# taz.de -- Rot-rot-grüne Veranstaltung in Berlin: Hofreiters Mission | |
> Der Grünen-Fraktionschef demonstriert ein enormes Selbst- und | |
> Sendungsbewusstsein. Über „arithmetische Projekte“ will er nicht reden. | |
Bild: Anton Hofreiter (r.) erklärt Andrea Ypsilanti (l.) und Katja Kipping wo … | |
BERLIN taz | Von solch Luxusproblemen können andere Parteien derzeit nur | |
träumen. „Wir sind schlichtweg überfordert, all die Leute aufzunehmen, die | |
gerade Mitglied werden wollen“, sagt Anton Hofreiter mit einem zufriedenen | |
Lächeln. „Die rennen uns die Tür ein.“ Die grünen Geschäftsstellen bef�… | |
sich am Rande ihrer Kapazitäten. | |
Die Öko-Partei befindet sich in einem Höhenflug. Das prägt auch den | |
Auftritt des Grünen-Bundestagsfraktionschefs am Samstagabend im Kinosaal | |
des deutsch-französisches Kulturzentrums Centre Français de Berlin. Er | |
tritt mit einem enormen Selbst- und nicht minder großen Sendungsbewusstsein | |
auf. | |
Mit ihm auf der Bühne sitzen der linke Philosoph Guillaume Paoli, die | |
Linkspartei-Vorsitzende Katja Kipping und die frühere SPD-Politikerin | |
Andrea Ypsilanti als Moderatorin. Gerne würden sie mit ihm über eine | |
mögliche „Regierungsmehrheit links der Union“ diskutieren. „Ich glaube, | |
das, was jetzt ansteht, ist der Kampf um neue linke Mehrheiten“, sagt | |
Kipping. | |
Doch Hofreiter steht nicht der Sinn danach, über „irgendwelche | |
arithmetischen Projekte“ zu reden. Angesichts der drohenden Apokalypse geht | |
es ihm um das Große und Ganze. Das ist jedenfalls der Eindruck, den er | |
vermitteln will. | |
„Wie stehen denn die Chancen von euch aus für ein echtes linkes Projekt?“, | |
will Ypsilanti von Hofreiter wissen. Die Frage sei „bereits falsch | |
gestellt“, bescheidet er der Sozialdemokratin kühl. „Ich glaube nicht, dass | |
die Leute noch groß Lust haben auf diese Politikpolitik und auf diese | |
Farbspielmuster.“ | |
## Drohende Apokalypse | |
Schließlich blieben nur noch zehn bis höchstens fünfzehn Jahre, „um das | |
Ruder ganz grundlegend rumzureißen“, verkündet er. „Wenn uns das nicht | |
gelingt, wird uns die Klimakrise unsere eigenen Lebensgrundlagen | |
zerstören.“ Wenn es um die Gattungsfrage geht, erscheinen alle anderen | |
Fragen plötzlich klitzeklein. Es ist ein geschickter rhetorischer Trick, um | |
sich alle machtpolitischen Optionen offen zu lassen. | |
Organisiert hat die Crossover-Veranstaltung das Institut Solidarische | |
Moderne (ISM), das sich als parteiübergreifende „Programmwerkstatt für neue | |
linke Politikkonzepte“ versteht. Von linken SozialdemokratInnen wie dem | |
inzwischen verstorbenen Hermann Scheer, Grünen, LinksparteilerInnen und | |
zahlreichen Intellektuellen 2010 gegründet, sollte es eigentlich den Weg | |
für ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis auf Bundesebene ebnen. | |
Daraus wurde bekanntlich bis heute nichts. Seit längerem führt das ISM denn | |
auch nur noch mehr oder weniger ein Schattendasein. Doch nun beflügelt der | |
grüne Erfolg auch wieder rot-rot-grüne Träume – wenn auch unter ganz | |
anderen Vorzeichen. Denn im Zentrum steht nicht mehr die SPD als Dreh- und | |
Angelpunkt – sowie größtes Hindernis. | |
Das zeigte auch die Diskussion am Samstag. Wie mitleiderregend ihr Zustand | |
ist, lässt sich kaum besser daran ablesen, dass die SPD nicht einmal mehr | |
als Kritikobjekt taugt. Hofreiter hat es ohnehin nicht mehr nötig, sich an | |
ihr abzuarbeiten. Aber auch Kipping geht äußerst pfleglich mit den schwer | |
maladen Sozis um. Auf jemanden, der am Boden liegt, tritt man nicht. | |
## Kein Bekenntnis zu Grün-Rot-Rot | |
Hofreiter tingelt in diesen Wochen durch die rot-rot-grünen Traumwelten des | |
politischen Berlin. Anfang des Monats hielt er eine Ansprache auf dem „R2G | |
Sommerfest“ der Denkfabrik in der SPD-Bundestagsfraktion, für den 29. Juni | |
ist ein Besuch der Sommertagung der SPD-Linken vom „Forum Demokratische | |
Linke 21“ geplant. „Welche Chancen gibt es für ein linkes Reformbündnis?�… | |
lautet die Frage seiner dortigen Podiumsdiskussion mit der | |
stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Natascha Kohnen und Bernd Riexinger, dem | |
Co-Chef der Linkspartei. | |
Ganz auf Parteilinie, wird es auch dann von Hofreiter kein Bekenntnis zu | |
Grün-Rot-Rot geben. Warum auch? Es ist komfortabel, wenn man sich als | |
stärkste Partei den oder die Juniorpartner aussuchen kann. Seine Botschaft | |
ist stattdessen: „Wir müssen aus existenzieller Notwendigkeit in einen | |
anderen Politikmodus kommen.“ Die ökologisch-soziale Transformation müsse | |
„mit Hoffnung, Optimismus, Solidarität und einer echten demokratischen | |
Einbindung“ verbunden werden. | |
Allerdings sind Umfragerekorde noch keine Wahlsiege. Das weiß auch | |
Hofreiter. Politische Stimmungen sind volatil. Ob der menschengemachte | |
Klimawandel auch noch bis zur nächsten Bundestagswahl das große | |
gesellschaftliche Thema sein wird, ist offen – trotz seiner gravierenden | |
Bedeutung. „Natürlich kann es auch sein, dass am Ende der Druck der | |
Beharrungskräfte so groß ist, dass uns die Veränderungen nicht gelingen“, | |
warnt Hofreiter eindringlich. Aber der Preis, den die Menschen dafür | |
bezahlen müssten, wäre ein sehr hoher. | |
16 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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