Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Es geht nicht nur ums Klima
> Die Grünen wollen nicht mehr nur am Ende Recht behalten – sie bekommen
> neuerdings Recht. Sollen die Deutschen sich der Partei jetzt unterwerfen?
Bild: Grüne Freude mit Eisbär
Wie kommt man zu sozialökologischer, emissionsfreier Wirtschaftspolitik in
der EU und der Bundesrepublik? Das ist die Jahrhundertfrage. Keiner weiß
die Antwort. So viel ist sicher: Nicht, indem man sich den deutschen Grünen
unterwirft und sagt, dass sie Recht behalten haben.
Die Grünen, wie wir sie kannten, haben jahrzehntelang ihr Ding zu autoritär
und sehr jenseits der realen Mehrheitsgesellschaft gemacht. Das wurde von
Winfried Kretschmann und Robert Habeck stilprägend in
Landesregierungsverantwortung geändert, und diese Folie hat Habeck nun mit
Annalena Baerbock auf die Bundespartei übertragen. Das ist die Grundlage
des Erfolgs.
Diese Grünen wollen nicht mehr am letzten Tag Recht behalten, sie bekommen
neuerdings Recht. Das liegt daran, dass sie die existenziellen Interessen
einer demokratischen Mehrheit vertreten wollen. Darum geht es den unter
30-Jährigen, die jetzt „Grün, was sonst?“ sagen. Das sind keine
Postmaterialisten mit Moralüberschuss, das müssen knallharte Materialisten
sein, die eine Zukunft wollen und wissen, dass dafür ein akademisches
Elternhaus und ein Gendersternchen nicht reicht.
Sehr wahrscheinlich, dass die Weltgesellschaften keine Allianz gegen die
Erderhitzung hinkriegen. Aber demokratische Parteien sollten zumindest den
Arsch in der Hose haben wie Trump und die AfD und klar sagen, wenn die
Sache nicht in ihr Portfolio passt. Dann wissen die anderen Bescheid. Aber
nicht „Wichtig, wichtig!“ rufen, und es nicht mal probieren wie Union und
SPD. Das ist es, was Fridays for Future für infam halten, und deshalb
wollen sie eine andere Regierung.
## Es braucht den Mix
Nun ist Handeln heute wirklich extrem schwierig. Dennoch ist es nicht mehr
intellektuell satisfaktionsfähig, immer noch „Wohlstand“ und
sozialökologische Wirtschaftspolitik in einen Gegensatz zu stellen. Sehr
verehrter Christian Lindner, lieber Mister Fünf Prozent: Die Grünen sind in
Daimler-City Stuttgart auch kommunal die stärkste Partei, weil Kretschmanns
für Grünenverhältnisse extrem clevere Strategen sie als Partei des
zukünftigen Wirtschaftens positioniert haben.
Wenn du eine Gesellschaft europäisch, sozial und frei denken und Politik
gegen die autoritäre Bedrohung und die Erderhitzung machen willst, dann
musst du einen Mix aus linken, liberalen und konservativen Bedürfnissen
finden. Aber alles auf einer ultraprogressiven Grundlage, und das ist das
sozialökologische Wirtschaften, das den Riss zwischen Jung und Alt wieder
schließt.
Die christdemokratisch-sozialdemokratische-westdeutsche-kuschelige
Industriegesellschaft ist perdu. Der neue grüne Stream ist kein
Bio-Gender-Protest-Cluster. Das sind normale Leute, die weder einen
pietistisch-autoritären Ökoeiferer (Typ Hofreiter) noch einen ökonomisch
ultraliberalen Markteiferer (Typ Lindner) wollen – und das
altlinke/altrechte Elitenverschwörungsgequatsche schon gar nicht.
Diese Leute wenden sich an diesen neuen Typ des grünen
Verantwortungspolitikers, der keine Chefansagen macht, die sich eh nicht
umsetzen lassen – sondern der zwischen den auseinanderstrebenden Systemen
von Gesellschaft, NGO, Kapital, Arbeit, nationaler, europäischer und
internationaler Politik vermitteln will. Darum geht es und darum ging es
bei der EU-Wahl und nicht nur um „das Klimathema“, wie die Verlierer
stöhnten. Es geht um den Wiedergewinn von Handlungsfähigkeit in einer sich
blockierenden Welt. Das ist keine Frage der Ideologie, der Moral oder des
Geschlechts. Sondern einer neuen Methode.
Dass man dieses Knowhow jetzt den Grünen zutraut, ist die Pointe des
Jahrhunderts.
2 Jun 2019
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Europawahl
Kolumne Die eine Frage
Bündnis 90/Die Grünen
Kolumne Die eine Frage
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Fridays For Future
Annalena Baerbock
Anton Hofreiter
Grüne
Schwerpunkt Fridays For Future
Grüne
Annalena Baerbock
Anton Hofreiter
## ARTIKEL ZUM THEMA
Fridays For Future und Klimapolitik: Gretas unbequeme Wahrheit
Schaffen Fridays For Future einen neuen politischen Mainstream in
Deutschland? Es geht jedenfalls nicht darum, „das System“ zu stürzen.
Kolumne Die eine Frage: Mehr Sozialökologie wagen
Selbst in der Wirtschaft mehren sich Anzeichen für eine sozialökologische
Wende. Aber kann auch die CDU Klimapolitik?
Kolumne Die eine Frage: Der politische Jahrhundertwechsel
Rechtspopulismus und Fridays for Future greifen beide den Status quo der
liberalen bürgerlichen Gesellschaft an. Sie greifen uns an.
Grüne und das Kanzleramt: Kandidatur mit Sprengkraft
Wird Robert Habeck Kanzlerkandidat? Oder Annalena Baerbock? Die Frage
könnte einen Keil zwischen das harmonisch agierende Spitzenduo treiben.
Rot-rot-grüne Veranstaltung in Berlin: Hofreiters Mission
Der Grünen-Fraktionschef demonstriert ein enormes Selbst- und
Sendungsbewusstsein. Über „arithmetische Projekte“ will er nicht reden.
Kommentar Grüne und Neuwahlen: Was, wenn die Welle bricht?
Die Grünen stellen neue Umfrage-Rekorde auf. Aber Erfolg ist das noch lange
nicht – für den braucht es Gestaltungsmacht.
Kolumne Wir retten die Welt: Kritiklos in die Klimakrise
Alle reden über das Klima. Aber die Umweltverbände werden nicht gefragt.
Kein Wunder, wenn sie so zahm geworden sind.
Kolumne Die eine Frage: En marche!
Daniel Cohn-Bendit ist Europas glühendster Macron-Unterstützer. Warum
schließen die deutschen EU-Grünen kein Bündnis mit Emmanuel Macron?
Kolumne Die eine Frage: Widerstand gegen Grüne und Kinder
Warum definieren sich die FDP und alle anderen Parteien über ihre Differenz
zu Annalena Baerbock und Robert Habeck?
Kolumne Die eine Frage: Mit der Machete in der Hand
Wie liberal die Grünen sein können, ist für den Fraktionsvorsitzenden Anton
Hofreiter keine Frage. Liberal ist, wenn die anderen es einsehen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.