| # taz.de -- SPD in der Krise: Banges Warten auf die Grünen | |
| > Die Zukunft der SPD ist unklar. Manche Genossen wollen „für Rot-Rot-Grün | |
| > kämpfen“ – aber dort würden Grüne den Ton angeben. | |
| Bild: Das Übergangstrio Schäfer-Gümbel, Schwesig und Dreyer lässt sich Zeit… | |
| Bremen/Berlin taz | Wo bleibt Toni Hofreiter? Ein lauer Sommerabend in | |
| Berlin, ein ehemaliges Brauereigelände im Prenzlauer Berg. Die | |
| SPD-Denkfabrik feiert Geburtstag. Das Büfett reicht von Thüringer | |
| Bratwürsten bis zu rot-grünem Wackelpudding. | |
| Die Denkfabrik, das sind 66 SPD-Parlamentarier und Politiker, die seit 2004 | |
| gemeinsam mit Gleichgesinnten von Grünen und Linken Mehrheiten auf | |
| Bundesebene vorbereiten. Die Geschäftsführerin Nicole Wloka empfängt um | |
| kurz nach sieben die Gäste. Sie ist ein wenig aufgeregt. Es ist ein | |
| besonderer Abend. | |
| Zum ersten Mal haben die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Grünen und Linken | |
| ihr Kommen zugesagt. Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen, war | |
| in den Vorjahren ein treuer Gast bei den Sommerfesten der Denkfabrik, | |
| ebenso Dietmar Bartsch, Co-Chef Linksfraktion. | |
| Neu ist, dass erstmals die eigene Partei, die SPD, mit Spitzenpersonal | |
| vertreten sein wird. Andrea Nahles hatte verbindlich zugesagt. Doch seit | |
| ihrem Rücktritt am Sonntag ist sie SPD-Geschichte. Ihr Interimsnachfolger | |
| an der Fraktionsspitze, Rolf Mützenich, ist spontan eingesprungen. | |
| ## Banges Warten auf die Grünen | |
| Nervosität liegt in der Luft. Während sich der Innenhof des | |
| Brauereigeländes in Berlin füllt, sitzt in Bremen der Grünen-Vorstand | |
| zusammen und entscheidet, ob er Koalitionsverhandlungen mit SPD und | |
| Linkspartei aufnehmen wird. Oder mit der CDU, die Ende Mai zum ersten Mal | |
| in Bremen stärkste Partei wurde, und der FDP. Die Grünen können die SPD in | |
| Bremen aus ihrer letzten Bastion vertreiben. Oder die taumelnde Partei | |
| stützen. | |
| Vor über zwanzig Jahren erklärte der damalige SPD-Vorsitzende Gerhard | |
| Schröder die Grünen in einer rot-grünen Konstellation noch zum Kellner und | |
| die SPD zum Koch. Jetzt stellt sich die Koch-Kellner-Frage womöglich neu – | |
| nur anders herum. | |
| Mützenich trifft auf dem Sommerfest ein, zwinkert allen freundlich zu. | |
| Dietmar Bartsch bedient sich am Grillbüfett. Wo ist Hofreiter? Kommt der | |
| erst, wenn die Bremer sich entschieden haben? Banges Warten auf die Grünen. | |
| Auch das ist neu für die SPD. | |
| Die Grünen haben die Sozialdemokraten bei der Europawahl als zweitstärkste | |
| Kraft abgelöst, im ARD-Deutschlandtrend sind sie mit 27 Prozent sogar | |
| stärkste Partei. Die SPD liegt bei nur 12 Prozent. Im Bundestag sind die | |
| Mehrheitsverhältnisse noch ganz anders. Doch die Sozialdemokraten können | |
| die Verschiebung der politischen Stimmung kaum noch ignorieren. Und die | |
| [1][drückt aufs Gemüt]. | |
| ## Viel offen in der SPD | |
| Die SPD hat harte Tage hinter sich. Nahles weg. Zweistellige Verluste bei | |
| der Europawahl. Doch manche tun so, als wäre nichts passiert. Der | |
| SPD-Rechte Johannes Kahrs erklärte Anfang der Woche bei der Spargelfahrt | |
| des „Seeheimer Kreises“ auf dem Wannsee gemütvoll: „Die Sonne scheint, d… | |
| See ist ruhig.“ Die Selbstzufriedenheit mancher SPD-Politiker steht in | |
| einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu den Wahlergebnissen. | |
| Vizekanzler Olaf Scholz bescheinigte der SPD im Stern ungerührt blendende | |
| Aussichten, bei den Bundestagswahlen stärkste Partei zu werden. Das stimmt, | |
| was den Realitätssinn der SPD-Spitze angeht, sorgenvoll. Auch ein loyaler | |
| Parteisoldat wie SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil geht vorsichtig auf | |
| Distanz zu Scholz. Das hätte er so nicht gesagt. | |
| In der SPD ist viel offen. [2][Das Übergangstrio Malu Dreyer, Manuela | |
| Schwesig, Thorsten Schäfer-Gümbel] lässt sich Zeit. Erst in gut zwei Wochen | |
| werden Zeitplan und Verfahren festgelegt, wie die neue Parteiführung | |
| gewählt wird. Viele wollen, dass die SPD-Basis eine Doppelspitze kürt. Im | |
| Gespräch ist auch, dass alle BürgerInnen an dieser Wahl teilnehmen können. | |
| Das wird dauern. | |
| Unklar ist auch, wie es mit der Großen Koalition weitergeht. In der | |
| Fraktion müht man sich um Normalität. Karl Lauterbach, moderater | |
| SPD-Linker, will erst mal „Ruhe in die Formation bringen“. Mit der | |
| Grundrente, der Grundsteuer, dem Klimaschutzgesetz und der Abschaffung des | |
| Soli gibt es vier Themen, bei denen SPD und Union über Kreuz sind. | |
| ## Die Grünen sind das neue Kraftzentrum | |
| An allen kann die Regierung scheitern. Lauterbach warnt aber vor endlosen | |
| Groko-Debatten: „Wir dürfen auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass wir | |
| aus taktischen Gründen die Flinte ins Korn werfen.“ Mit dem vorzeitigen | |
| Ende der Regierung rechnen muss die SPD trotzdem. | |
| So schaut man sich schon mal nach möglichen Alternativen um. Und redet | |
| drüber. „Es reicht nicht, nur offen für eine rot-rot-grüne Regierung zu | |
| sein. Wir müssen offensiv dafür kämpfen“, so Lauterbach entschlossen. Das | |
| sind neue Töne. Bislang fand auch die moderate SPD-Linke eine mögliche | |
| Koalition mit Linkspartei und Grünen eher als Gedankenspiel interessant. | |
| Doch die Zeiten und Gewichte ändern sich rasant – und die Grünen sind | |
| momentan das neue Kraftzentrum. Sie werden von allen Seiten umworben. | |
| Jürgen Trittin plädiert für ein Mitte-links-Bündnis. Die Grünen ständen S… | |
| und Linkspartei beim Sozialen näher – mit der Union sei gute Klimapolitik | |
| kaum möglich. Doch Schwarz-Grün löst auch bei linken Grünen keinen | |
| Würgereiz mehr aus. | |
| Der grüne Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, ein Parteilinker, erklärt | |
| am Donnerstag im Interview mit der taz: Das Parteiensystem sei „massiv in | |
| Bewegung“, die „alten Gewissheiten“ seien überholt. Die Grünen seien �… | |
| verschiedenen Koalitionen in der Lage“. Die Ex-Volkspartei SPD tut sich | |
| indes schwer mit ihrer neuen Rolle – nicht mehr Tanker, sondern Beiboot. | |
| Das kann man in Bremen sehen. | |
| Dort regieren die Genossen seit 73 Jahren und glauben, einen | |
| selbstverständlichen Anspruch auf die Macht zu haben. Das – und die | |
| internen Personalquerelen der SPD in den Sondierungsgesprächen – geht den | |
| Bremer Grünen auf die Nerven. Man mische sich, so die grüne Bremer | |
| Fraktionsvorsitzende Maike Schaefer, „nicht in Personalfragen anderer | |
| Parteien ein“. Aber die SPD solle schnell ihren Zwist klären. Der Eindruck | |
| mancher Grünen: Die SPD sei vor lauter Gerangel um Posten nur bedingt | |
| verhandlungsfähig. | |
| Die Bremer CDU hingegen ist bereit, den Grünen in jeder Hinsicht | |
| entgegenzukommen: Mehr Geld für Fahrradwege? Kein Problem. Steuern auf CO2? | |
| Aber klar doch. | |
| ## Eine künftige Dreierkoalition? | |
| Die Sommerfestgäste in Berlin schauen am Mittwochabend um kurz vor acht auf | |
| ihre Smartphones. Hoffentlich entscheiden die Grünen vernünftig, so der | |
| Tenor. | |
| Sie tun es. Der Vorstand votiert für die Aufnahme von | |
| Koalitionsverhandlungen mit SPD und Linken. Mützenich, Bartsch und | |
| Hofreiter, der spät auch noch kommt, trinken Rotwein, als die Nachricht auf | |
| den Smartphones aufploppt. Und prosten sich zu. | |
| Die Bremer SPD kann sich, gestützt von Linkspartei und Grünen, in ihrer | |
| ewigen Hochburg noch auf den Beinen halten – wenn bei den | |
| Koalitionsverhandlungen bis zum 4. Juli nichts mehr schiefgeht. Die SPD | |
| muss wohl deftige Zugeständnisse machen: etwa bei der Weser-Vertiefung, die | |
| Grüne und Linkspartei ablehnen. Die Grünen werden „nicht Zünglein an der | |
| Waage, sondern Herz und Motor“ der Regierung sein, so die selbstbewusste | |
| Ansage der Bremer Grünen Maike Schaefer. | |
| Auch bundespolitisch werden die Sozialdemokraten sich mit dem Job als | |
| Kellner anfreunden müssen – den Koch würden, wenn es dazu kommt, ein Grüner | |
| oder eine Grüne geben. Bei den Grünen glaubt mancher Realo, die SPD würde | |
| kaum die Demütigung ertragen, unter einem grünen Kanzler oder einer | |
| Kanzlerin in eine Koalition einzutreten. | |
| Denkfabrik-Geschäftsführerin Nicole Wloka ist optimistischer. „Wir haben | |
| eine konservative Kanzlerin mitgetragen, die uns inhaltlich | |
| entgegengekommen ist. Warum sollten wir nicht auch eine grüne Kanzlerin | |
| oder einen grünen Kanzler akzeptieren, die sozialdemokratische Inhalte in | |
| den Vordergrund stellen.“ | |
| Eine künftige Dreierkoalition, die mit einem großen G beginnt – warum | |
| nicht? Beim Sommerfest der Denkfabrik sitzen Hofreiter, Bartsch und | |
| Mützenich am Abend noch lange zusammen. Die Stimmung ist friedlich. Die | |
| letzten Gäste gehen erst im Morgengrauen. | |
| 7 Jun 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Lehmann | |
| Stefan Reinecke | |
| Benno Schirrmeister | |
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