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# taz.de -- Absprachen der deutschen Autoindustrie: Kultur des Wegschauens
> Das Bundeskartellamt hätte Hinweise auf Absprachen in der Autoindustrie
> haben müssen. Dass die Politik nichts wusste, ist unplausibel.
Bild: Waren sie tatsächlich alle auf Linie bei den Absprachen?
Die größten deutschen Autokonzerne Audi, BMW, Daimler, Porsche und VW
sollen sich seit den 90er Jahren abgesprochen haben. Worum ging es, und was
sind die Folgen? Ein Überblick.
## 1. Was genau haben die Autobauer abgesprochen?
VertreterInnen der Autokonzerne Audi, BMW, Daimler, Porsche und VW sollen
jahrelang in geheimen Zirkeln Absprachen über ihre Fahrzeuge, Kosten,
Zulieferer und den Umgang mit dem Thema Dieselabgase getroffen haben. Nach
Angaben des Spiegels soll es entsprechende Selbstanzeigen von Daimler und
VW bei den Wettbewerbsbehörden geben.
## 2. Sind Absprachen über Technik schon ein Kartell oder müsste man den
Autobauern auch Preisabsprachen nachweisen?
Als Kartell gilt jede Absprache, die den Wettbewerb beschränkt oder
verhindert. Natürlich gehören Absprachen über Preise dazu, aber auch über
Produktionsmengen, die Aufteilung von Vertriebsgebieten oder andere
Kooperationsmengen. Kartelle können auch erlaubt werden, wenn sie den
Kunden nutzen oder etwa zur Sanierung einer Branche notwendig sind.
Erforderlich ist dann eine Freistellung oder Erlaubnis der EU-Kommission
oder des Bundeskartellamts. VW, Audi, Porsche, Daimler und VW betreiben
seit 1996 in Weissach das Abgaszentrum der Automobilindustrie (ADA). Zweck
der Gesellschaft ist die „vorwettbewerbliche Zusammenarbeit auf dem Gebiet
der Abgasnachbehandlung“. Das Bundeskartellamt teilte laut Handelsblatt
1997 mit, es werde das Vorhaben „kartellrechtlich nicht verfolgen“.
## 3. Bekommen die KäuferInnen ihr Geld wieder – wenigstens teilweise?
Eine Angriffsfläche für die Kundschaft könnten die zu klein bemessenen
AdBlue-Tanks liefern, sagt Otmar Lell, Leiter des Teams Recht und Handel
bei der Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin. Die Chance liegt im
Kartellrecht und klingt ein bisschen kompliziert: Ist das entsprechende
Auto nur wegen des Kartells so konstruiert, wie es ist und hätte es ohne
Kartell einen größeren Tank? Dann hätte ich als Kundin/Kunde – ohne Kartell
– ein anderes Auto gekauft und dürfte ein solches anderes Auto auch
erwarten. „Diese Argumentation wäre eine Möglichkeit“, so Lell, „ist ab…
juristisch noch nicht erprobt.“ Daher will der Verbraucherschützer auch
niemandem raten, sein Geld auf diese Weise zurückzufordern, denn das
Kartellrecht stellt nach wie vor hohe Hürden auf, wenn ein Verbraucher
seinen Schaden geltend machen will. „Dazu müsste ein Käufer nachweisen,
dass bei ihm ein ganz konkreter Schaden entstanden ist“, sagt Lell. Dieser
Nachweis sei im Grunde nicht möglich. Etwa ein erhöhter Preis für ein
Fahrzeug könnte auch dem Autohändler geschadet haben, der mit einer
niedrigeren Marge leben musste. Im besten und wahrscheinlichsten Falle, so
Lell, wird die zuständige Kartellbehörde ein Bußgeld für den Konzern
festlegen: „Das kommt der Staatskasse zugute, nicht aber den Kunden.“ Geld
zurück? Schön wär’s.
## 4. Arbeiten deutsche und EU-Kartellbehörden jetzt zusammen?
Im Prinzip ja. Nach Angaben der Bundesregierung in Berlin kümmern sich die
Wettbewerbshüter in Kommission der Europäischen Union in Brüssel um den
Fall. Auch das Bundeskartellamt verfüge über die nötigen Informationen,
eine Prüfung werde aber nur von einer Institution übernommen, so eine
Sprecherin des deutschen Bundeswirtschaftsministeriums am Montag in Berlin
– was aber bei der EU in Brüssel nicht bestätigt wurde. Man prüfe noch die
vorliegenden Informationen, so ein Sprecher der Kommission. Ob diese Infos
tatsächlich ausreichen, um ein offizielles Kartellverfahren einzuleiten,
ließ er offen. Klar ist also derzeit nur, dass am Ende nur eine Behörde
ermitteln wird. Da das Bundeskartellamt offenbar nicht tätig werden soll
oder will, liegt der Schwarze Peter nun in Brüssel. Dort wird
Kommissionsvizepräsident Jyrki Katainen die Federführung übernehmen – was
zeigt, wie ernst man die Affäre in der EU nimmt.
## 5. Warum wurde nicht schon früher eine Behörde skeptisch?
Um die Diesel-Abgase zu reinigen, wird in die Abluft sogenanntes AdBlue
eingespritzt, die Flüssigkeit aus Harnstoff und demineralisiertem Wasser
bindet die Schadstoffe. Um die Abgase aus 100 Liter Diesel sauber zu
bekommen rechnen unabhängige Experten mit 4 bis 6 Liter AdBlue – was die
Tanks für die Flüssigkeit ziemlich groß macht. Deshalb, so der Verdacht
jetzt, haben sich die Autobauer dabei abgesprochen, kollektiv die
Abgas-Grenzwerte zu überschreiten, um die Tanks klein halten zu können.
Trotzdem variieren die Größen der AdBlue-Tanks laut Verkehrsclub
Deutschland (VCD) erheblich – zwischen 11 Litern beim VW Touran und 38,7
Litern bei einem riesigen SUV von Mercedesbei. Aus der Tankgröße allein
lässt sich also kein Verdacht ableiten. Allerdings, sagt Gerd Lottsiepen,
Verkehrspolitischer Sprecher des VCD, seien alle Tanks zu klein. Es müsse
dem Kraftfahrzeugbundesamt seit Jahren offenkundig gewesen sein, dass bei
den deutschen Autobauern kollektiv geschummelt wird. „Ich hab den Verdacht,
dass sämtlich Bundesbehörden da ziemlich blind waren oder blind sein
sollten. Zwischen Kraftfahrbundesamt und der Autoindustrie herrscht seit
Jahren Kumpanei, die Behörden schauen weg.“ Hinweise auf Absprachen hätten
schon längst an das Bundeskartellamt übermittelt werden müssen, so
Lottsiepen. Der Automobilexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive
Management in Bergisch Gladbach spricht allgemein von einer „Kultur des
Wegschauens“ gegenüber der Autoindustrie.
## 6. Wie plausibel ist es, dass die deutsche Politik von all dem nichts
mitbekommen hat?
„Nun, das ist vollkommen unplausibel“, sagt Sabine Leidig,
verkehrspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag. „Vertreter von
Autoverbänden und Konzernen gehen regelmäßig in den Ministerien und im
Bundeskanzleramt ein und aus“, so Leidig, „dabei entwickeln sich
Vertrautheiten“. Natürlich habe es keine offizielle Mitteilung darüber
gegeben, dass die Autofirmen sich absprechen. Aber es sei unwahrscheinlich,
dass die Regierung keine Kenntnis hatte. Auch ihr Kollege Oliver Krischer
von den Grünen glaubt das nicht: „Informationen über zu kleine AdBlue-Tanks
gibt es seit längerem“, sagt der Abgeordnete. Es sei kaum zu glauben, dass
das Verkehrsministerium nicht schon seit Monaten darüber Bescheid wusste.
„Ich habe Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt im Frühling darauf
angesprochen; Seine Antwort war, er wisse von nichts“, so Krischer.
„Natürlich drängt sich der Verdacht auf, dass die Bundesregierung über
Kartellabsprachen hinweg geschaut hat und ihrer Aufsichtspflicht nicht
nachgekommen ist. Das werden wir bei der beantragten Sondersitzung des
Verkehrsausschusses klären, wenn sie vom Bundestagspräsidenten genehmigt
wird.“ Ulrich Lange, verkehrspolitischer Sprecher der Union, haut von der
anderen Seite in diese Kerbe: „Ich erwarte von den zuständigen Stellen eine
schnelle und gründliche Prüfung“, sagt Lange, „haben Autobauer seit vielen
Jahren illegale Absprachen getroffen, gab es ein illegales Kartell? Bislang
vermisse ich klare Antworten von der für Wettbewerb und Wirtschaftspolitik
zuständigen Bundesministerin Brigitte Zypries!“
## 7. Hätte es den Dieselskandal ohne das angebliche Autokartell auch
gegeben?
Dafür spricht einiges. Die deutsche Autoindustrie hat kollektiv gehandelt,
um durch Lobbyarbeit in Berlin und Brüssel härtere Auflagen zur Reinigung
ihre Abgase zu verhindern. Kein Hersteller scherte dabei aus. Den Versuch,
durch saubere Autos einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen, unternahm kein
deutscher Autohersteller – weshalb auch weder VW noch Daimler oder BMW
darauf pochten, dass die Politik für klare Umweltregeln sorgen sollte.
Stattdessen boxte die Bundesregierung brav für die Phalanx der deutschen
Autobauer in Brüssel durch, die Regeln für Schadstoffgrenzwerte zu
durchlöchern. „Die deutschen Autohersteller konnten sich ja sicher sein,
dass die Konkurrenz nicht auf den erhöhten Stickoxid-Werten herumreitet. Es
ist echt erstaunlich, dass sich Volkswagen freiwillig so lange allein an
den Pranger stellen ließ“, sagt VCD-Experte Gerd Lottsiepen. Für die
EU-Kartellbehörden werde es nun interessant sein herauszufinden, in wie
weit andere Autobauer dadurch einen Wettbewerbsnachteil hatten. Etwa die
französische PSA-Gruppe mit den Makren Peugeot und Citroën.
## 8. Wie lange dauern Kartellverfahren jetzt und mit welchen Strafen
müssen die Autobauer rechnen?
Das Kartellverfahren kann einige Jahre dauern. Zum Vergleich: 2011 leitete
die EU-Kommission eine Verfahren wegen Preisabsprachen ein. Erst 2016
verhängte sie dann Milliardenbußgelder. Die Kommission kann bei
Kartellverstößen Geldbußen in Höhe bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes
eines Unternehmens verhängen. VW etwa setzte 2016 rund 217 Milliarden
Euroum, also könnte die maximale Geldbuße 21,7 Milliarden Euro betragen.
Von Ingo Arzt, Heike Holdinghausen, Eric Bonse, Christian Rath, Rüdiger
Rossig
24 Jul 2017
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