| # taz.de -- Fridays For Future und Klimapolitik: Gretas unbequeme Wahrheit | |
| > Schaffen Fridays For Future einen neuen politischen Mainstream in | |
| > Deutschland? Es geht jedenfalls nicht darum, „das System“ zu stürzen. | |
| Bild: Kann man nervig finden, spricht aber unbequeme Wahrheiten aus: Greta Thun… | |
| Und dann rief ein Kind: „Der Kaiser ist ja nackt.“ Da sahen die Erwachsenen | |
| es plötzlich auch. So war das, als Greta Thunberg, 16, und Fridays For | |
| Future darauf hinwiesen, dass es keine Klimapolitik in Europa gibt, die | |
| auch nur annähernd dem entspricht, was die verantwortlichen Politiker mit | |
| dem Abkommen von Paris vereinbart haben. | |
| Einige Liberalkonservative ärgern sich schwer über Thunberg, weil ihnen ihr | |
| ernstes Kindergesicht, ihre ikonische Geschichte von Erweckungserlebnis und | |
| Umkehr sowie ihr körperliches und seelisches Leiden an der Erderhitzung | |
| einfach zu viel ist. Zumal wenn sie als Moral-Pin-up-Girl | |
| instrumentalisiert wird, um die stumpfe Gut-gegen-Böse-Kolportage | |
| wiederauferstehen zu lassen. | |
| Kann man nachvollziehen. Aber es verfehlt den entscheidenden Punkt. | |
| Die Heiligengeschichte von Thunberg ist nur eine narrative Oberfläche. Wenn | |
| schon, dann ist die „Religion“ der Gegenwart nicht der Wunsch nach | |
| Klimapolitik, sondern das Leugnen der Klimawissenschaft. Auch damit wird | |
| der scheinbar längst gewonnene Kampf gegen die Aufklärung neu inszeniert. | |
| Das Problem sind aber nicht die Tweetjacken-Gaukler von der AfD. Das | |
| Problem ist, dass eine aufgeklärte Mehrheitsgesellschaft sich zu lange | |
| nicht um die Erderhitzung geschert hat. | |
| ## Infantiler SUV-Hass | |
| Thunberg hat eine besonders unbequeme Wahrheit offengelegt. Dass gerade die | |
| Milieus, die sich aufgrund ihrer identitätspolitischen Liberalität für | |
| etwas moralisch Besseres halten (also wir), in dieser Sache mindestens so | |
| versagt haben wie die, die sie für moralisch schlechter halten. Isso. Da | |
| hilft auch der infantile SUV-Hass nicht. | |
| Das Gute ist: Fridays For Future kann eine nachholende | |
| Emanzipationsbewegung in allen Milieus auslösen, dank der die | |
| Mehrheitsgesellschaft ihre klimapolitische Unmündigkeit überwinden und sich | |
| zudem auf eine neue verbindende Gemeinsamkeit einigen kann. Wie der | |
| Klimawissenschaftler Anders Levermann in taz FUTURZWEI geschrieben hat: Was | |
| 70 Jahre die Vollbeschäftigung war, kann nun die sozialökologische | |
| Transformation sein, nämlich erste politische Priorität. Und zwar egal, | |
| welche Koalition gerade regiert und was ihre sonstigen Ziele sind. | |
| Die Wiener Philosophin Isolde Charim schreibt in ihrer Falter-Kolumne, dass | |
| die Friday-Kids eben nicht links, sondern „(neo)liberalisiert“ seien und | |
| ihr Ziel nicht Konsumverweigerung, ethische Optimierung oder Abkehr von der | |
| Moderne sei. Sondern eine sozialökologische Reparatur, damit für sie auch | |
| noch etwas übrig bleibt. Das kann sich im Jetzt in einem privaten | |
| Lebensstil mit drastisch reduziertem CO2-Verbrauch ausdrücken wie bei | |
| Thunberg. Muss es aber nicht. | |
| Dieser Ansatz könnte mehrheitsfähig werden. Dafür spricht auch der Aufstieg | |
| der Grünen zur führenden Partei der liberal-europäisch orientierten Bürger | |
| und die Irrelevanz der klimapolitisch rückständigen FDP. Die Kids, schreibt | |
| Charim, „befördern einen neuen Mainstream, der bislang nicht wusste, dass | |
| er einer ist“. | |
| Meine altlinken Freunde müssen jetzt stark sein, aber es geht bei Fridays | |
| For Future weder darum, das „System“ umzustürzen, noch den Menschen neu zu | |
| erfinden noch jenseits der bürgerlichen Gesellschaft ganz „anders“ zu | |
| leben. Es geht vielmehr darum, ein breites gesellschaftliches | |
| Mainstreambündnis zu schließen für die Sicherung des menschlichen | |
| Lebensraums durch ernsthafte Klimapolitik, das meint unter anderem | |
| emissionsfreies Wirtschaften, emissionsarme Mobilität und Reduzierung der | |
| Industriefleischproduktion. | |
| Das kann man radikal nennen oder nicht radikal genug. Es ist das, was wir | |
| wirklich tun können, und darum sollten wir es jetzt einfach machen. | |
| 11 Jul 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
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