# taz.de -- Kampf um die Stadt: Kaufen oder verkauft werden | |
> Stadt und Mieter wollen den Ausverkauf Berlins stoppen – sie hoffen auf | |
> das Vorkaufsrecht. Die großen Deals machen aber die Spekulanten. | |
Bild: Begehrt bei Spekulanten und Mietern: Altbauten in Berlin-Friedrichshain | |
BERLIN taz | „Wem gehört die Stadt?“ lautet die Frage, die Mietaktivisten | |
seit Jahren stellen. Verbunden damit ist ein Anspruch, der sich gegen den | |
Ausverkauf der Stadt und die Spekulation mit Wohnraum richtet. Bei aller | |
Notwendigkeit dieser grundsätzlichen Debatte rückt jetzt eine andere Frage | |
in den Fokus. Sie lautet: „Wer kauft die Stadt?“ | |
Anfang der Woche wurde bekannt, dass die Deutsche Wohnen AG, mit 107.000 | |
Wohnungen größter Vermieter der Stadt, wieder auf Shoppingtour war und sich | |
[1][3.900 Wohnungen unter den Nagel riss]. Vorwiegend Altbauten hat die | |
börsennotierte Aktiengesellschaft gekauft – und ihren Anlegern fette | |
Rendite in Aussicht gestellt. Berlin ist ein Eldorado des internationalen | |
Handels mit Immobilien. | |
Berlin ist aber auch ein Hotspot des Widerstands gegen Spekulanten. | |
[2][Florian Schmidt], grüner Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, wird | |
derzeit nicht müde, vom „Rückkauf der Stadt“ zu sprechen. Das Instrument | |
dabei ist das bezirkliche Vorkaufsrecht in den sogenannten | |
Milieuschutzgebieten. | |
Rein rechtlich ist es so, dass Verkäufe von Mietshäusern, die in einem | |
Milieuschutzgebiet stehen, von den jeweiligen Bezirken genehmigt werden | |
müssen. Befürchtet der Bezirk eine Verdrängung der Mieter, kann er den | |
Verkauf – oder auch teure Luxusmodernisierungen und Umwandlungen in | |
Eigentumswohnungen – verbieten. In Berlin gibt es derzeit 33 sogenannte | |
Erhaltungsgebiete, in denen der Milieuschutz gilt, allein 10 davon in | |
Pankow. Insgesamt leben mehr als 400.000 MieterInnen im Milieuschutzgebiet. | |
## Gegen die Spekulation | |
Die Möglichkeit, dass Bezirke die Spekulation mit Häusern stoppen, klingt | |
verlockend. Statt einer Heuschrecke wie der Deutsche Wohnen käme dann eine | |
landeseigene Wohnungsbaugesellschaft oder ein gemeinwohlorientiertes | |
Unternehmen wie das Mietshäusersyndikat zum Zug. | |
So weit die Theorie. Über die Praxis wurde am Dienstagabend im SO36 | |
debattiert. Zur Frage „Kaufen, um den Kiez zu erhalten?“ diskutierten | |
Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) und Baustadtrat Schmidt | |
mit eine Reihe von Hausprojekt-Vertretern. „Mit dem Vorkaufsrecht greifen | |
wir den Markt an“, gab sich Schmidt selbstbewusst. Dann legte er die Zahlen | |
auf den Tisch: 40 Hausverkäufe habe es in den vergangenen Monaten im Bezirk | |
gegeben – nicht alle davon relevant für die Kiezstruktur. Zwölf seien | |
geprüft worden. | |
Bei zwei Häusern hat der Bezirk die Notbremse gezogen und selbst gekauft; | |
ein drittes wird demnächst folgen. In vier Fällen unterschrieben die Käufer | |
sogenannte Abwendungsvereinbarungen. Sie behalten die Häuser, verpflichten | |
sich aber für die nächsten 20 Jahre, die Ziele des Milieuschutzgebietes | |
einzuhalten. | |
Damit auch andere Bezirke das Instrument für sich nutzen, wird derzeit in | |
der Finanzverwaltung ein Handlungsleitfaden erarbeitet, der den Umgang mit | |
dem Vorkaufsrecht erläutert. In Friedrichshain-Kreuzberg wird bereits am | |
Aufbau eines Partner-Netzwerkes aus Wohnungsbaugesellschaften und | |
Stiftungen gearbeitet. „Mögliche Hauskäufe sollen nicht an fehlenden | |
Partnern oder an der gesetzlichen Frist von nur zwei Monaten scheitern“, so | |
Schmidt. | |
## Verkauf als Preistreiber | |
Vergleicht man aber die Zahlen, stellt man fest, dass der Rückkauf der | |
Stadt zwar gut gemeint, aber nur ein Pflaster auf den heißen Stein ist. | |
Nach wie vor sind es die Immobilienkäufe der Großen, die den Markt | |
bestimmen – und den Mieterinnen und Mietern zusetzen. | |
Für Ex-Baustaatssekretär Andrej Holm, der die Diskussion am Dienstag | |
moderierte, sind es weder die teuren Modernisierungen noch der Mangel an | |
Wohnraum, die die Mieten so sehr in die Höhe treiben, sondern die Verkäufe | |
zu überhöhten Preisen und die entsprechende Renditeerwartung der Käufer. In | |
Berlin wurden 2016 Wohnungen in einem Wert von 16,2 Milliarden Euro | |
verkauft. | |
Ein weiteres Problem offenbart auch der aktuelle Verkauf der 3.900 | |
Wohnungen an die Deutsche Wohnen. Das Vorkaufsrecht des Bezirks, erklärte | |
Stadtentwicklungssenatorin Lompscher am Mittwoch im Bauausschuss des | |
Abgeordnetenhauses, greife nur, wenn ein sogenannter Asset-Deal, also der | |
Verkauf eines ganzen Hauses, stattgefunden habe. Bei den Käufen der | |
Deutsche Wohnen aber handelte es sich offenbar um einen Share-Deal, bei dem | |
nur Unternehmensanteile an Immobilien verkauft werden. „Bei einem | |
Share-Deal kommt das Vorkaufsrecht von Land und Bezirken nicht zum Zuge“, | |
so Lompscher. | |
## Milieuschutzgebiet zieht nicht | |
Das erklärt, warum beispielsweise mit der Weserstraße 53 auch ein Haus von | |
der Deutsche Wohnen erworben wurde, das in einem Neuköllner | |
Milieuschutzgebiet liegt. Das Bezirksamt Neukölln konnte zu dem Vorgang am | |
Mittwoch nichts sagen, aber aus anderen Bezirken hieß es: „Solche Vorgänge | |
bekommen wir gar nicht mit.“ Auch Senatorin Lompscher bestätigte im | |
Bauausschuss, dass sie von den Verkäufen erst durch die Presse erfahren | |
habe. | |
Und noch etwas: Wie die grüne Bundestagsabgeordnete Lisa Paus mitteilte, | |
seien dem Land Berlin bei dem 655-Millionen-Deal 40 Millionen Euro an | |
Grunderwerbsteuer entgangen. Denn Share-Deals sind bisher nicht | |
steuerpflichtig. Paus forderte eine Gesetzesänderung auf Bundesebene, um | |
dies möglichst schnell zu ändern. Doch die Länder wollen erst nach der | |
Bundestagswahl über eine solche Regelung beraten. | |
So lange wird das Monopoly also weitergehen. Oder wie Senatorin Lompscher | |
im SO36 sagte: „Wir leben bis zum Hals im Kapitalismus. Das ist unser | |
Problem.“ | |
8 Mar 2017 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
Uwe Rada | |
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