# taz.de -- Ex-Ministerin zu Covid im Globalen Süden: „Nicht ökonomisch abs… | |
> Der IWF schüttet viel Geld aus. Die reichen Länder sollten ihre Mittel | |
> den armen geben, fordert Ex-Entwicklungsministerin Heidemarie | |
> Wieczorek-Zeul. | |
Bild: Corona-Impfung in Ruanda: Afrikanische Länder haben bislang viel zu weni… | |
taz: Frau Wieczorek-Zeul, angesichts der [1][offiziellen Angaben] scheinen | |
die meisten Länder Afrikas, gemessen an den Zahlen der an Corona | |
gestorbenen Menschen, im Vergleich zu den Industrieländern besser durch die | |
Pandemie zu kommen. Trügt dieser Eindruck? | |
Also erstens kann man das nicht genau sagen, die Zahl der an Corona | |
gestorbenen Menschen ist in vielen Ländern weitgehend Spekulation. Zweitens | |
muss man auch die ökonomischen Auswirkungen sehen. Und die sind zusammen | |
mit den gesundheitlichen Folgen dramatisch. Afrika erleidet seit 25 Jahren | |
zum ersten Mal eine Rezession. Schon vor der Pandemie waren zwei Drittel | |
der ärmsten Entwicklungsländer von Überschuldung betroffen. Jetzt muss es | |
darum gehen, die finanziellen Spielräume der besonders betroffenen ärmsten | |
Länder zu erweitern. Dabei geht es um einen Schuldenerlass, die | |
Einbeziehung des privaten Sektors und Chinas. | |
China hält rund ein Viertel der Schulden der Entwicklungsländer. | |
Ohne China macht ein Schuldenerlass keinen Sinn. Beim G20 Common Framework, | |
einem neuen Instrument der G20 für den Umgang mit Staatsschulden, ist China | |
beteiligt. Da geht es um die Frage, wie sich die G20 abstimmen nicht nur in | |
Bezug auf einen Schuldenaufschub, wie es ihn gibt, sondern auch einen | |
Schuldenerlass. Wenn wir von einem größeren Finanzspielraum sprechen, gibt | |
es einen Aspekt, der in der deutschen Debatte gar nicht stattfindet: die | |
Ausweitung des Sonderziehungsrechts des IWF. | |
Der IWF, der Internationale Währungsfonds, bereitet zurzeit die Aktivierung | |
der [2][sogenannten Sonderziehungsrechte] vor, mit dem die IWF-Mitglieder | |
enorme Geldmengen schöpfen können. Ist das sinnvoll? | |
Ich habe selbst immer dafür gekämpft, dass das möglich ist. Dabei geht es | |
um einen Umfang von 650 Milliarden US-Dollar. Die Sonderziehung würde für | |
die Länder im Globalen Süden Zugang zu Devisen bedeuten. Die Zuteilung der | |
Sonderziehungsrechte erfolgt aber nach der Quote, die die jeweiligen Länder | |
bei der Weltbank haben. Insofern ist klar: Die, die es besonders brauchen, | |
haben von der Quote noch gar nichts. Deshalb ist mein Vorschlag: Die | |
Industrieländer sollten ihre Quoten den Entwicklungsländern, den Ärmsten, | |
zur Verfügung stellen, zum Beispiel zur Impfstofffinanzierung. | |
Wie könnte es konkret aussehen, dass Staaten verzichten und das Geld aus | |
den Sonderziehungsrechten anderen zur Verfügung stellen? | |
Der IWF könnte einen Vorschlag machen, wie eine entsprechende Umwidmung | |
erfolgen kann. | |
Deutschland gehört zu den starken IWF-Mitgliedern. Sollte Olaf Scholz als | |
Finanzminister einen entsprechenden Vorstoß unternehmen? | |
Zum Beispiel. | |
Aber haben nicht Deutschland und andere starke Volkswirtschaften wegen der | |
Pandemie zurzeit selbst große ökonomische Probleme? | |
Mit Verlaub: Die Industrieländer haben ganz andere Möglichkeiten als | |
Entwicklungsländer, um Programme aufzulegen, die verhindern, dass die | |
Wirtschaft abstürzt. Das haben wir in Deutschland gemacht, das versuchen | |
wir in der Europäischen Union. Ich unterstütze das. Aber die ärmsten | |
Entwicklungsländer haben nicht die Möglichkeit, ihre Wirtschaft zu | |
schützen. Es ist im Interesse der Menschlichkeit, aber auch unserer | |
gemeinsamen Daseinsvorsorge, sie zu unterstützen. Die Entwicklungsländer | |
dürfen nicht ökonomisch abstürzen. | |
Viele Industrieländer verschulden sich und könnten argumentieren, künftig | |
weniger Geld für die Entwicklungszusammenarbeit aufbringen zu können. | |
Die Gefahr ist vorhanden. Das gilt für alle Länder, die viel Geld in die | |
Hand genommen haben. Ich habe Sympathie für den Vorschlag, den mehr als 20 | |
Staats- und Regierungschefs aus Industrie- und Entwicklungsländern gemacht | |
haben. Sie wollen zur Pandemievorbeugung einen völkerrechtlichen Vertrag | |
schaffen. Mit einem solchen Vertrag wird auch die Aufmerksamkeit, die | |
Rechenschaftspflicht, die Transparenz und die Kooperation zwischen | |
Industrie- und Entwicklungsländern gestärkt. Gleichzeitig liegen zahlreiche | |
neue Instrumente zur globalen Besteuerung von großen Unternehmen auf dem | |
Tisch. Diese Vorschläge müssen nun unverzüglich umgesetzt werden. | |
Welche weiteren Möglichkeiten gibt es, um die Lage in Entwicklungsländern | |
zu verbessern? | |
Es gibt unter anderem die IDA-Mittel der Weltbank, der International | |
Development Association. Sie sehen Zuschussmöglichkeiten für | |
Entwicklungsländer vor. Das Weitere sind Maßnahmen zur Stärkung der | |
Gesundheitssysteme und für Impfungen. Es geht darum, die Programme und | |
Instrumente zu verknüpfen. Zum Beispiel sollten schnell 20 Prozent der | |
Bevölkerung im Globalen Süden geimpft werden, und da auch natürlich vor | |
allem Menschen, die im Gesundheitswesen tätig sind. Also das ist das | |
Mindeste, was man schaffen kann. | |
IWF-Chefin Kristalina Georgiewa fordert, beim Eintreiben der Schulden auch | |
die Verletzlichkeit der Länder durch die Klimakrise zu berücksichtigen, | |
weil diese ein Schuldentreiber ist. Wie sehen Sie das? | |
Das ist absolut erforderlich. Es sind auch Finanzierungsmöglichkeiten für | |
die Umstellung der Wirtschaften nötig. Denn parallel zur Pandemiebekämpfung | |
ist die Anpassung an den Klimawandel nötig. | |
Südafrika und Indien haben schon vor einem halben Jahr vorgeschlagen, den | |
Patentschutz für Impfstoffe auszusetzen, damit sie vor Ort produziert | |
werden können. Mehr als 100 Länder haben sich angeschlossen. | |
AstraZeneca kann ja bereits in anderen Regionen produziert werden. Generell | |
finde ich, in der Situation, in der wir sind, müssen alle Instrumente | |
genutzt werden. In der WHO gibt es ja auch diese Diskussion. Da darf nichts | |
außen vor gelassen werden. | |
Deutschland und die EU blockieren die [3][Freigabe]. | |
Ja, ehrlich gesagt, man weiß nicht, aus welchen Gründen das der Fall ist | |
und warum eine zeitlich begrenzte Produktionsfreigabe nicht möglich ist. | |
Wie gesagt: Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen und können nur als | |
Weltgemeinschaft dem Teufelskreis aus Mutationen entkommen und nur | |
gemeinsam ein Ende der Pandemie erwirken. | |
29 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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