| # taz.de -- Kommentar Grüne und Neuwahlen: Was, wenn die Welle bricht? | |
| > Die Grünen stellen neue Umfrage-Rekorde auf. Aber Erfolg ist das noch | |
| > lange nicht – für den braucht es Gestaltungsmacht. | |
| Bild: Die Grünen sollten was verändern. Erst das wäre Erfolg. Sonst fehlt ih… | |
| So könnte Deutschland im Juni 2020 aussehen: In Berlin hat sich die GroKo | |
| stabilisiert. In Hamburg ist im Februar die einzige Wahl des Jahres | |
| gelaufen. Die Chance, dass die Grüne Katharina Fegebank Erste | |
| Bürgermeisterin wird, war der letzte Thrill. Doch am Ende blieb die SPD | |
| vorn, auf Rot-Grün folgte: Rot-Grün. | |
| In mehreren überraschend eingetretenen außenpolitischen Krisen waren viele | |
| Menschen erleichtert, dass Angela Merkel immer noch Kanzlerin ist. In | |
| Hessen waltet Schwarz-Grün, das inzwischen den Spitznamen Schwarz-Gähn | |
| bekommen hat. In Ostdeutschland hängen die Grünen seit den Wahlen im Herbst | |
| 2019 in kniffligen Kenia-Koalitionen mit drin, um die AfD aus der Regierung | |
| herauszuhalten, aber regelmäßig verärgern die CDU-Ministerpräsidenten die | |
| grüne Basis. | |
| Kein schönes 2020-Szenario für die Grünen. Und es geht noch düsterer: Die | |
| Arbeit am neuen Grundsatzprogramm, die groß inszeniert werden sollte, | |
| interessiert eher nur die Grünen selbst. Der Kampagnenpartei fehlt die | |
| Kampagne. Bis zur Bundestagswahl im Herbst 2021 dauert es noch quälend | |
| lange. | |
| Und wenn es wirklich so kommt? | |
| Deutschland im Juni 2019: Es herrscht die irrige Annahme, dass sich Erfolg | |
| in der Politik allein in Zustimmung bemisst. Schon richtig, ohne die | |
| schlechten Wahlergebnisse wäre [1][Andrea Nahles] heute noch Vorsitzende | |
| der SPD. Was auch stimmt: Annegret Kramp-Karrenbauer kann froh sein, dass | |
| die Sozialdemokraten die Europawahl-Niederlage der CDU in den Schatten | |
| stellen. Und sind nicht die Grünen der beste Beweis? Nach den 20 Prozent | |
| vor zwei Wochen ist alles supersuper. Happy Sunday for Future – und ab geht | |
| die grüne Welle in den Umfragen: Grüne nur knapp hinter Union! Habeck in | |
| Kanzlerfrage vor Kramp-Karrenbauer! Grüne erstmals vor Union! | |
| ## Mehr als ein Hype | |
| Klar, die Zustimmung der Grünen ist mehr als ein Hype. Sie hat eine Basis: | |
| Die strukturelle Schwäche der Konkurrenz, die Stärke des Spitzenduos aus | |
| Annalena Baerbock und Robert Habeck sowie der Umstand, dass die Grünen nach | |
| fast anderthalb Jahrzehnten Opposition im Bund für praktisch nichts mehr | |
| verantwortlich gemacht werden können; hinzu kommt – endlich – der Aufstieg | |
| des Themas Klimakrise. | |
| Die grüne Welle wogt, bloß ohne große Wirkung. Denn rückblickend werden die | |
| Grünen nur an einer Frage gemessen werden: ob sie Zustimmung in | |
| Gestaltungsmacht umgesetzt haben. Und das tut, wer selbst regiert. | |
| In den Anfangsjahren der Grünen war das anders. Sie waren zu recht stolz | |
| darauf, wenn sie ihre Themen anderen aufgezwungen hatten. Kohl führte den | |
| Katalysator ein, in der SPD setzten sich die Atomkraftgegner durch, | |
| Deutschland bekam ein Umweltministerium. Daran hatten die Grünen aus der | |
| Opposition heraus ihren Anteil. Zurzeit dominieren sie von dort wieder den | |
| Diskurs. Im Klimaschutz sind sie das Original, die anderen machen Karaoke. | |
| Die Frage ist, was daraus folgt. Energiewende, Agrarwende, Verkehrswende – | |
| all das steht schon ewig auf der Tagesordnung. Getan wurde wenig. | |
| Ein Schlüsselbegriff der neuen Klimabewegung lautet: jetzt. Genau deshalb | |
| wird den beiden Vorsitzenden ihr Ehrgeiz gutgeschrieben. Selbst ein kleiner | |
| Wettstreit unter ihnen wirkt gewichtig – oder hatten die Volksparteien zu | |
| ihren besten Zeiten nicht immer zwei? Merkel und Schäuble, Schmidt und | |
| Brandt, die Paarungen demonstrierten auch Kraft und Größe. Und jetzt ist es | |
| eben bei den Grünen so. Habeck knapp vorn, Baerbock dicht dran. | |
| Pole-Position und Verfolgerin. | |
| ## Es fehlt an Wucht | |
| Doch irgendwann wird all das belanglos werden. Dass Habeck jetzt in einem | |
| Zeit-Interview gesagt hat, er hoffe, dass die Legislaturperiode gedeihlich | |
| zu Ende gehe, ist Quatsch. Die Grünen brauchen eine Bundestagswahl – so | |
| bald wie möglich. Aussichtslos ist das nicht. Wenn die SPD aus der Groko | |
| aussteigt, wenn Angela Merkel die Vertrauensfrage stellt und verliert, | |
| würde der Bundespräsident ziemlich sicher das Parlament auflösen. | |
| Dass in [2][Bremen] Rot-Rot-Grün erstmals in einem westdeutschen Bundesland | |
| zustande kommen kann, erweitert die Perspektiven der Grünen. Sie sollten | |
| jedoch den Teufel tun, sich für den Bund auf ein Regierungsbündnis | |
| festzulegen. Rot-Rot-Grün, Grün-Rot-Rot, Schwarz-Grün, Grün-Schwarz, | |
| Jamaika – wer 14 Jahre im Bundestag in der Opposition gewartet hat, lässt | |
| keine Option sausen. | |
| Die Grünen wollen endlich was verändern. Die Grünen sollten was verändern. | |
| Erst das wäre Erfolg. Sonst fehlt der Welle ihre Wucht. | |
| 9 Jun 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Georg Löwisch | |
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