# taz.de -- Europawahl in Berlin: Grüner wird’s nicht!? | |
> Die Grünen schneiden mit rund 28 Prozent doppelt so stark ab wie die im | |
> Senat führende SPD. Das wird die Kräfteverhältnisse verschieben. | |
Bild: Hannah Neumann, eine der sechs grünen Berliner EU-Abgeordneten, neben Pa… | |
BERLIN taz | „Wenn man sich diese grüne Karte anschaut, dann sticht das | |
schon ins Auge.“ Ulrike Rockmann, Vize-Landeswahlleiterin und | |
Statistik-Expertin, wirkt nicht wie eine Frau, die normalerweise leicht zu | |
beeindrucken ist. Aber so eine Karte, die bei einer Wahlauswertung im Roten | |
Rathaus hängt, ist eben nicht normal. 20 Jahre ist es her, dass eine Partei | |
– damals die CDU – bei einer Europawahl in Berlin besser abschnitt als nun | |
die Grünen mit rund 28 Prozent. | |
Vom Wannsee bis zum Seddinsee im Südosten, von der Grenze zu Teltow bis zum | |
Panketal im Norden: Acht von zwölf Bezirken der Karte sind mit Grün für die | |
stärkste Partei eingefärbt. Nur wie bloße Farbspritzer muten sechs rote | |
Kleckse an, die die Reste einstiger Vormacht der SPD zeigen – jener Partei, | |
die doch den Regierungschef stellt. | |
Auch eine solche Umkehrung der Kräfteverhältnisse in einer Koalition gab es | |
noch nicht. Doppelt so stark wie die SPD mit ihren gerade mal 14 Prozent | |
haben die Grünen nun abgeschnitten – 2016 bei der Abgeordnetenhauswahl hieß | |
es noch 21,6 zu 15,2 Prozent zugunsten der SPD. Faktisch hat sich auf | |
Landesebene zwar nichts geändert: Das Rekordergebnis vom Sonntag bringt den | |
Grünen keinen zusätzlichen Sitz im Abgeordnetenhaus und keinen weiteren | |
Senatorenposten in der rot-rot-grünen Koalition. | |
Dennoch werden sich die Gewichte verschieben. Noch beim SPD-Parteitag Ende | |
März hatte Michael Müller, enttäuscht von – aus seiner Sicht – mangelnden | |
Zugeständnissen von Linkspartei und Grünen, angekündigt, man müsse „den | |
Konflikt auch in der Koalition führen“. Doch womit will Müller, will die | |
SPD denn ihren Partnern drohen? Mit dem Ende der Koalition und Neuwahlen? | |
Nichts käme den Grünen gelegener, als so das Umfragehoch zu nutzen und | |
erstmals den Posten des Regierungschefs übernehmen zu können. | |
Was die Grünen nicht wollen, wird fortan noch weniger als bislang | |
Senatspolitik werden, trotz aller offiziellen Richtlinienkompetenz des | |
Regierungschefs. Da kann Müller noch so oft daran appellieren, dass man | |
doch vereinbart habe, auch den Partnern Erfolge zu gönnen – selbst linke | |
Lagerverwandtschaft hat ihre Grenzen. „Ich bin bei den Grünen eingetreten, | |
weil die Grünen für mich die beste Partei sind“, sagte Grünen-Chef Werner | |
Graf vor ein paar Wochen der taz. | |
Seine geschwächte Rolle ist nicht nur für Müller misslich – sie kann auch | |
offizielle Gesprächspartner des Regierenden Bürgermeisters irritieren. Die | |
dürften sich fragen, ob sie überhaupt mit dem richtigen Mann reden, wenn | |
dessen Partei so sehr auf dem Weg nach unten ist. Und ob sie sich nicht | |
sicherheitshalber auch mit den führenden Grünen-Frauen Ramona Pop und Antje | |
Kapek unterhalten sollten, der Wirtschaftssenatorin und der | |
Fraktionschefin. | |
Es bleibt abzuwarten, ob die Grünen nicht der Versuchung erliegen, | |
Neuwahlen zu provozieren – aus Furcht, ihr Umfragehoch könnte sich bis zur | |
regulären erst im Herbst 2021 anstehenden Abgeordnetenhauswahl genauso | |
verflüchtigen wie schon mal. 2010 und 2011 brachten ein Hype um die | |
mögliche und dann tatsächliche Spitzenkandidatin Renate Künast und die | |
Fukushima-Katastrophe die Partei zwischenzeitlich auf 30 Prozent und mehr. | |
Bei der Wahl im Herbst 2011 blieben davon nur 17,6 Prozent übrig. | |
Wobei fraglich ist, wie sich Neuwahlen erklären ließen, wenn klar ist, dass | |
die Koalition danach wieder aus einem Bündnis von Grünen mit SPD und | |
Linkspartei bestünde – bloß nicht mehr als R2G, sondern GR2. Denn alle drei | |
Parteien versichern bei allen kleinen und größeren Konflikten, dass | |
zwischen ihnen größere Nähe als zu anderen bestünde. | |
Was angesichts der nicht nur für Statistikerin Rockmann so eindrucksvollen | |
grünen Karte und dem fast kompletten Verschwinden der SPD davon in den | |
Hintergrund gerät, sind die Verluste der Linkspartei gegenüber der | |
Europawahl 2014. Die bewegen sich mit 4,3 Prozentpunkten in der gleichen | |
Größenordnung wie die CDU mit 4,8. Keinen Erfolg hatte offenbar der | |
Versuch, den EU-Wahlkampf mit Plakaten für das Enteignungs-Volksbegehren zu | |
unterfüttern. | |
Bei keiner Partei ist der Unterschied zwischen der jüngsten Umfrage zur | |
Landespolitik – 18 bis 20 Prozent – und dem Berliner Europawahlergebnis von | |
11,9 Prozent größer. Ob die Verluste auch Auswirkungen auf Landesebene | |
haben, wird erst die nächste Umfrage zeigen. Immerhin ist die Linkspartei | |
mit Rosa-Rot noch auf Rockmanns grüner Karte drauf – in Lichtenberg und | |
Marzahn-Hellersdorf war sie auch am Sonntag stärkste Partei. | |
27 May 2019 | |
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Stefan Alberti | |
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