# taz.de -- EU-Wahlerfolge der grünen Parteien: Von der Straße ins Parlament | |
> Künftig sitzen europaweit 18 Grüne mehr im EU-Parlament. Doch um ihre | |
> Klimaziele durchzusetzen brauchen sie Verbündete. Wer kommt in Frage? | |
Bild: Für mehr Klimaschutz: Fridays-for-Future-Protest in Barcelona | |
Berlin taz | AfD-Chef Jörg Meuthen will „Umweltschutz“. Das ist zwar so | |
glaubhaft, als würde Christian Lindner eine Räterepublik fordern und | |
vielleicht war Meuthen schlicht emotional verwirrt, am Sonntagabend, nach | |
der EU-Wahl. Schließlich waren die Grünen mit ihrem Pro-EU Kurs für mehr | |
Klimaschutz da gelandet, wo Meuthen hin wollte – bei über 20 Prozent. Die | |
AfD mit einem Anti-Europa-Anti-Flüchtlinge-Anti-Anti-Kurs kam gerade mal | |
auf die Hälfte. | |
Jedenfalls, als ZDF-Moderator Christian Sievers Meuthen fragte, wozu man | |
die EU brauche, da erwiderte der: Binnenmarkt, Umweltschutz, Grenzschutz. | |
In der Reihenfolge. Vor einem Jahr noch zerbrach sich das Land den Kopf, | |
wie sich die Debattenhoheit der Rechten brechen ließe. Dann setzte sich | |
eine völlig unbekannte, 16-jährige junge Frau namens Greta in Schweden vor | |
das Parlament und schulstreikte. Sie fegte die braune Debattenhoheit weg, | |
als verfüge die Thunberg über telepathische Kräfte. Die EU-Wahl mutierte in | |
Deutschland [1][schneller zu einer Klimawahl], als Rezo „Die Zerstörung der | |
CDU“ sagen kann. | |
Danke, Weltgeist. Aber künftig europaweit 18 grüne EU-Parlamentarier mehr | |
macht noch kein Gramm CO2 weniger in der Atmosphäre. | |
Mit Glück war dieser Rechtsruck in Deutschland der letzten Jahr nur eine | |
statistische Anomalie. So wie es manchmal verregnete, kalte Sommer gibt, | |
die noch kein Ende der globalen Erwärmung bedeuten, so gibt es politisch | |
verregnete Zeiten. Der langfristige Trend der letzten Jahrzehnte allerdings | |
ist eine Ökologisierung von Politik und Wirtschaft. Wenn die Grünen | |
abräumen, ist das meist ein Zeichen, dass der Rest beim Klimaschutz gerade | |
versagt. | |
## Umweltpolitiker gibt's auch in anderen Parteien | |
69 von 751 Abgeordneten sind jetzt Grüne. Absolute Mehrheit knapp verfehlt. | |
Jetzt muss sich der Rest bewegen. Aber die gute Nachricht ist, dass in der | |
letzten Legislaturperiode das Europaparlament bei fast allen Klimagesetzen | |
– CO2-Minderungen bis 2030 insgesamt und für Autos etwa – auch ohne | |
grün-diktatorische Vollmachten mehr wollte als die Mitgliedstaaten oder die | |
EU-Kommission. Und sich teilweise damit auch durchsetzte. | |
Es gibt eben auch gute Umweltpolitiker in anderen Fraktion, etwa bei den | |
Liberalen aus Skandinavien – die nennt Rebecca Harms als Beispiel, wenn man | |
sie fragt. Klimaschutz ist mehr als 20 Prozent für die Grünen in | |
Deutschland. Zum Glück. Darin liegt die Chance in den nächsten fünf Jahren | |
in Brüssel. | |
Die Frage derzeit ist, ob es für den Klimaschutz einen guten Start in | |
Brüssel gibt, um die Forderungen der Straße auch ins Parlament zu tragen. | |
Die Chancen stehen gut, besser gesagt: Wenn die Liberalen den Arsch | |
hochkriegen, dann stehen sie sogar sehr gut. Am heutigen Dienstag werden | |
die Staats- und Regierungschefs der EU beginnen, um den neuen Chef der | |
Kommission auszuhandeln. Der muss aber vom Parlament gewählt werden. | |
Manfred Weber, Frans Timmermans oder Margrethe Vestager sind im Rennen. | |
Letztere oder den derzeitigen Brexit-Beauftragten Michel Barnier will der | |
französische Präsident Emmanuel Macron durchsetzen. Da wird es in Sachen | |
Klima interessant: Alle Kandidat*innen brauchen die Stimmen der | |
Europäischen Volkspartei, also in Deutschland der Union, und der | |
Sozialdemokraten. Das reicht aber nicht. Dazu sind entweder die Stimmen der | |
Grünen-Fraktion nötig oder die der liberalen Fraktion, in der auch die FDP | |
sitzt. Letzteres sind die eigentlichen Gewinner der Wahl. Keine Fraktion | |
hat so viele Sitze hinzugewonnen, 39 an der Zahl. | |
Und das gibt den Liberalen schicksalhafte Bedeutung. Der Beitrag der FDP in | |
Deutschland zum Klimaschutz begrenzt sich vor allem darauf, zu behaupten, | |
die Grünen würden Steaks verbieten wollen. Sieht man mal von ihrer Idee ab, | |
den Emissionshandel auszuweiten. Den sie zuvor auf EU-Ebene torpediert | |
haben, aber egal. | |
## Bundesregierung in Richtung Klimaschutz zerren | |
Aber in anderen Ländern sind die Liberalen wesentlich progressiver. So | |
stimmten viele Alde-Abgeordneten Ende 2018 für deutlich schärfere | |
CO2-Grenzwerte für Pkws, die deutschen FDPler waren dagegen. Als | |
drittstärkste Fraktion versucht Alde gerade, die eigene Kandidatin | |
Margrethe Vestager als künftige Kommissionspräsidentin durchzusetzen, die | |
bisherige EU-Kommissarin für Wettbewerb. | |
Das European Environmental Bureau, eine Dachorganisation europäischer | |
Umweltverbände in Brüssel, gibt ihr und ihrer Fraktion einen | |
Vertrauensvorschuss: Um das Artensterben zu stoppen, wollen die Liberalen | |
ein ähnliches internationales Abkommen wie zum Klimaschutz aushandeln. | |
Vestager will die Steuervergünstigungen für Kerosin abschaffen und tritt | |
für eine nachhaltigere Landwirtschaft ein. Sie will gleich mehrere | |
Kommissare, die sich mit Klima- und Umweltschutz beschäftigen, etablieren. | |
Eine Gruppe von Alde-Abgeordneten forderte im März, die EU solle ihre | |
CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent senken statt um 40 Prozent. | |
Eine entscheidende Rolle in der nächsten Woche wird der französische | |
Präsident Emmanuel Macron spielen. Der geht seit zwei Jahren mit diversen | |
guten [2][Ideen zum Klimaschutz] hausieren. Er forderte beispielsweise eine | |
Klimabank, um den ökologischen Wandel in Europa zu finanzieren, höhere | |
Kosten zum Ausstoß für CO2 und dachte sogar nach, an den EU-Grenzen eine | |
Art Klimazoll einzuführen, wenn Billigprodukte mit schlechter Klimabilanz | |
eingeführt werden. | |
Und Macron will die Europawahl nutzen, um die Blockade der Bundesregierung | |
gegenüber seinen Ideen aufzubrechen – und ist strikt gegen den deutschen | |
Kandidaten Manfred Weber. Das sagt einer, er es wissen muss: der | |
Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, der nach noch am Wahlabend zwei | |
Stunden mit Macron zusammensaß. Ein Grund ist, dass der französische | |
Präsident gegen die Spitzenkandidaten-Idee in der jetzigen Form ist. Aber | |
eben auch: „Macron ist gegen Weber, weil der nicht Träger einer Politik des | |
ökologischen Wandels ist“, sagt Cohn-Bendit. | |
Größter Block in der Alde-Fraktion ist Macrons En Marche. Das bedeutet | |
also: Beide Fraktionen, Grüne wie Liberale, deren Stimmen für die Wahl | |
eines Kommissionspräsidenten nötig sind, wollen mehr ökologischen Umbau. | |
Auch während der nächsten fünf Jahre wird ohne die beiden kaum ein Gesetz | |
Mehrheit finden – es sei denn, die EVP stimmt mit Rechtspopulisten und | |
verabschiedet sich endgültig vom Klimaschutz. | |
Das allerdings dürfte kaum möglich sein, angesichts der grünen Polonaise in | |
Deutschland. Denn während die Rechtspopulisten noch plakatieren, man müsse | |
den Diesel retten, schaffen ihn die Autokonzerne ab. Die Union schielt nach | |
hinten auf die AfD, während der Rest der Gesellschaft die eigene Regierung | |
wie einen störrischen, alten Esel in Richtung Klimaschutz zerrt. | |
27 May 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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