/CFS] befürchtet, dass zu den 250.000 bereits vor der
Pandemie betroffenen Menschen mit CFS noch 100.000 Fälle durch Covid-19
hinzukommen könnten.
[7][Die Initiative Long Covid Deutschland], die online Informationen über
Covid-19-Folgen bereitstellt und [8][eine der ersten Selbsthilfegruppen im
Netz] gründete, listet auf ihrer Webseite rund 50 Post-Covid-Ambulanzen
auf. Betroffene würden teilweise monatelang auf einen Termin warten und
die, die außerhalb von Ambulanzen nach Hilfe suchen, würden oft
stigmatisiert, sagt ein Mitglied der Initiative, der anonym bleiben möchte.
## Die Suche nach dem richtigen Ansprechpartner
„Das größte Problem ist immer noch, wahrgenommen und ernst genommen zu
werden“, sagt der Mann. Insbesondere wenn Betroffene angeben, nicht mehr
belastbar und ständig erschöpft zu sein, würden ihre Beschwerden oft als
psychosomatische Leiden abgetan.
Bei einer Anhörung [9][im Gesundheitsausschuss des Bundestags] hat die
Initiative kürzlich ihre Forderungen vorgebracht. Sie möchte mehr
finanzielle Mittel für die Long-Covid-Forschung, eine Plattform, auf der
sich die Betroffenen vernetzen können, und eine bessere ambulante
Versorgung bei Langzeitfolgen. Und die Initiative hat viele
Mediziner:innen auf ihrer Seite. Mehrere Fachgesellschaften arbeiten
gerade gemeinsam an einer Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Post
Covid.
Klar ist aber auch, dass diese neue Aufgabe eine zusätzliche Belastung für
die Hausärzt:innen darstellt. „Bei der Masse an Betroffenen stößt das
Gesundheitssystem in relativ kurzer Zeit an seine Grenzen“, sagt Arzt
Andreas Gonschorek, der im BG Klinikum Hamburg Patient:innen mit
Covid-19-Langzeitfolgen betreut.
Seiner Meinung nach hapert die gute Versorgung der Patient:innen daran,
dass sie oft eine Vielzahl von Symptomen haben, die unterschiedliche
Fachgebiete betreffen – worauf die Gesundheitsversorgung aber nicht
ausgelegt sei. „Da finden viele keinen Ansprechpartner oder nicht den
richtigen.“
Die BG Kliniken haben zusammen mit der Berufsgenossenschaft für
Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) ein [10][Programm für
Beschäftigte des Gesundheitswesens] gestartet, die unter
Corona-Langzeitfolgen leiden. Das Programm ist mehrgliederig. Es startet
mit einem Telefoninterview und kann je nach Bedarf um einen mehrtägigen
Krankenhausaufenthalt erweitert werden. Dort wird dann ein sogenannter Post
Covid Check durchgeführt, der in einer individuellen Behandlungsempfehlung
mündet.
Von 96.443 Anzeigen, berufsbedingt an Covid-19 erkrankt gewesen zu sein,
wurden nach Angaben der BGW bis Anfang Juni 61.493 anerkannt. „Wenn wir
schätzen, dass 5 oder 10 Prozent davon Langzeitbeschwerden haben, dann ist
das eine erhebliche Anzahl von Betroffenen“, sagt Gonschorek.
## Nächste Welle könnte Versorgungskapazität erschöpfen
Den Zulauf am BG Klinikum könne man derzeit noch gut bewältigen, auch weil
der Norden im Vergleich zu anderen Teilen Deutschlands weniger von der
Pandemie betroffen sei. „Aber wir müssen schon zusehen, dass wir unsere
Ressourcen noch effizienter nutzen und vielleicht auch ausbauen, um der
nächsten Welle Herr zu werden. Ich erwarte, dass die Zahlen in den nächsten
Monaten deutlich nach oben gehen werden.“
Und auch Uta Behrends vom Chronischen Fatigue Centrum in München betont,
[11][dass die angemessene Versorgung von Patient:innen mit CFS eine
große sozioökonomische Bedeutung hat.] „Es ist überhaupt keine Frage, ob es
zusätzliche komplex und chronisch Kranke geben wird, wenn wir die
Betroffenen nicht rechtzeitig angemessen diagnostizieren und versorgen.“
Welche Kosten dabei auf die Sozialversicherungssysteme zukommen, lässt sich
noch nicht absehen. Erst seit Januar gibt es den Diagnoseschlüssel
„Post-Covid-19-Zustand“. Entsprechend dünn sind die Daten der Krankenkassen
bisher.
Beim Wissenschaftlichen Dienst der gesetzlichen Krankenkasse AOK hat man
bis April 217.000 erwerbstätige Versicherte mit bestätigter
Covid-19-Erkrankung registriert. 11.000 von ihnen – also 5,1 Prozent –
waren in der Zeit von Januar bis April 2021 arbeitsunfähig aufgrund einer
Diagnose mit dem Post-Covid-19-Zustand.
Man sehe das als Frühwarnsystem, sagt der stellvertretende Geschäftsführer
Helmut Schröder. Die Krankheitskosten ließen sich aber noch nicht schätzen
– zu viele Unbekannte. Abrechnungsdaten würden frühestens in einem halben
Jahr vorliegen. Ähnliche Antworten kommen auch von anderen Krankenkassen.
Von der Deutschen Rentenversicherung heißt es, erste Daten zu bewilligten
Rehabilitationen nach Covid-19-Infektionen lägen voraussichtlich im Sommer
vor.
Nach den mahnenden Stimmen aus der Wissenschaft und der Medizin kommt nun
auch die Politik um das Thema Long Covid nicht mehr herum.
Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) sicherte Ende Mai 5
Millionen Euro für die interdisziplinäre Forschung zu Spätsymptomen von
Covid-19 zu. Auf der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) verständigten sich
diese Woche die Gesundheitsminister:innen der Länder auf die
Erarbeitung [12][eines Aktionsplans zum Post-Covid-Syndrom].
Ziel sei es, alle Bereiche der Gesundheitsversorgung und Arbeitswelt für
die Thematik zu sensibilisieren und spezialisierte Behandlungs- und
Selbsthilfestrukturen zu schaffen. Es sei wichtig, jetzt zu handeln, sagte
der bayerische Gesundheitsminister und GMK-Vorsitzende Klaus Holetschek
(CSU). „Damit wir den Betroffenen auch dann helfen können, wenn die
Hochphase der Pandemie überstanden ist.“
19 Jun 2021
## LINKS
[1] /Spaetfolgen-durch-Coronavirus/!5736414
[2] /Spaetfolgen-durch-Coronavirus/!5736414
[3] /Langzeitfolgen-einer-Covid-19-Erkrankung/!5735142
[4] /Studie-zu-Long-Covid/!5749678
[5] https://www.muenchen-klinik.de/krankenhaus/schwabing/kinderkliniken/kinderh…
[6] https://www.mecfs.de/
[7] https://longcoviddeutschland.org/
[8] https://www.nakos.de/data/Online-Publikationen/2021/NAKOS-Corona-Selbsthilf…
[9] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw23-pa-gesundheit-longc…
[10] https://www.bg-kliniken.de/ueber-uns/das-unternehmen/aktuelles-1/post-covi…
[11] /Weltarbeitsorganisation-zu-Coronafolgen/!5772391
[12] https://www.stmgp.bayern.de/presse/gesundheitsministerkonferenz-fasst-weit…
## AUTOREN
Manuela Heim
Marthe Ruddat
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