# taz.de -- Grün-rot-rote Bundesregierung: Zurück zur sozialen Frage | |
> Die CDU tut so, als stünde der Sozialismus vor der Tür. Was würde | |
> Grün-Rot-Rot ändern? Einiges. Doch radikal wäre so ein Linksbündnis | |
> nicht. | |
Bild: Grün-Rot-Rot wird für die Parteien keine Idylle. | |
BERLIN taz | Machen wir mal etwas Verrücktes. Ignorieren wir die hilflose | |
Rote-Socken-Kampagne der CDU, die angesichts der [1][grün-rot-roten | |
Verhandlungen in Bremen] wieder mal so tut, als stehe der Sozialismus vor | |
der Tür. Reden wir stattdessen über Inhalte. Was würde Grün-Rot-Rot | |
tatsächlich in Deutschland ändern? | |
Klar ist: Bei Grün-Rot-Rot sind die Schnittmengen im Bund viel größer als | |
bei Schwarz-Grün. Zu diesem Schluss kommt man, wenn man die Programme | |
vergleicht. Der [2][Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung] | |
hat vor der Europawahl die Programme aller Parteien ausgewertet. Die | |
NutzerInnen konnten 38 Thesen anklicken, um ihre Präferenz zu erfahren. | |
Grüne, SPD und Linke vertreten bei 26 dieser Thesen die gleiche Position, | |
Union und Grüne nur bei 15 Thesen. | |
Eine grün-rot-rote Bundesregierung würde wahrscheinlich den Sozialstaat | |
erneuern. „Die soziale Frage wäre der Kern eines Bündnisses“, sagt Sven | |
Lehmann, sozialpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion und Befürworter von | |
Linksbündnissen. „Eine neue Grundsicherung, höhere Mindestlöhne und | |
armutsfeste Renten, bei diesen Themen ist die Union bisher das Hemmnis für | |
echte Fortschritte.“ | |
Alle drei Parteien wollen zum Beispiel Hartz IV verabschieden – und durch | |
eine neue Grundsicherung ersetzen. Die Grünen fordern eine sanktionsfreie | |
Grundsicherung mit höheren Regelsätzen, die laut Parteichef Robert Habeck | |
auf Anreize statt auf Strafen setzen soll. Die Linkspartei, die das | |
Copyright auf die Hartz-IV-Abschaffung hat, will eine sanktionsfreie | |
Mindestsicherung von 1.050 Euro. | |
Auch die SPD hat sich unter Andrea Nahles dazu durchgerungen, das toxische | |
Thema anzufassen. Sie ist aber vorsichtiger. Die Sozialdemokraten würden | |
bei ihrem „Bürgergeld“ die Sanktionen für jüngere Arbeitslose abschwäch… | |
sie aber nicht grundsätzlich abschaffen. Ältere Arbeitslose sollen nicht so | |
schnell aufs Grundsicherungsniveau fallen wie bisher. Die Höhe der | |
Regelsätze bliebe gleich. Trotz solcher Unterschiede könnte sich | |
Grün-Rot-Rot sicher verständigen. Sozialpolitiker Lehmann hält „spürbare | |
Verbesserungen“ für möglich. | |
Ähnlich sieht es anderswo aus. Grüne, SPD und Linke fordern unisono eine | |
Kindergrundsicherung. In ihr würden unterschiedliche Leistungen für Kinder | |
gebündelt. Die drei Parteien sind sich auch einig, dass der Mindestlohn | |
steigen muss. Die Linke will ihn auf 12 Euro pro Stunde erhöhen, selbst | |
SPD-Finanzminister Olaf Scholz sieht das so. Denkbar wäre, dass | |
Grün-Rot-Rot die Kommission, die den Mindestlohn festlegt, auf neue | |
Kriterien verpflichtet, etwa die Vermeidung von Altersarmut. | |
## Verteilungspolitik | |
Die Vermögen sind in Deutschland sehr ungleich verteilt. Die wohlhabendsten | |
10 Prozent der Haushalte besitzen etwa 60 Prozent des Gesamtvermögens, | |
stellt die Hans-Böckler-Stiftung fest. Die Union tut viel dafür, dass das | |
so bleibt. Sie stemmte sich in diversen Wahlkämpfen gegen | |
Steuererhöhungen, setzte in der letzten Groko eine windelweiche | |
Erbschaftsteuerreform durch und schützte so die Privilegien der Reichen. | |
Grüne, SPD und Linke stünden für mehr Umverteilung von oben nach unten. | |
Doch die Leidenschaft ist unterschiedlich ausgeprägt. Die Grünen sind laut | |
Programm für eine Vermögensteuer und für die Abschaffung umweltschädlicher | |
Subventionen. Ihre Spitzenleute scheuen aber klare Ansagen in der | |
Steuerpolitik, weil sie konservative WählerInnen nicht verschrecken wollen. | |
Auch die SPD agiert moderat. Sie fordert eine leichte Anhebung des | |
Spitzensteuersatzes, außerdem arbeitet sie an einem Konzept für eine | |
Vermögensteuer. Die Linkspartei geht radikaler zu Werke: Vermögensteuer von | |
5 Prozent, Spitzensteuersatz von 75 Prozent auf Einkommen oberhalb von | |
einer Million Euro. So etwas wäre weder mit der SPD noch mit den Grünen zu | |
machen. | |
Eine radikal neue Finanzpolitik könnte Grün-Rot-Rot sowieso nicht | |
betreiben. Das würde die Schuldenbremse im Grundgesetz verhindern, die die | |
SPD 2009 mit beschlossen hat. | |
## Außenpolitik | |
Als Sollbruchstelle eines Linksbündnisses gilt die Sicherheits- und | |
Außenpolitik. Die Linke werde sich nicht an einer Regierung beteiligen, die | |
„Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt“, heißt es im | |
Wahlprogramm. Das ist weniger apodiktisch, als es klingt. Wo kämpft die | |
Bundeswehr noch – und wo bohrt sie Brunnen? Diese Debatte wird in der | |
Linken seit Jahren differenziert geführt. Die Antikapitalistische Linke | |
scheiterte auf dem Parteitag 2017 damit, den Begriff „Kampfeinsätze“ durch | |
„Auslandseinsätze“ zu ersetzen – was faktisch alle Bundeswehreinsätze | |
verhindern würde. | |
Linkspartei-Reformer wie Stefan Liebich leiten daraus ab, dass Grün-Rot-Rot | |
an Bundeswehreinsätzen nicht scheitern müsste. „Wir sind uns einig: Die | |
Kampfeinsätze in Mali und Afghanistan müssen beendet werden“, sagt Liebich, | |
außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. „Aber ich finde auch immer noch, | |
dass wir uns jeden von den UN beschlossenen Einsatz im Einzelfall anschauen | |
müssen.“ Heißt: Da ginge was. Manche Bereiche wären sofort kompromissfähi… | |
Bei der Rüstungspolitik stellt Liebich fest, dass alle drei Parteien | |
weniger Rüstungsexporte wollen. „Hier wäre ein echter Kurswechsel möglich.… | |
Und manche Ansagen der Linken darf man nicht so ernst nehmen. Im Programm | |
fordert sie, die Nato aufzulösen – zugunsten eines Sicherheitssystems, das | |
Russland miteinbezieht. Doch allen ist klar, dass diese Forderung in einem | |
Regierungsbündnis keine Chance hätte. | |
Problematischer ist die romantische Russland-Verklärung in Teilen der | |
Linken. Putins autokratische Politik, die Unterdrückung der freien Presse | |
oder der Opposition werden schöngeredet, die Wirtschaftssanktionen der EU | |
als kontraproduktiv angesehen. Da gäbe es Redebedarf. | |
12 Jun 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Kommentar-Union-und-Gruen-Rot-Rot/!5599176 | |
[2] /Gerichtsbeschluss-zu-Online-Wahlhilfe/!5593661 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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