| # taz.de -- Kommentar Bedeutung der Europawahl: Fürs Klima streiten statt kusc… | |
| > Die Ergebnisse der Europawahl sind ein Erfolg fürs Klima. Das sollte | |
| > nicht in Plüsch-PR münden, sondern in Gestaltungsmacht. | |
| Bild: Für Europa gibts ein lebenswichtiges Thema. Ganz gleich, was die Rechten… | |
| Diese Wahl war die erste ohne Angela Merkel. Die Noch-Kanzlerin machte sich | |
| rar und setzte ihre Restmacht nicht mehr ein im Ringen um ein offenes, ein | |
| liberales Europa. Sie hat die anderen agieren lassen, „die Anführerin der | |
| freien Welt“, denn so lautet ja jener Ehrentitel, der in seltsamem | |
| Gegensatz zum Understatement dieser Politikerin steht. Man muss nach diesem | |
| Sonntag sagen: Die freie Welt hat es schwer, [1][aber sie kommt klar]. | |
| In Frankreich ist Le Pens Front National stärkste Kraft, in Italien | |
| Salvinis Lega, und Orbán hat in Ungarn auch wieder gewonnen. Aber ein | |
| Durchmarsch der Retro-Nationalisten war es auch nicht, [2][im neuen | |
| Europaparlament] bleiben sie eine Minderheit. Die Mehrheit jener, die | |
| Europa wollen – sie steht. | |
| Nochmal zu Merkel: In ihren nun fast 14 Regierungsjahren hat sie die | |
| Ungleichheit auf dem Kontinent eher befördert, ambitionierte Projekte zur | |
| Entwicklung der EU ignoriert und den Kampf gegen die Erhitzung der Erde | |
| behindert. Europa und das Klima, beide hat Merkel nicht voran gebracht. | |
| Jetzt, bei dieser ersten Wahl ohne sie, haben beide einen politischen Schub | |
| bekommen. | |
| Erstens: Diese Europawahl war eine Europawahl. Früher waren die Wahlen zum | |
| Brüsseler Parlament eher ein Barometer der Bundespolitik, ein wenig | |
| Infratest de Luxe. Ja, auch diesmal spielten Fragen der Mitgliedsstaaten | |
| eine Rolle, auch am Sonntag schauten die Bürgerinnen und Bürger, wie es in | |
| ihren Hauptstädten läuft. Aber im Zentrum standen Konflikte, die eng mit | |
| der EU verbunden sind, etwa [3][Brexit], Migration, Rechtsstaatlichkeit. | |
| Die Idee der EU gegen den Nationalismus – diese Auseinandersetzung wurde | |
| ausgefochten, und viele kämpften um Europa. Es gaben EU-weit so viele | |
| Menschen ihre Stimme ab wie seit 20 Jahren nicht mehr bei einer Europawahl. | |
| Zweitens: Diese Europawahl war eine Klimawahl. Das zeigt sich deutlich | |
| [4][in Erfolgen der Grünen] in Frankreich, Finnland, Österreich – und in | |
| Deutschland. Die deutschen Grünen gewannen 20 Prozent. Das ist viel, zumal | |
| ihnen kleine Clubs wie ÖDP, Tierschutzpartei oder Piraten bei dieser Wahl | |
| mehr Konkurrenz machten als sonst, da es keine Sperrklausel für den Einzug | |
| ins Parlament gibt. In Deutschland haben die Grünen Millionen frühere | |
| Nichtwähler mobilisiert. Und sie haben die Sozialdemokratie überholt. Dass | |
| SPD-Chefin Andrea Nahles nach der Wahl als erstes Thema den Klimaschutz | |
| ansprach, zeigt die Bedeutung diese Frage, in der die Grünen glaubwürdiger | |
| sind als alle anderen. | |
| Darunter litten auch CDU und CSU. Schon erstaunlich, dass sich beide am | |
| Sonntagabend dafür lobten, dass die Union stärkste Kraft wurde. Man ist | |
| bescheiden geworden im Hause Kramp-Karrrenbauer. Und, das muss man auch | |
| sagen, sich an manchen Stellen von Merkel abzugrenzen, hat der neuen | |
| CDU-Chefin nicht besonders viel gebracht. Falls in Berlin die schwarz-rote | |
| Bundesregierung in den nächsten Monaten doch platzt, gehen die Grünen mit | |
| einer starken Ausgangsposition in Neuwahlen. Ihr Spitzenduo Baerbock/Habeck | |
| ist beliebt und einig, ihre Organisation kampagnenfähig, ihre Themen klar | |
| und dringlich. | |
| Falls die Groko so weiter siecht, ist das für die Grünen auch schön. Je | |
| mutloser CDU, CSU und SPD wirken, desto selbstbewusster kommen die Grünen | |
| rüber. Sie dominieren den Diskurs, und mit ihnen ihr wichtigstes Thema. Das | |
| ist erfreulich, denn die Bekämpfung der Klimakrise gehört in der | |
| Prioritätenliste der Politik dauerhaft nach vorn. | |
| Drittens: Diese Wahl enthält Anzeichen, dass ein Gegensatz die | |
| Auseinandersetzung künftig stark prägen wird: der zwischen Klimabewegung | |
| und rechter Bewegung. Die Klimakrise ist ein globales Problem, das am | |
| besten global, wenigstens aber kontinental bearbeitet werden muss. Genau an | |
| dieser Art Zusammenarbeit arbeiten sich Nationalisten ab. Von allen | |
| Ängsten, dass der Klimaschutz mit seinen vielen Einzelproblemen das Leben | |
| verändern wird, kann die AfD ihre Wähler mit einem einzigen Hauptsatz | |
| entlasten: Den Klimawandel gibt es nicht. Das ist gefährlich. | |
| In Kohleregionen von Brandenburg und Sachsen stehen nicht nur Arbeitsplätze | |
| auf dem Spiel, der Tagebau samt Kraftwerken gehört für viele Menschen zu | |
| ihrer Biographie. Der [5][Kampf gegen Kohle bedroht sie in ihrer | |
| Identitä]t. Dass die AfD hier stärkste Kraft wurde, könnte auch damit | |
| zusammenhängen. Angst ist ihr Rohstoff, Verhärtung und Verhetzung sind ihre | |
| Instrumente. Gerade die Grünen müssen daran arbeiten, Sprachlosigkeit in | |
| diesen Regionen aufzuknacken. Sie tut der Demokratie nicht gut. | |
| Die Grünen haben den Wahlsonntag als „Sunday for Future“ gelabelt, im | |
| Hintergrund tanzte jemand im Eisbärkostüm. Aber es wird nicht reichen, sich | |
| mit Plüsch-PR bei der neuen Klimabewegung einzukuscheln. In Brüssel muss | |
| die Klimawahl in Gestaltungsmacht umgesetzt werden. Die Chance ist da. Der | |
| christsoziale EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber und [6][die sozialliberale | |
| Margrethe Vestager] konkurrieren um die Präsidentschaft der EU-Kommission. | |
| Weber und Vestager sind bisher nur Scheinriesen, denen klare Mehrheiten | |
| sowohl bei den Staats- und Regierungschefs als auch im Parlament fehlen. | |
| Daneben gibt es auch noch den niederländischen Sozialdemokraten Frans | |
| Timmermans. Berufen wird der Kommissionspräsident oder die Präsidentin von | |
| den Regierungen. Hier läuft dann nochmal Angela Merkel durchs Bild: Sie | |
| unterstützt Weber, während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Vestager | |
| favorisiert. | |
| Wer die EU-Kommission führen will, braucht aber auch eine Mehrheit im | |
| Parlament, er oder sie braucht die Grünen. Sie müssen den anderen mehr | |
| Klimaschutz abhandeln. Die Abstimmung über das mächtigste Amt in Brüssel: | |
| Sie ist gleich die nächste Klimawahl. | |
| 27 May 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Georg Löwisch | |
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