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# taz.de -- Debatte Mensch und Auto: Frische Luft für freie Bürger
> Mehr als 10.000 Menschen sterben jährlich infolge der hohen
> Abgasbelastung. Die Politik reagiert mit Verschleierungsmaßnahmen.
Bild: Die hohe Abgasbelastung führt zu Asthma, Herzinfarkten und Schlaganfäll…
Dass allein in Deutschland jährlich Tausende von Menschen nur durch die vom
Automobilverkehr verursachte Feinstaub- und Stickoxidbelastung sterben, ist
unter Experten seit Langem bekannt. Neue Berechnungen, die vor Kurzem in
der Fachzeitschrift Nature veröffentlich wurden, zeigen, dass allein die
Stickoxide aus Autoabgasen im Bundesgebiet jährlich für über 10.000
Todesfälle verantwortlich sind. Das Ergebnis der Vergiftung durch
Autoabgase aber ist ein tausendfacher, unspektakulärer, schleichender und
einsamer Tod durch Asthma, Herzinfarkt und Schlaganfall und findet deshalb
in der Öffentlichkeit weitaus weniger Beachtung, als wenn ein Dutzend
Menschen durch das Attentat eines islamistischen Terroristen oder eines
rechtsextremen Einzeltäters zu Tode kommen.
Erst die Klagen vor Verwaltungs- und Strafgerichten haben überhaupt dazu
geführt, dass das „stille Massensterben“ aufgrund des Automobilverkehrs zu
einem öffentlichen Thema geworden ist. Die Klagen der Deutschen Umwelthilfe
vor Verwaltungsgerichten haben überhaupt erst deutlich gemacht, dass die
gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte für Stickoxide in deutschen
Großstädten systematisch überschritten werden.
Gleichzeitig haben die US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden
herausgearbeitet, dass die immer weiter professionalisierte Manipulation
der Labortests für Abgaswerte inzwischen den Straftatbestand des Betrugs
erfüllen. Plötzlich musste auch den Letzten klar werden, weswegen die Luft
in den Städten immer schlechter wird, während gleichzeitig die
Automobilindustrie immer neue Rekorde bei der Abgasreinigung vermeldet.
Durch die Skandalisierung dieser Gesetzesverstöße sah die Politik sich
gezwungen, zu reagieren. Was als politische Maßnahmen – wie in solchen
Fällen üblich – in den Sommerferien vorgestellt werden wird, ist nicht
schwer vorherzusagen: Es wird eine Verbesserung des öffentlichen
Nahverkehrs und der Infrastruktur für E-Mobilität angekündigt, und ein paar
zusätzliche Millionen werden dafür freigegeben.
Die 2009 eingeführte staatliche Abwrackprämie wird reaktiviert, und
Autofahrern, die ihre alten Autos durch neue ersetzen, wird ein
steuerfinanzierter Kaufanreiz in Aussicht gestellt. Die Autoindustrie wird
zu Maßnahmen zur Senkung des Ausstoßes von Stickoxiden über
Software-Updates (selbst-)verpflichtet.
Dann gibt man dem verkehrspolitischen Paket einen peppigen Namen wie
„Bündnis für bessere Luft“, „Frische Luft für freie Bürger“ oder �…
Einatmen jetzt“ und suggeriert, dass sich durch diese Maßnahmen die
Schadstoffemissionen in den nächsten vier, fünf Jahren halbieren ließen –
darauf hoffend, dass sich dann niemand mehr an dieses Versprechen erinnert.
## Umgekehrte Kopplung
In der Politikwissenschaft wird diese Strategie als „umgekehrte Kopplung“
bezeichnet. Je weniger Unternehmen, Stadtverwaltungen oder Ministerien den
Ansprüchen genügen, die sie sich selbst gesetzt haben, so die Beobachtung
des schwedischen Organisationsforschers Nils Brunsson, desto stärker werden
diese Ansprüche in der Außendarstellung hervorgekehrt.
Der Beschluss einer Regierung, den Straßenverkehr in einer Großstadt in 10
Jahren um 30 Prozent zu reduzieren, macht es leichter, Akzeptanz für den
Umstand zu schaffen, dass der Straßenverkehr faktisch immer mehr zunimmt.
Die Selbstproklamation einer Stadt zur „Radlhauptstadt“ kaschiert, dass es
den Kommunalpolitikern bei keiner relevanten Straße gelingt, eine
Vorrangregelung für Fahrradfahrer gegenüber Autofahrern durchzusetzen. Die
Werbung für neue Dieselfahrzeuge mit dem Verweis auf die Erfüllung der
„neuen“ Euro-6-Norm erleichtert der Automobilindustrie den Verkauf von
Personenkraftwagen – was die Tatsache verbirgt, dass die Fahrzeuge, die
inzwischen größer sind als so mancher Schützenpanzer im Zweiten Weltkrieg,
die Grenzwerte lediglich im Prüflabor einhalten.
Die von der Automobilindustrie inzwischen fast schon routinemäßig
versprochenen Software-Updates suggerieren, dass diese einen eigenständigen
Beitrag zur Lösung des Abgasproblems in den Innenstädten leistet. Und das,
obwohl fast alle Experten darauf hinweisen, dass diese Updates – die etwas
Ähnliches sind wie das umweltpolitische Pendant zum alten alchemistischen
Trick der Umwandlung von Blei in Gold – nicht sicherstellen werden, dass
Autos auch auf der Straße die Grenzwerte einhalten werden.
Das angedrohte Fahrverbot für Dieselautos in Innenstädten, das allein schon
durch die Reduzierung des Autoverkehrs messbare Effekte mit sich bringen
würde, war lediglich die Begleitmusik für diese Symbolpolitik. Die
Androhung des Fahrverbots sollte signalisieren, dass die Politik die
Probleme ernst nimmt, um dann stolz Maßnahmenkataloge präsentieren zu
können, die dieses Verbot überflüssig machen.
## Der Benziner als Umweltfreund
Der Effekt dieser Diskussion ist paradox – durch die Konzentration der
Debatte auf Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge erscheinen plötzlich
nicht nur Elektroautos, sondern auch neuere Dieselautos und sogar
benzinbetriebene Fahrzeuge als umweltfreundliche Alternativen. Dabei ist
nicht nur bekannt, dass Dieselautos der neueren Generation im
Straßenbetrieb teilweise deutlich mehr Schadstoffe ausstoßen als
Dieselautos der älteren Generation und dass Autos mit Benzinmotoren durch
ihren hohen Kohlendioxid-Ausstoß maßgeblichen Anteil am Klimawandel haben,
sondern dass auch Elektroautos schon allein durch die Produktion und das
Aufladen der Batterien eine erhebliche Umweltbelastung darstellen.
Die jetzt verkündeten verkehrspolitischen Maßnahmenpakete werden keine
Verbesserungen bringen. Im Gegenteil – in einigen Jahren wird man
überrascht feststellen, dass die ambitionierten Klimaziele wieder einmal
verfehlt wurden, dass noch mehr und noch größere Autos in den Städten
fahren, dass weitere Zehntausende von Menschen an Stickoxiden und Feinstaub
gestorben sind.
Das kann man dann aber zum Anlass dafür nehmen, künftig noch
ambitioniertere Ziele zu formulieren.
26 Jul 2017
## AUTOREN
Stefan Kühl
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