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# taz.de -- Bezirk Mitte prüft Vorkaufsrecht: Kampf um ein Zuhause
> In Wedding stemmt sich eine Hausgemeinschaft gegen den Verkauf an einen
> Investor. Ihr Ziel: Der Bezirk soll erstmals sein Vorkaufsrecht
> wahrnehmen.
Bild: Wollen ihr Haus am liebsten selbst kaufen: die Mieterinnen und Mieter der…
Wer genau hinsieht, kann in der Nähe des Hauses in der Amsterdamer Straße
Ecke Malplaquetstraße in vielen Fenstern Herzen entdecken. Nachbar*innen
solidarisieren sich mit der Hausgemeinschaft des Weddinger Eckhauses. An
dessen Fassade hängen Banner: „Herz statt Profit“ – „Unser Zuhause“ …
sind AmMazing“. AmMa65 – unter diesem Kürzel haben sich die Bewohner*innen
organisiert, um den Verkauf ihres Hauses an einen Immobilieninvestor zu
verhindern.
In einem WG-Zimmer im ersten Stock des Hauses sitzen sechs von ihnen bei
einem späten Frühstück. Eine Schreibtischlampe beleuchtet Quittensaft,
Simit, Aufstrich. „Es regnet durchs Dach, der Putz fällt ab, und die
Hausverwaltung macht nur das Allernötigste“, erzählt Jenny Kopf. 64 Jahre
ist sie alt, 29 davon lebt sie schon im Haus.
Dass der alternde Eigentümer das Haus früher oder später verkaufen werde,
habe man sich schon länger gedacht, bestätigen die anderen am Tisch. Die
Kälte des grauen Januartages zieht durch das dunkle Treppenhaus in die
Wohnungen – Etagenheizung gibt es nicht. Das Haus müsste dringend saniert
werden, finden auch die Mieter*innen.
Dem Verfall des Gebäudes könnte bald ein Ende gesetzt werden. Der Grund
dafür behagt Jenny Kopf und den anderen jedoch gar nicht. Im November hat
Immobilieninvestor Jakob Mähren das Mehrfamilienhaus im Milieuschutzgebiet
gekauft. Nun fürchten die Bewohner*innen, dass sie aus ihrem Zuhause
verdrängt werden sollen.
Mieter*innen wollen das Haus selbst kaufen
Als im November eine Anzeige zum Verkauf ihres Hauses im Internet
auftauchte, handelten sie sofort. „Am Mittwoch haben wir die Anzeige
entdeckt, zwei Tage später hatten wir einen Termin beim Baustadtrat“, sagt
der 35-jährige Aaron G., der seit 2001 im Eckhaus wohnt und seit mehr als
zehn Jahren der Hausmeister ist.
Er habe hier schon gewohnt, als es keine jungen Leute gab und man als
Bewohner des Wedding noch gefragt wurde: „Traust du dich überhaupt, da
hinzufahren?“ Heute sieht das anders aus. Der Malplaquetkiez ist ganz
offensichtlich in Mode gekommen. Hippe Cafés, neue Restaurants und Bars,
Kitas und Spielplätze zeichnen das Straßenbild, gleichzeitig ist es ruhig
und grün.
Schon seit mehreren Jahren habe G. daher überlegt, wie man das Haus
gemeinsam kaufen könnte, um langfristig zu fairen Mieten wohnen zu können.
Auch jetzt würden die Menschen von AmMa65 das Haus am liebsten selbst
erwerben und verwalten.
Doch 3,5 Millionen Euro für den Kauf und 1,5 Millionen für die Sanierung
sind auch für eine Gruppe von 60 Menschen kaum aufzubringen. Dafür sind sie
mit Stiftungen im Gespräch und suchen nach Mikrokreditgeber*innen, die je
mindestens 500 Euro in den Topf werfen können.
Bezirk Mitte könnte erstmals Vorkaufsrecht nutzen
Zunächst gilt es aber, den Verkauf an die Mähren AG zu verhindern –
beziehungsweise rückgängig zu machen. „Wir haben zu lange gewartet“, sagt
Hausmeister Aaron G., „Aber immerhin wussten wir, als es passiert ist,
schon, was Milieuschutz ist und was Vorkaufsrecht bedeutet.“
Wenn in einem Milieuschutzgebiet ein Haus verkauft wird, kann der Bezirk
binnen zwei Monaten das Vorkaufsrecht in Anspruch nehmen. Zunächst legt er
dem privaten Käufer eine Abwendungserklärung vor. Diese verpflichtet ihn,
bestimmte Vorgaben einzuhalten, wie zum Beispiel keine Luxussanierungen
vorzunehmen oder die Mietwohnungen nicht in Eigentumswohnungen umzuwandeln.
Unterschreibt der private Käufer diese nicht, platzt der Verkaufsdeal. Der
Bezirk erhält das Vorkaufsrecht und kann zum Beispiel eine landeseigene
Wohnungsgesellschaft mit dem Kauf beauftragen – oder eben einen Verein wie
AmMa65.
Unterstützt werden die AmMa65-Mitglieder von Bezirksbaustadtrat Ephraim
Gothe (SPD). In Mitte hat es bisher noch keinen solchen Fall gegeben –
anders als in Friedrichshain-Kreuzberg, wo der Bezirk schon elfmal
zugeschlagen hat, um Wohngebäude nicht privaten Investoren zu überlassen.
Auch wäre es das erste Mal, dass ein sozialdemokratischer Stadtrat das
Vorkaufsrecht wahrnimmt.
Hausgemeinschaft gegen Großinvestor
Die Mähren AG hätte bis zur vergangenen Woche auf die ihr vorgelegte
Abwendungserklärung reagieren müssen, beantragte aber eine Verlängerung der
Frist. Am Donnerstag müsste es eine Entscheidung geben. In einem Statement
der Mähren AG heißt es, man habe nicht vor, im Mietshaus Eigentumswohnungen
zu schaffen und betreibe grundsätzlich keine Luxussanierungen.
Doch das überzeugt die besorgten Mieter*innen nicht. „Fälle von anderen
Häusern, die er gekauft hat, zeigen, dass er keine Häuser verwaltet,
sondern sich als Zwischenhändler zwischen lokalem Immobilienmarkt und
internationalem Investment sieht“, sagt AmMa65-Pressesprecher Julian
Zwicker.
Die Mähren AG mache selber nichts mit den Häusern, sondern nutze sogenannte
Share Deals, um Profit zu schlagen. „Mähren kauft das Haus, zahlt die
Grunderwerbsteuer und schreibt es auf eine GmbH um. Danach kann er bis zu
95 Prozent der GmbH-Anteile gewinnbringend weitergeben, ohne das Haus
erneut auf den Markt zu stellen und dadurch den Einfluss des Bezirks
zuzulassen“, so Zwicker.
## „Diese Not bringt uns unglaublich nahe“
Die Mieter*innen der AmMa65 haben schnell gehandelt und sich gut
organisiert. Sie haben sich als Verein eingetragen und Arbeitsgruppen für
Finanzen, Presse, Netzwerken gegründet. Sie haben jeden einzelnen Menschen
im Haus gefragt, wie viel Miete er zu zahlen bereit wäre. „Wir wollen hier
langfristig leben, ohne die Hälfte unseres Einkommens für die Miete
ausgeben zu müssen“, sagt Dounia Mahfoufi von der Pressegruppe, „Diese Not
bringt uns unglaublich nah zusammen.“
Dass diese Not, welche in vielen Berliner Mietshäusern herrscht, hier einen
solch strukturierten Widerstand ausgelöst hat, liegt auch an der schon
immer gut funktionierenden Hausgemeinschaft. Einmal im Jahr veranstalten
die Bewohner*innen ein gemeinsames Hoffest, man kennt sich im Haus. Im
Laufe der Zeit sind viele Menschen aus den Freundeskreisen der Mieter*innen
eingezogen.
„Die relativ konservative Hausverwaltung hat es geschafft, in den letzten
Jahren ein komplettes Hippie-Haus und Freigeist-Kollektiv
zusammenzucasten“, sagt Hausmeister Aaron G.
Den Kampf um ihr Zuhause wollen die Mitglieder von AmMa65 nun mit einem
Dokumentarfilm begleiten. Damit könne man anderen betroffenen Menschen Mut
machen und ihnen zeigen, welche Schritte zu einem solchen Prozess gehören,
so Mahfoufi.
16 Jan 2018
## AUTOREN
Hannah El-Hitami
## TAGS
Mieterinitiativen
Immobilienspekulation
Milieuschutz
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Vorkaufsrecht
Immobilienbranche
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