# taz.de -- Vorkaufsrecht in Berlin: Da geht noch was | |
> In Mitte will der Bezirk erstmals das Vorkaufsrecht nutzen, um Mieter zu | |
> schützen. Doch der Käufer legt Widerspruch ein. | |
Bild: Sucht nach Lösungen: Ephraim Gothe, Baustadtrat von Berlin-Mitte | |
BERLIN taz | Das ging schnell. Die Hälfte vom Kuchen liegt noch auf dem | |
Blech, da ist das Nachbarschaftstreffen schon wieder beendet. Die rund 20 | |
Mieter*innen der Rathenower Straße 50 sind sich einig: Sie wollen an die | |
Öffentlichkeit. Auf ein großes Transparent, das sie vor dem Haus auf dem | |
Gehweg legen, schreiben sie: „Milieuschutz wirksam machen! Vorkaufsrecht | |
durchsetzen! Mietenwahnsinn stoppen“. Eine Pressemitteilung soll folgen, | |
die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) haben sie auch im Visier, | |
Rechtsschutz wird abgeschlossen. Dass derzeit berlinweit Aktionstage gegen | |
Mietenwahnsinn sind, passt den Mieter*innen gut. | |
Erstmals hat der Bezirk Mitte per Vorkaufsrecht ein Haus gekauft. Vor rund | |
zwei Monaten gab Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) bekannt, dass die 15 | |
Wohnungen der Rathenower Straße 50 an die landeseigene | |
Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) gehen, um die Mieter*innen vor | |
steigenden Mieten zu schützen. | |
Der ursprüngliche private Käufer hatte die Abwendungsvereinbarung, mit der | |
er sich den Zielen des Milieuschutzes verpflichtet hätte, nicht | |
unterschrieben. Der Bezirk konnte zuschlagen. Die Mieter*innen jubelten. | |
Doch nun hat der private Käufer, der laut Bezirksamt anonym bleiben will, | |
überraschend Widerspruch eingelegt. Sofern der Bezirk nicht zurückzieht und | |
es zur Klage kommt, droht ein langer Rechtsstreit. | |
„Wir hoffen, dass der Bezirk das Vorkaufsrecht für die Rathenower Straße | |
50 jetzt konsequent durchsetzt“, sagt Katharina Mayer, | |
stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion in Mitte. Auch für | |
weitere Vorkäufe sei Personal im Bezirksamt Mitte aufgestockt worden. Dass | |
der Vorkauf in Mitte mittlerweile überhaupt geprüft werde, sei ein guter | |
Anfang, so Mayer. Während Mitte zum ersten Mal das Vorkaufsrecht ausübt, | |
hat es Friedrichshain-Kreuzberg bereits elf Mal getan – der Bezirk ist | |
Vorreiter in Sachen Vorkauf. Die notwendigen Strukturen für die Umsetzung | |
würden dort bereits bestehen, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des | |
Berliner Mietervereins: „Ob Mitte nun nachzieht, bleibt abzuwarten – die | |
Rathenower Straße 50 könnte ein Startschuss sein.“ | |
## Schutz vor Verdrängung | |
Mit dem Vorkaufsrecht sollen Mieter*innen vor Verdrängung geschützt werden. | |
Wenn in einem Milieuschutzgebiet ein Haus verkauft wird, hat der Bezirk | |
zwei Monate Zeit, um in den Kaufvertrag einzusteigen. Die ursprünglichen | |
Käufer können dem Vorkauf begegnen, indem sie eine Abwendungsvereinbarung | |
unterschreiben und damit etwa auf Umwandlungen in Eigentumswohnungen oder | |
teure Luxusmodernisierung verzichten. | |
Unterzeichnet der Käufer nicht, kann der Bezirk das Haus erwerben – auch | |
für Dritte wie Wohnungsbaugesellschaften. Dass das Instrument in Berlin | |
häufiger eingesetzt werden soll, steht im Koalitionsvertrag von | |
Rot-Rot-Grün. Mit den vollen Taschen der sechs Berliner | |
Wohnungsbaugesellschaften und finanzieller Beisteuerung durch das Land | |
lässt sich der Vorkauf finanzieren. | |
Doch nicht nur im Fall Rathenower Straße 50 droht ein langer Rechtsstreit. | |
Wann der Bezirk den ursprünglichen Käufer ausbooten kann, ist rechtlich | |
umstritten. So können Bezirke das Vorkaufsrecht auch zum Verkehrswert des | |
Grundstücks ausüben, wenn der Kaufpreis diesen deutlich überschreitet – | |
doch rechtlich ist dies noch nicht abschließend geklärt. Insgesamt sieben | |
Verfahren wurden berlinweit bisher von ursprünglichen Käufern gegen die | |
Ausübung des Vorkaufsrechts angestrengt. „Um mehr Klarheit für die | |
Umsetzung des Vorkaufs zu erlangen, wird mit Spannung auf künftige | |
Gerichtsurteile wie für die [1][Großgörschenstraße] geschaut“, so Wild. | |
Baustadtrat Gothe teilte den Mieter*innen schriftlich mit, dass der Bezirk | |
die Widersprüche schnellstmöglich bearbeiten werde. Für die Mieter*innen | |
der Rathenower Straße 50 gelten nach wie vor die Regeln des Milieuschutzes. | |
Zusätzliche Kriterien durch eine Abwendungsvereinbarung würden die Mieter | |
jedoch langfristig schützen. | |
„Für uns Mieter*innen war von Anfang an klar, dass hier niemand klein | |
beigeben will“, sagt Gustav Schneider, der in der Rathenower Straße 50 | |
wohnt. Als er erfuhr, dass das Haus verkauft werden soll, ergriff er die | |
Initiative: Er holte die Nachbarn ins Boot. „Wir werden nicht einfach | |
hinnehmen, was hinter unserem Rücken ausgehandelt wird“, so Schneider. | |
8 Apr 2018 | |
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## AUTOREN | |
Sophie Schmalz | |
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