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# taz.de -- Pandemie und Psyche: Unterstützung notwendig
> Psychische Erkrankungen nehmen in der Pandemie zu. Strenge Maßnahmen
> hätten damit aber nichts zu tun, sagt der Gesundheitsminister.
Bild: Home Schooling und Lockdown haben ihre Spuren bei Kindern und Jugendliche…
Lauterbach hat mal wieder gesprochen: Am Montagabend war der
Gesundheitsminister bei „hart aber fair“ zu Gast und verteidigte ein ums
andere Mal die Coronamaßnahmen. Kritik, dass die verhältnismäßig strengen
Maßnahmen in Deutschland zu einem [1][Anstieg psychischer Störungen]
führten, wies er dabei zurück.
Der Anstieg psychischer Erkrankungen in den vergangenen zwei Jahren, den
etliche Studien nachgewiesen haben, sei seiner Meinung nach nicht auf die
Schutzmaßnahmen zurückzuführen, sondern auf die Coronalage insgesamt. So
sei eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit auch in Ländern zu
beobachten, die weniger drastisch eingegriffen hätten, wie beispielsweise
die USA.
Auslöser für die Diskussion in der Runde bei Frank Plasberg war eine von
der Welt-Journalistin Claudia Kade erwähnte Studie, nach der die Suizidrate
bei Kindern und Jugendlichen während des zweiten Lockdowns vor einem Jahr
deutlich angestiegen sei. Diese noch nicht veröffentlichte Studie der
Universitätsklinik Essen sorgte kürzlich für mediale Aufmerksamkeit,
nachdem der Leiter der dortigen Kinderintensivstation, Professor Christian
Dohna-Schwake, sie am 5. Januar in einem Podcast erwähnte.
Der Studie zufolge, an der Dohna-Schwake mitarbeitete, hat sich die Zahl
der festgestellten Suizidversuche im Vergleich zum Vorjahr bundesweit
vervierfacht. Waren es im Zeitraum vom ersten Lockdown noch 22 Kinder und
Jugendliche, die einen Suizidversuch unternahmen, wurden von Mitte März bis
Ende Mai 2021 93 Fälle von insgesamt 27 Kinder-Intensivstationen aus
unterschiedlichen Regionen gemeldet. Da diese 27 Einrichtungen laut des
Mediziners nur etwa 20 Prozent der Kinder-Intensivstationen in Deutschland
ausmachen, aus den übrigen 80 Prozent also keinerlei Zahlen erhoben wurden,
dürfte es hochgerechnet bundesweit zu sehr viel mehr Suizidversuchen
gekommen sein.
## Vielfältige Gründe
Ob die Pandemie und die bisher mit ihr einhergegangenen Lockdowns für die
erhöhte Suizidrate verantwortlich sind, könne er nicht sagen, [2][räumte
Dohna-Schwake gegenüber Focus Online] ein. Corona sei nie der einzige Grund
für einen Suizidversuch. „Die Veränderungen im Leben von Familien und
Jugendlichen haben aber aus meiner Sicht ganz wesentlich dazu beigetragen,
dass die individuelle Lebenssituation bei einzelnen Jugendlichen häufiger
so aussichtslos erschien, dass ein Suizidversuch als letzte Möglichkeit
gesehen wurde“, sagte er weiter.
Eine Zunahme von Depressionen, Angst- und Essstörungen ist unumstritten –
die Gründe dafür sind vielfältig. So könnte die vermehrte Nutzung sozialer
Medien hier eine Rolle spielen. Dass diese einen schlechten Einfluss auf
die psychische Gesundheit, besonders junger Menschen, haben, zeigte sogar
eine [3][interne Studie des Unternehmens Meta], vormals Facebook. Auch
soziale Isolation in Folge von Schul- und Vereinsschließungen haben sicher
zu einer Verschlechterung des psychischen Befindens geführt.
Dass die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen nicht nur in
Deutschland gefährdet ist, zeigt auch eine neu erschienene [4][Studie aus
Italien], herausgegeben von der Stiftung Soleterre und der Abteilung für
Traumaforschung der Katholischen Universität Mailand. Für die Studie wurden
im Dezember vergangenen Jahres 150 Jugendliche zu ihren Gedanken und
Gefühlen, die Pandemie betreffend, befragt. 17,3 Prozent der Befragten
zwischen 14 und 19 Jahren gaben an, so überfordert zu sein, dass sie durch
die Umstände keinen Sinn mehr im Leben sehen.
## Abstreiten hilft nicht
Studien wie diese und die der Uniklinik Essen zeigen das Ausmaß der
psychischen Belastung durch die Pandemie zwar nur im kleinen Rahmen, geben
aber entscheidende Hinweise auf den Ernst der Lage. Ob und inwiefern die
psychischen Auswirkungen auf die Einschränkungen durch Coronamaßnahmen oder
aber die fehlenden Perspektiven durch die pandemische Lage per se
zurückzuführen sind, ist im Grunde genommen zweitrangig. Sich in Talkrunden
darüber zu streiten, woran es liegen könnte, und dabei wie Lauterbach
darauf zu pochen, dass die Eindämmungsmaßnahmen hierzulande keinen Einfluss
auf die psychische Gesundheit hätten, hilft niemandem.
Es gibt eine Dringlichkeit, die vor allen anderen kommt, sagt Damiano
Rizzi, Präsident der Soleterre und Psychotherapeut. Und zwar, „sich um die
psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu kümmern“. Vielleicht
sollten wir also, wie schon zu Beginn der Pandemie, noch einmal nach
Italien sehen.
Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie
können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/111 0 111
oder 08 00/111 0 222) oder www.telefonseelsorge.de besuchen.
13 Jan 2022
## LINKS
[1] /Psychische-Folgen-von-Corona/!5812839
[2] https://www.focus.de/gesundheit/psychische-belastungen-in-der-pandemie-scho…
[3] /Gefahren-von-sozialen-Medien/!5814568
[4] https://www.ansa.it/sito/notizie/cronaca/2022/01/10/ricerca-ai-tempi-del-co…
## AUTOREN
Sophia Zessnik
## TAGS
psychische Gesundheit
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