| # taz.de -- SPD will Doppelspitze ermöglichen: Geteiltes Leid ist halbes Leid | |
| > Die SPD öffnet sich für Teams im Parteivorsitz – auch aus Verzweiflung. | |
| > Aber wer will? Interessant ist, dass Juso-Chef Kevin Kühnert abgetaucht | |
| > ist. | |
| Bild: Wollen alle drei nicht Chef werden: Schwesig, Schäfer-Gümbel und Dreyer | |
| Berlin taz | Die SPD möchte zum ersten Mal in ihrer Parteigeschichte eine | |
| Doppelspitze ermöglichen. Es müsse möglich sein, dass zwei sich die große | |
| Aufgabe teilten, sagte die [1][kommissarische Parteichefin Malu Dreyer] am | |
| Montag im Berliner Willy-Brandt-Haus. Die Parteimitglieder könnten sich in | |
| Zukunft zwischen Einzelpersonen und einem Team aus zwei Leuten an der | |
| Parteispitze entscheiden. | |
| Dreyer hatte einen gut siebenstündigen Sitzungsmarathon hinter sich. Die | |
| SPD-Gremien berieten den ganzen Tag über ein Verfahren, mit dem die nächste | |
| Parteispitze bestimmt werden soll. Ziel sei gewesen, eine „hohe | |
| Legitimation“ durch eine starke Beteiligung der Mitglieder zu erreichen, | |
| betonte Dreyer. Außerdem solle Schwung in die Partei gegeben und der | |
| Zusammenhalt gestärkt werden. „Wir wagen damit auch Neues“, betonte Dreyer. | |
| Die Idee: Innerhalb einer bestimmten Frist können sich Zweier-Teams oder | |
| Einzelpersonen melden, die Interesse am Parteivorsitz haben. Man ermutige | |
| ausdrücklich dazu, dass sich Teams bewerben, sagte Thorsten Schäfer-Gümbel, | |
| ebenfalls kommissarischer SPD-Chef. „In den Teams (…) muss dringend eine | |
| Frau dabei sein.“ | |
| Im September und Oktober werde die SPD 20 bis 30 Regionalkonferenzen | |
| organisieren, in denen sich die Teams und die Einzelkandidaten vorstellen. | |
| Dann werden die 440.000 SPD-Mitglieder über den Vorsitz abstimmen. Wenn | |
| keine Variante eine Mehrheit von über 50 Prozent bekommt, gibt es eine | |
| Stichwahl. | |
| ## Jedes Mitglied darf – theoretisch | |
| Jedes Mitglied könnte also theoretisch SPD-Vorsitzender werden. Einzige | |
| Bedingung: Wer antreten will, braucht die Unterstützung von fünf | |
| Unterbezirken oder einem Bezirk oder einem Landesverband. Am 26. Oktober | |
| soll die Entscheidung der Mitglieder bekannt gegeben werden, ein | |
| SPD-Parteitag soll sie im Dezember bestätigen. Dies gilt jedoch als reine | |
| Formalie. Die Entscheidung über den Parteivorsitz werde so nicht im | |
| Hinterzimmer getroffen, sagte die dritte kommissarische SPD-Chefin Manuela | |
| Schwesig. Sie erwarte eine „lebendige Debatte“ darüber, wer geeignet sei. | |
| Die Öffnung für Doppelspitzen ist eine Flucht nach vorne. Eigentlich ist | |
| die SPD eine hierarchieverliebte Partei, die Widersprüche lebt. Einerseits | |
| sehnt sie sich nach starken Führungsfiguren, andererseits gibt es einen | |
| riesigen Verdruss über Basta-Ansagen. Das zeigte sich zuletzt, als Andrea | |
| Nahles versuchte, ihre internen GegnerInnen zu überrumpeln und die Wahl des | |
| Fraktionsvorsitzes vorzuziehen. Der Schuss ging nach hinten los: | |
| Abgeordnete sagten ihr danach ins Gesicht, dass es mit ihr nicht mehr gehe. | |
| Drei Wochen ist es her, dass sie sich nach heftiger interner Kritik vom | |
| Partei- und Fraktionsvorsitz zurückzog. Danach war selbst den | |
| Traditionalisten in der SPD-Führung klar, dass es so nicht weitergehen | |
| kann. Deshalb soll jetzt die Basis ran. Im Vorfeld hatte die SPD-Spitze | |
| Kommunalpolitiker, Ortsvereine und Mitglieder dazu aufgerufen, Wünsche zu | |
| äußern. Laut SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil meldeten sich mehr als | |
| 23.000 GenossInnen. | |
| Viele hätten sich für die Doppelspitze ausgesprochen, sagte Klingbeil vor | |
| den Gremiensitzungen am Montag. Auch ungewöhnliche Ideen kursierten: | |
| Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann hatte etwa vorgeschlagen, | |
| Nichtmitglieder an der Wahl des Parteivorsitzenden zu beteiligen – gegen | |
| eine Gebühr von 5 Euro. Doch die Idee, die Vorsitzendenwahl als | |
| Kirmeslotterie zu gestalten, war dann doch zu abwegig. | |
| ## Viele sagten ab, manche schweigen | |
| Das Interesse am Parteivorsitz ist sowieso überschaubar. Kein Wunder: Die | |
| neuen ChefInnen müssen einer erschöpfte Partei verwalten. Die SPD steht in | |
| Umfragen bei 12 bis 14 Prozent und schleppt sich in der ungeliebten | |
| Koalition mit der Union dahin. Über allem schwebt die Frage, ob die SPD | |
| nicht besser aus der Groko flüchten sollte. Mehrere prominente | |
| Sozialdemokraten haben bereits dankend abgewinkt. | |
| Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz etwa behauptet, dass er den Job | |
| neben seinen anderen Aufgaben zeitlich nicht schafft. Als hätte es Angela | |
| Merkel, die ewig Kanzleramt und CDU-Vorsitz besetzte, nie gegeben. Auch die | |
| drei Interimsvorsitzenden – Schwesig, Dreyer und Schäfer-Gümbel – haben | |
| abgesagt. Deshalb richten sich die Blicke auf jene, die eine Kandidatur | |
| offenlassen – oder vielsagend schweigen. | |
| Da wäre zum Beispiel Franziska Giffey, die als Familienministerin eine gute | |
| Figur macht. Giffey ist in der Partei beliebt, spricht eine klare Sprache | |
| und gilt als zupackend – allerdings wird gerade ihre Doktorarbeit wegen | |
| möglicher Plagiate durchleuchtet. Eine Aberkennung der Promotion würfe ein | |
| schlechtes Licht auf eine neue Chefin. Stephan Weil, der mächtige | |
| Ministerpräsident von Niedersachsen, äußert sich eher ablehnend – würde | |
| sich aber wohl bitten lassen, wenn die Partei ihn riefe. | |
| Auch Lars Klingbeil, Generalsekretär und Experte für Digitales, hat eine | |
| Kandidatur nicht ausgeschlossen. Und dann wäre da ja noch [2][Juso-Chef | |
| Kevin Kühnert], der sich traut, laut über Sozialismus nachzudenken – und | |
| aus der Groko austreten will. Er als Vorsitzender, das ist gerade für | |
| rechte SPDler eine Horrorvision. Kühnert, der normalerweise in Medien sehr | |
| präsent ist, ist seit Andrea Nahles’ Abgang abgetaucht. Das spricht dafür, | |
| dass er zumindest ernsthaft über eine Kandidatur nachdenkt. | |
| 24 Jun 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Nach-Ruecktritt-von-Andrea-Nahles/!5599838 | |
| [2] /Debatte-Kevin-Kuehnert-zu-Enteignung/!5590059 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
| ## TAGS | |
| SPD-Basis | |
| Kevin Kühnert | |
| SPD | |
| Andrea Nahles | |
| Sozialdemokratie | |
| SPD-Parteitag | |
| Thomas Oppermann | |
| Rot-Rot-Grün | |
| Kevin Kühnert | |
| SPD | |
| SPD | |
| SPD | |
| SPD | |
| Andrea Nahles | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Thomas Oppermann ist tot: SPD-Politiker überraschend verstorben | |
| Der Bundestagsvizepräsident und langjährige SPD-Mann Thomas Oppermann ist | |
| am Sonntag im Alter von 66 Jahren gestorben. Die Ursache des plötzlichen | |
| Tods ist unklar. | |
| Kommentar SPD auf Selbstfindungstrip: It's the Inhalte, stupid! | |
| Doppelspitze, Fristen, Anträge: Die SPD redet mal wieder leidenschaftlich | |
| über Verfahrensfragen. Aber wo bleibt die Grundsatzdebatte über den Kurs? | |
| Kommentar SPD-Vorsitz und Kühnert: Größtes Risiko: kein Risiko | |
| Die SPD sucht mit Hilfe der Basis eine Doppelspitze. Gute Idee. Noch | |
| wichtiger ist aber, dass sie die GroKo verlässt, dafür sollte Kühnert | |
| sorgen. | |
| Debatte Zerstrittene SPD und Linke: Letzte Chance Wiedervereinigung | |
| SPD und Linke entzweit die Vergangenheit, nicht die Zukunft. Denn | |
| programmatisch sind sie gar nicht so verschieden. | |
| SPD in der Krise: Banges Warten auf die Grünen | |
| Die Zukunft der SPD ist unklar. Manche Genossen wollen „für Rot-Rot-Grün | |
| kämpfen“ – aber dort würden Grüne den Ton angeben. | |
| Karl Lauterbach über die Krise der SPD: „Wir können uns schlecht verkaufen�… | |
| Angesichts herber Wahlniederlagen erinnert der Fraktionsvize an die | |
| konstanten Erfolge der SPD. Man müsse nun eine Mitte-Links-Regierung | |
| forcieren. | |
| Debatte Sozialdemokratie in der Krise: Die SPD muss etwas riskieren | |
| Zögerlichkeit, eine tote Sprache, die Groko und keine Ideen für die Zeit | |
| jenseits der Volksparteien. Wenn die SPD so weitermacht, verliert sie | |
| alles. | |
| Rücktritt von Andrea Nahles: Abgang mit Knall | |
| Am Ende war der Druck aus der SPD zu groß. Andrea Nahles tritt als Partei- | |
| und Fraktionschefin zurück – und hört sogar als Bundestagsabgeordnete auf. |