# taz.de -- Berichte aus vier Nationen: So bangen andere um ihre Jobs | |
> Die Wirtschaftskrise umfasst den Globus: Weltweit bangen Beschäftigte um | |
> ihre Jobs oder sind bereits entlassen. Vier taz-Korrespondenten über die | |
> Lage in ihren Ländern. | |
Bild: Job gesucht: Chinesischer Wanderarbeiter in Shenyang. | |
40.000.000 Chinesen ohne Job | |
Die neue Arbeitslosigkeit in China in Folge der globalen Finanzkrise | |
übersteigt alle Erwartungen. Nach Pekinger Regierungsangaben haben 20 | |
Millionen von insgesamt 130 Millionen Wanderarbeitern in den letzten Wochen | |
ihren Job verloren. Schätzungen der Europäischen Handelskammer in Peking | |
gehen viel weiter: Demnach liegt die Zahl der Wanderarbeiter in China schon | |
bei 200 Millionen, von denen 40 Millionen in diesem Jahr keine Arbeit mehr | |
finden würden. China würde damit fast so viele neue arbeitslose | |
Wanderarbeiter verbuchen, wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) | |
neue Arbeitslose im Jahr 2009 für die ganze Welt erwartet. | |
Hinzu kommen in China in diesem Jahr 7 Millionen Universitätsabsolventen, | |
von denen laut Angaben der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften | |
ein Viertel ohne Arbeit ausgehen werden. Die Akademie berichtet auch von | |
einem dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit in den Städten: Dort habe | |
sich die Arbeitslosenrate von den ersten drei Quartalen zum letzten Quartal | |
2008 verdoppelt - auf 9,4 Prozent. Diese Quote bezieht Landbewohner, zu | |
denen die meisten Wanderarbeiter zählen, nicht mit ein. Die Regierung plant | |
im Rahmen ihres 400-Milliarden-Euro schweren Konjunkturprogramms | |
Ausbildungsprogramme und zusätzliche Krankenversicherung für die vielen | |
neuen Arbeitslosen. | |
Noch gibt es keine Unruhen. Durch Medienberichte wissen viele Chinesen, | |
dass die Krise nicht durch die Regierung ausgelöst wurde. Sie wissen, dass | |
Exporteinbrüche verantwortlich sind für die zahlreichen Schließungen von | |
Textil-, Spielzeug- und Elektronikfabriken. Fast jeder verfügt auch noch | |
über eigene Sparguthaben. China hat eine der höchsten privaten Sparquoten | |
in der Welt. Allerdings: "Für die Wanderarbeiter gibt es kein Zurück mehr | |
aufs Land. Ohne Arbeit werden sie durch die Städte vagabundieren und für | |
soziale Instabilität sorgen", warnt der Pekinger KP-Vordenker Shang Dewen. | |
Andere vertrauen den Errungenschaften der 30 Jahre zurückliegenden | |
sozialistischen Landreform. "Die Migranten können sich immer noch auf den | |
Landbesitz und das Sparguthaben ihrer Familien zurückfallen lassen," sagt | |
Chen Shuxian, Direktor eines Arbeitsamtes. Vor 30 Jahren bekam in China | |
jede Bauernfamilie ihr Stück Land zugeteilt - und kann es nicht verkaufen. | |
GEORG BLUME | |
1,8 Millionen Arbeitslose sind in Russland gemeldet, so die Ministerin für | |
Gesundheitsentwicklung, Tatjana Golikowa. Sie schätzt, dass diese Zahl 2009 | |
auf 2,2 Millionen registrierte Arbeitslose steigen dürfte. Insgesamt seien | |
derzeit jedoch 5,8 Millionen Menschen in Russland auf der Suche nach | |
Arbeit, das wären ungefähr 7 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung. | |
Besonders betroffen seien Metallurgie, Chemie- und Automobilindustrie und | |
die Förderung von Bodenschätzen. Der Beschäftigungsrückgang gegenüber dem | |
Januar 2008 beim verarbeitenden Gewerbe liegt laut Statistikbehörde Rosstat | |
bei 24 Prozent. Tatsächlich dürften die Zahlen höher liegen. Viele | |
Arbeitslose melden sich nicht. Bei einem Arbeitslosengeld von | |
durchschnittlich 100 Euro in Moskau macht dies wenig Sinn. Migranten, die | |
oft ohne Arbeitsgenehmigung arbeiten, fallen genauso wenig unter die | |
Statistik wie die zunehmende Zahl von Kurzarbeitern. | |
Nicht ins Bild passen die Ergebnisse einiger Wirtschaftsbranchen. Die | |
Produktion von Benzin und Diesel fiel im Januar um lediglich 1 Prozent. | |
Brisant für das gesellschaftliche Klima dürfte sein, dass circa 460 Städte | |
mit einer Bevölkerung von insgesamt 25 Millionen zum großen Teil von einem | |
einzigen Industriezweig abhängen. Dort könnte es nach Auffassung des | |
Instituts für regionale Politik zu regelrechten Aufständen kommen, wenn | |
dieser Industriezweig Arbeiter entlässt. Von den Firmen des russischen | |
Bergbau- und Metallurgiekonzerns Evraz Group beispielsweise sind sieben | |
Städte mit einer Bevölkerung von insgesamt 696.000 Menschen abhängig. Von | |
dem Metallkonzern Rusal sind gar 13 Städte mit einer Gesamtzahl von 815.000 | |
Menschen abhängig, berichtet das russische Internet-Portal | |
[1][SmartMoney.ru]. | |
Unterdessen bereiten sich die Behörden auf Proteste vor. Die für Ende | |
letzten Jahres geplante Reduzierung der Truppen des Innenministeriums wurde | |
kurzfristig gestoppt. Und im Februar hatte die Miliz in Kaliningrad in der | |
bisher größten Übung in der Geschichte der Region fingierte wütende | |
Arbeitslose mit Nahkampf an der Erstürmung eines Verwaltungsgebäudes | |
gehindert. Lediglich die Fabrik für Feuerschutzausrüstung in Wagaschi | |
braucht sich keine Sorgen um weitere Aufträge zu machen. Dort erhielt man | |
einen Großauftrag für gepanzerte Wasserwerfer. BERNHARD CLASEN | |
Spanien leidet unter einer doppelten Krise. Die eine ist der | |
internationalen Lage geschuldet, die andere ist hausgemacht. Nirgends | |
boomte der Bausektor in den letzten zehn Jahren so wie in Spanien. Jetzt | |
ist die Spekulationsblase geplatzt. Die Arbeitslosigkeit wächst so schnell | |
wie nie zuvor. Spanien ist Europameister. Anfang Januar waren mehr als 3 | |
Millionen Menschen arbeitslos, das sind 13,9 Prozent. Allein im letzten | |
Jahr wurden 1,2 Millionen arbeitslos. In 827.000 Haushalten sind alle | |
Mitglieder ohne Arbeit. Über eine halbe Million beziehen kein | |
Arbeitslosengeld. | |
Immer mehr Spanier zieht es jetzt in die Landwirtschaft, die in den letzten | |
acht Jahren fest in der Hand ausländischer Arbeitskräfte war. "Wir haben | |
bei der Erdbeerernte dieses Jahr 20 Prozent mehr nationale Arbeiter als | |
2008", erklärt der Sprecher des spanischen Landwirtschafts- und | |
Viehzuchtverbandes (Coag) Eduardo Domínguez. | |
Nicht nur in der südspanischen Provinz Huelva, die Europa mit Früherdbeeren | |
eindeckt, sondern auch bei der Olivenernte macht sich diese Entwicklung | |
bemerkbar. In den andalusischen Provinzen Jaén, Granada und Córdoba sowie | |
in Castilla-La Mancha schütteln wieder mehrheitlich Spanier die Ölfrüchte | |
von den Bäumen. "Überall in den Dörfern ziehen Gruppen von Immigranten | |
umher, die verzweifelt nach Arbeit suchen", so Domínguez. | |
Als die Bauwirtschaft boomte, verließen die einheimischen Arbeiter die | |
Landwirtschaft und das Gaststättengewerbe. Immigranten waren willkommen. | |
Lebten 2000 nur knapp eine Million Ausländer im Lande, sind es heute 5,3 | |
Millionen. | |
Die Krise im Bau zieht andere Sektoren mit in den Abgrund. Im Hotel- und | |
Gaststättengewerbe bleiben die Kunden aus. Es kommen immer weniger | |
ausländische Touristen. Und auch die Automobilindistrie, Spaniens größter | |
industrieller Arbeitgeber, bekommt die Krise zu spüren. 2008 ging die | |
Produktion um 12 Prozent zurück, im Januar dieses Jahres gar um 53 Prozent. | |
Die Madrider Regierung verhandelt über ein milliardenschweres Hilfspaket. | |
Langsam, aber sicher regt sich Unmut in der Arbeiterschaft. Dieser Tage | |
rufen die Gewerkschaften überall im Lande zu Demonstrationen für eine | |
sozialere Krisenpolitik. Der Europäischen Gewerkschaftsbund plant für Mai | |
eine Großdemonstration. REINER WANDLER | |
Die Arbeitslosenquote liegt offiziell bei 25 Prozent, bezogen auf die aktiv | |
Suchenden. Tatsächlich dürfte die Zahl traurig stabil bei etwa 40 Prozent | |
liegen. Genaue Zahlen werden erst in den kommenden Tagen veröffentlicht. | |
"In dieser Zeit der Wirtschaftskrise ist das Ziel, 500.000 neue Jobs | |
jährlich zu schaffen, um die Arbeitslosigkeit bis 2014 zu halbieren. Eine | |
entmutigende Herausforderung", sagt Ebrahim-Khalil Hassen, Mitarbeiter im | |
Human Science and Research Council in Pretoria. "Besonders wenn man | |
bedenkt, dass wir es in den guten Zeiten nicht geschafft haben." | |
Erstmals in den vergangenen zehn Jahren ist Südafrikas Wirtschaft jetzt um | |
1,8 Prozent im letzten Vierteljahr von 2008 im Vergleich zum vorherigen | |
Vierteljahr geschrumpft. Finanzexperten warnen, dass Südafrika hart von der | |
globalen Situation getroffen sei: Das verarbeitende Gewerbe ist auf dem | |
schlechtesten Stand seit 1960, und Automobilhersteller fragen bei der | |
Regierung um "Rettungspakete" in Höhe von rund 7,6 Milliarden Euro an. | |
Auch ist die Nachfrage an Rohmetallen gesunken, darunter Gold, Platin und | |
Diamanten. Bergbaugigant Anglo American will 19.000 Arbeitsplätze 2009 | |
kürzen. Die Goldproduktion ist auf dem tiefsten Niveau seit 80 Jahren, | |
erklärte die südafrikanische Bergbaukammer am Dienstag. Die Kammer macht | |
die Energiekrise im Land wegen nicht ausreichender Stromversorgung | |
verantwortlich. Minen mussten im Januar für eine Woche schließen. Die Firma | |
Lonmin, drittgrößter Platinproduzent der Welt, kündigte die Streichung von | |
5.500 Stellen in zwei südafrikanischen Minen an. Lonmin ist stark betroffen | |
von der Krise in der Autoindustrie, die Platin zur Herstellung von | |
Katalysatoren nutzt. | |
Diamantenproduzent De Beers in Südafrika hat bereits im Dezember 2008 und | |
jetzt im Januar Arbeiten teilweise eingestellt. Grund: ein Verkaufsrückgang | |
der polierten Steine von 20 Prozent. Im benachbarten Botswana werden zwei | |
der vier Diamantminen von De Beers für das ganze Jahr geschlossen, weil | |
sich die globale Rezession auf die Nachfrage der Edelsteine auswirkt. Trotz | |
vereinzelter Proteste seien Unruhen wohl auszuschließen, glaubt Marius | |
Rodt, Mitarbeiter beim Institut für Rassenbeziehungen: "Die Regierung macht | |
eine solide Finanzpolitik und hat Sozialhilfen erhöht." MARTINA SCHWIKOWSKI | |
26 Feb 2009 | |
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Schwerpunkt Coronavirus | |
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