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# taz.de -- Anton Hofreiter über die Autolobby: „Heuchelei zur Kunstform gem…
> Anton Hofreiter (Grüne) über das Ausmaß und die Folgen des Dieselskandals
> – und die Macht der Autolobby bei der Regierung Merkel.
Bild: Hofreiter will, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Wagen neu zugelassen…
taz: Herr Hofreiter, deutsche Autokonzerne haben sich gezielt
[1][abgesprochen, um Abgasgrenzwerte zu umgehen]. Wie groß ist der Schaden?
Anton Hofreiter: Wenn sich die Kartellabsprachen bestätigen, sind sie einer
der größten Industrieskandale der Bundesrepublik. Daimler, Volkswagen und
Co. haben Millionen Menschen betrogen: sowohl die Bevölkerung in Städten,
wo jährlich Tausende an Luftverschmutzung vorzeitig sterben, als auch die
Käufer, die dachten, sie bestellten einen sauberen Diesel. Und nicht
zuletzt die Beschäftigten in der Autoindustrie, die den Skandal am Ende
ausbaden werden.
Was muss nun passieren?
Die Autos, die jetzt auf der Straße sind, müssen die Grenzwerte einhalten.
Die Regierung muss die Autokonzerne dazu verpflichten, sie entsprechend
nachzurüsten. Man muss sich mal klar machen: Sauber konstruierte
40-Tonnen-Lkws stoßen weniger Schadstoffe aus als schmutzige Kleinwagen,
die die Konzerne als sauber verkauft haben.
Daimler, Audi und BMW bieten an, Millionen Diesel mit einer Software
nachzurüsten. Reicht das?
Da habe ich große Zweifel. Ein Software-Update bringt nicht die nötigen
Reduzierungen – das sagen auch die Experten. Man muss an die Motor-Hardware
ran, zum Beispiel müssten größere Tanks für abgasreinigenden Harnstoff, das
so genannte AdBlue, eingebaut werden. Doch das ist bei vielen Wagen wegen
der Unterbodenstruktur nicht möglich. Die Hersteller müssen den Kunden
deshalb gleichwertige Ersatzfahrzeuge liefern.
Was würde das die Konzerne kosten?
Kann ich nicht beziffern. Aber es wäre sehr teuer.
Wie kann die Regierung die Konzerne zu solchen Maßnahmen zwingen?
Das Kraftfahrt-Bundesamt ist eine nachgeordnete Behörde des
Bundesverkehrsministeriums. Es kann der Industrie Auflagen machen und eine
Frist setzen, in der sie zu erledigen sind. Minister Dobrindt könnte also
einfach seine Mitarbeiter im Kraftfahrt-Bundesamt anrufen.
Die Konzerne haben verabredet, viel zu kleine Harnstofftanks einzubauen.
Warum fällt so ein offensichtlicher Betrug jahrelang niemandem auf?
Ich glaube, dass die zuständigen Beamten einfach beide Augen zugedrückt
haben. Einige Mitarbeiter des Kraftfahrt-Bundesamts und des
Verkehrsministeriums sind informell Teil des Kartells. Da wurden zum
Beispiel E-Mails mit „industriefreundliche Grüße“ unterschrieben. Das ist
leider kein Scherz, sondern eine belegte Anekdote.
CSU-Mann Dobrindt und die SPD-Wirtschaftsministerin ließen ausrichten, sie
hätten von den Kartellabsprachen erst aus der Presse erfahren. Glauben Sie
ihnen das?
Vielleicht stimmt das für das ganze Ausmaß des Skandals. Aber Dobrindt
hätte früher hellhörig werden müssen. Es gab über 60 Arbeitsgruppen, in
denen sich Ingenieure der fünf Konzerne trafen, um Standards zu verabreden
– von der Karosserie über das Fahrwerk bis zum Antrieb. Gerüchte waberten
schon länger durch die Szene, auch die Umweltverbände ahnten etwas. Die
grüne Bundestagsfraktion hat die Regierung im Mai gefragt, ob sie von einer
Vereinbarung der Hersteller wisse, kleinere AdBlue-Tanks einzubauen.
Antwort: Nö, wir wissen von nichts.
Kann das sein? Die Selbstanzeige von VW liegt seit einem guten Jahr beim
Bundeskartellamt und bei der EU-Kommission vor.
Ich kann nicht beweisen, dass jemand im Verkehrsministerium Bescheid
wusste. Aber mir fällt es schwer, den offiziellen Erklärungen der Behörde
bei diesem Thema noch etwas zu glauben.
Muss der Verkehrsminister zurücktreten?
Ein Rücktritt Dobrindts lohnt sich nicht mehr, bis zur Bundestagswahl sind
es ja nur noch wenige Wochen. Aber danach muss ihm die Zuständigkeit
entzogen werden. Dobrindt hat als Verkehrsminister versagt.
Sehen Sie auch die Bundeskanzlerin in der Verantwortung?
Merkel hat die Heuchelei zur Kunstform gemacht. Sie tut so, als kämpfe sie
beim Klimaschutz gegen Trump – und lässt sich als Klimakanzlerin feiern.
Doch Deutschland ist weltweit eines der Länder, das am meisten
klimaschädliche Kohle verstromt. Merkel versuchte erst, die Atomkraft zu
retten, dann die Kohle, jetzt versagt sie beim Verbrennungsmotor.
Klimaschutz interessiert diese Kanzlerin einen Dreck.
Warum zögern deutsche Firmen? Großbritannien will ab 2040 den [2][Verkauf
von Dieseln und Benzinern verbieten,] Volvo verabschiedet sich vom
Verbrennungsmotor.
Viele Konzernmanager schauen kurzfristig auf hohe Renditen. Sie dachten und
denken heute noch, dass sich der Verbrennungsmotor weiter melken lässt.
Dass diese Ignoranz den Beschäftigten und den Kommunen in ein paar Jahren
auf die Füße fällt, ist ihnen gleichgültig. Mir kommt das vor wie ein
Beispiel aus einem ökonomischen Lehrbuch. Sobald die Politik eine Industrie
vor Wettbewerb und Konkurrenz schützt, wird sie träge – und gefährdet sich
selbst.
Warum ist die Autoindustrie in Deutschland eigentlich sakrosankt?
An ihr hängen 800.000 Arbeitsplätze. Brächen Autokonzerne oder wichtige
Zulieferer weg, würden ganze Regionen in Deutschland verarmen. Die
Bundesregierung hat es in ihrer Kurzsichtigkeit und Verbohrtheit
verschlafen, die erneuerbare Energien als starkes, zweites
industriepolitisches Standbein auszubauen.
Sie waren früher Chef des Verkehrsausschusses im Bundestag. Wie macht die
Industrie der Politik Druck?
Die Lobbymacht der Autokonzerne ist riesig. Als Vorsitzender des
Verkehrsausschusses bekam ich ständig Anrufe, Schreiben und Einladungen.
Die Industrievertreter argumentierten freundlich und scheinbar rational.
Wir würden ja gerne mehr für den Klimaschutz tun, aber technisch ist es
leider nicht drin. Ich habe mich dann wie ein Nerd in die technischen
Details eingelesen, um kontern zu können. Entscheidend ist aber nicht der
Lobbyismus im Parlament.
Sondern welcher?
Die Konzernchefs haben einen direkten Draht ins Kanzleramt. Und Juristen
der Autofirmen sitzen in Ministerien und formulieren teilweise
Gesetzesvorlagen für den Bundestag oder für Brüssel mit. Zuletzt gibt es
die Verquickungen mit den ausführenden Behörden wie dem
Kraftfahrt-Bundesamt.
Haben auch die Grünen zu wenig Distanz zur Autoindustrie?
Die Grünen sind die einzige Partei, die seit Jahren auf die Verquickungen
von Bundesregierung und Autoindustrie hinweist. Wir wollen, dass ab 2030
nur noch emissionsfreie Wagen neu zugelassen werden.
Winfried Kretschmann hat in Baden-Württemberg ein offenes Ohr für die
angeblichen Nöte von Daimler.
Winfried Kretschmann tut etwas, was eigentlich die Aufgabe des
Bundesverkehrsministeriums wäre. Er organisiert einen Dialog mit den
Autofirmen, um mit ihnen die umweltfreundliche Mobilität der Zukunft zu
besprechen.
Kretschmanns Format ist windelweich. Da wird nur nett geredet.
Er hat als Ministerpräsident eines Bundeslandes nicht die Instrumente, um
die Konzerne zu etwas zu zwingen. Die hätte nur der Bund. Kretschmann ist
ein überzeugter Öko, er geht bei dem Thema voran.
Er hätte offensiv mit Fahrverboten in den Städten drohen können.
Stattdessen ist er zurückgerudert, als es ernst wurde.
Rechtlich ist nicht zu einhundert Prozent geklärt, dass ein Land
tatsächlich Fahrverbote verhängen kann. Außerdem hat Kretschmann darauf
verwiesen, dass Verbote nicht in Stein gemeißelt seien, wenn die
Nachrüstung der Konzerne funktioniere. Auch wenn ich bei dem Thema schärfer
formuliere, verstehe ich seine Sicht. Wissen Sie, was mich ärgert? Dieses
Thema Fahrverbot ist kein grünes Thema, sondern geht auf die Kappe von
Dobrindt. Einerseits, weil er sich nicht um den offensichtlichen Betrug bei
den Dieselabgasen gekümmert hat, andererseits weil er den Städten wichtige
Instrumente – wie die Blaue Plakette – verweigert.
Aber der entscheidende grüne Player scheut vor harter Ordnungspolitik
zurück, oder? Kretschmann ist auch gegen das 2030-Ziel, auf das Sie so
stolz sind.
Dass Winfried Kretschmann und ich bei der fixen Jahreszahl für den Ausstieg
aus dem Verbrennungsmotor unterschiedliche Meinungen vertreten, ist ja
bekannt. Er glaubt einfach nicht, dass sich der Zeitpunkt genau definieren
lässt. Und ich glaube, dass die Konzerne verbindliche Ansagen brauchen, um
die Wende noch zu schaffen. Im Ziel – dem Ausstieg aus dem
Verbrennungsmotor und dem raschen Einleiten der Verkehrswende – sind wir
beide uns natürlich einig.
28 Jul 2017
## LINKS
[1] /Absprachen-der-deutschen-Autoindustrie/!5429198
[2] /Benziner-und-Diesel-in-Grossbritannien/!5437315
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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