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# taz.de -- Debatte Zerstrittene SPD und Linke: Letzte Chance Wiedervereinigung
> SPD und Linke entzweit die Vergangenheit, nicht die Zukunft. Denn
> programmatisch sind sie gar nicht so verschieden.
Bild: Viele verzeihen Lafontaine nicht, dass er die SPD verließ und dann der K…
Zwischen Linkspartei und SPD gelten noch nicht mal die Basis-Regeln
gesitteten Streits. 2018 bepöbelte Linkspartei-Mann Diether Dehm
Außenminister Heiko Maas als [1][„gut gestylten Nato-Strichjungen“]. Das
war auch ein paar Linkspartei-Genossen so peinlich, dass sie – vergeblich –
Dehms Rauswurf forderten.
Bemerkenswert an dieser zwischen Beschämung und Bagatelle angesiedelten
Affäre ist: Dehm war 33 Jahre lang in der SPD und beteuert danach, er leide
unter jedem Prozent, das die SPD verliere.
Die Liste der Beschimpfungen und Verdammungen, die sich Linkspartei und SPD
gegenseitig an den Kopf geworfen haben, ist lang. Die Linkspartei, im
Westen von linken Sozialdemokraten gegründet, brachte nach 2009 das
Kunststück fertig, die schon damals ziemlich ruinierte SPD noch in der
Opposition zu bekriegen. Als Sündenfälle galten: Hartz IV,
Afghanistankrieg, Rente. Die SPD blockierte nicht nur in Hessen und NRW die
machtpolitisch naheliegende Annäherung an die linke Konkurrenz. Das folgte
der fatalen Logik einer Ehekrise: Lieber schade ich mir selbst, als dir
etwas zu gönnen.
Von beiden Seiten wurden mit Beton Abgrenzungen markiert. Das Affektniveau
war hoch. Betonte man die Distanz, weil die Beziehung doch ambivalent war?
Ein Bonmot brachte die Mixtur von Nähe und Distanz auf den Punkt. „Was
haben SPD und die Linkspartei im Westen gemeinsam? In beiden Parteien gibt
es fast nur enttäuschte Sozialdemokraten.“
## Eine geistesgeschichtliche Herausforderung
Ein prominenter linker SPDler und ein Linksparteiabgeordneter brachten es
beim Kneipengespräch mal fertig, sich gegenseitig lautstark Verrat
vorzuwerfen – und fünf Minuten später zu ventilieren, ob man die beiden
Parteien nicht doch vereinen sollte. Ein scharfsinniger Beobachter wie
Heiner Geißler kam schon vor zehn Jahren auf die Idee, dass es eine
„geistesgeschichtliche“ Herausforderung sei, die zerstrittenen Geschwister
wieder zu vereinen.
Eine Idee, die scharfe Dementis oder mindestens Kopfschütteln hervorruft.
Aber warum? Wegen der Geschichte. Der Mord an Luxemburg und Liebknecht 1919
ist ein Gründungsmythos der radikalen Linken. Die SPD ist erbittert über
die Zwangsvereinigung zur SED 1946, als Sozialdemokraten in der DDR in
stalinistische Lager gesperrt wurden. Viele SPDler verzeihen es ihrem
Ex-Vorsitzenden Oskar Lafontaine bis heute nicht, dass er erst die Partei
verließ und dann der Konkurrenz auf die Beine half. Und so weiter.
Das darf man nicht unterschätzen. Die – aus SPD-Sicht – glanzvolle, aus
PDS-Sicht gebrochene Geschichte dient beiden Parteien als Identitätskitt,
gerade in Krisenzeiten. Für beide ist historisches Bewusstsein wichtig –
viel mehr als für die Konservativen, die mit ein wenig Adenauer- und
Kohl-Folklore auskommen, oder die Grünen, die frei von historischem
Bewusstsein sind.
Was SPD und Linkspartei tief entzweit, ist die Vergangenheit. Die Zukunft
eher nicht.
## Wo verläuft der trennende Graben?
Ein von Linksparteipolitikern gerne vorgetragenes rhetorisches Argument
Richtung SPD lautet: Werdet erst mal wieder sozialdemokratisch. Nun ist die
SPD gerade dabei, das zu tun. Erzwungen durch etliche Wahlniederlagen reift
zaghaft das Bewusstsein, dass der Flirt mit dem Neoliberalismus fatal war.
2019 entgehen Sozialdemokraten in Europa nur dort dem Untergang, wo sie
sozial- und wirtschaftspolitisch klar links funken.
Ein paar unverbesserliche SPD-Rechte werden das nie begreifen. Doch das
Gros der Sozialdemokratie nähert sich, mit der für die GenossInnen
typischen Betulichkeit, dieser Erkenntnis an.
Die Existenz der Linkspartei im Westen ist direkt mit der Krise der
Sozialdemokratie 2003 verklammert. Die PDS wäre eine Regionalpartei
geblieben. Parteien sind immer Organisationen, die den Anlass ihrer
Gründung überdauern. Aber es fragt sich: Wo verläuft der trennende Graben
zwischen Linkspartei und SPD, wenn die wirklich Hartz IV abschaffen, die
Renten erhöhen und Bundeswehreinsätze im Ausland beenden wollen?
Wenn die lärmende Mechanik von Attacke und Gegenattacke stillsteht, wird
sichtbar: Programmatisch sind SPD und Linkspartei nicht so verschieden.
Beide sind etatistisch und überzeugt, dass sich nur Reiche einen armen
Staat leisten können. Sie sehen die Gesellschaft eher vom Staat her,
weniger vom Individuum wie die liberalen Parteien FDP und Grüne.
## Reibungsflächen sind geschrumpft
Zur DNA beider Parteien gehört ein empathischer Begriff des Sozialen. Beide
betrachten, anders als Liberale oder Konservative, die Gesellschaft aus der
Perspektive der Arbeit. Beide sind reformistische Parteien, mit einer recht
alten Mitgliedschaft und engen Beziehungen zu den Gewerkschaften. Auch die
Linkspartei will keine Revolution, sondern höhere Erbschaftsteuern, Löhne
und Renten, was auch bei SPD-Klientel auf Zustimmung stößt.
SPD und Linkspartei werben zudem in etwa um die gleiche Wählerschaft: die
eher traditionellen Milieus in Mittel- und Unterschicht. Die Abwanderung
der locals nach rechts außen, die Globalisierung als Zumutung empfinden,
werden ja nicht die Grünen verhindern – sondern nur Parteien wie SPD und
Linkspartei. Vorausgesetzt, es gelingt ihnen, ihren verstaubten Formenkanon
aus der Zeit der Fabrikgesellschaft für die sozial ausgefranste
Dienstleistungsgesellschaft zu aktualisieren.
Die Reibungsflächen zwischen SPD und Linkspartei sind geschrumpft. Man
beschimpft sich nicht mehr und hat mit der AfD einen gemeinsamen Gegner. In
Thüringen hat die SPD 2014 einem Linkspartei-Ministerpräsidenten ins Amt
geholfen – das war zehn Jahre zuvor noch undenkbar. Die SPD versteht sich
in Erfurt mittlerweile mit der Linkspartei reibungslos.
Die Grünen, die wie sie der revolutionären Bürgerbewegung 1989 entstammen,
finden die Sozialdemokraten etwas anstrengend. Und ganz praktisch spricht
angesichts der [2][zusehends ausgedünnten Parteistrukturen] von SPD und
Linkspartei im Osten, vor allem jenseits der Städte, einiges dafür, mal was
zusammen auf die Beine zu stellen.
Die digitale Revolution wird die Ungleichheit künftig verschärfen. Brauchen
wir in Zukunft zwei Parteien, die sich gegen Deregulierung,
Privatisierungen, wachsende Ungleichheit und schwindenden Zusammenhalt der
Gesellschaft wehren?
8 Jun 2019
## LINKS
[1] /Nach-Beleidigug-von-Aussenminister-Maas/!5496304
[2] /Ostkonvent-der-SPD-in-Erfurt/!5586052
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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