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# taz.de -- #Mietenwahnsinn-Proteste: Im Häuserkampf geht noch was
> Immer neue Initiativen kämpfen gegen Verdrängung. Mit Aktionstagen und
> einer Großdemo wollen sie Druck auf die Bundespolitik machen.
Bild: Immer höhere Mieten steigen vielen zu Kopf
Berlin taz | 74 Prozent der Menschen haben Angst davor, durch zu hohe
Wohnkosten ihre Wohnung zu verlieren oder zu verarmen. 47 Prozent
befürchten, sich ihre Wohnung schon in zwei Jahren nicht mehr leisten zu
können. Diese Zahlen aus einer Caritas-Studie sind zurzeit fast überall in
der Stadt sehen – auf Mobilisierungsplakaten für eine Mieten-Demonstration
am 14. April. [1][„Widersetzen – Gemeinsam gegen Verdrängung und
Mietenwahnsinn“] ist das gemeinsame Motto von rund 150 Initiativen, die
sich dem Aufruf bereits angeschlossen haben.
Schon an diesem Mittwoch beginnen Aktionstage, die das Thema quer durch die
Stadt sichtbar machen wollen. Dabei sind Kiezinitiativen, stadtpolitische
Netzwerke, kämpfende Hausgemeinschaften, Sozial-, Kultur- und
Familienzentren. Es ist das größte Bündnis zum Thema Mieten und Wohnen, das
die Stadt je gesehen hat: ein Mosaik des Engagements.
Selbst Menschen, die seit Jahren aktiv sind, zeigen sich überrascht, welche
Dynamik sich seit den ersten Vernetzungstreffen Ende vergangenen Jahres
entwickelt hat. Kein anderes politisches Thema ist in Berlin derzeit so
raumgreifend, emotional aufgeladen, dringend.
In einem allgemein gehaltenen Aufruf fordern die Aktiven einen „radikalen
Kurswechsel in der Wohnungs- und Mietenpolitik“ und eine „solidarische
Stadt“. Dabei besteht die Stärke der Bewegung auch in ihrer inhaltlichen
Kompetenz. So finden sich auf der Website des Bündnisses weitere
Forderungskataloge, die von einem Verbot sogenannter Share Deals über die
Erhöhung von Sozialraumquoten bis zur Baulandvergabe nach sozialen
Konzepten reichen.
Heinz-Jürgen Korte und Regina Schönfeld gehören zu denen, die Angst haben
müssen. Beide wohnen und arbeiten im Alten Wasserwerk Tegel, einem
denkmalgeschützten Gelände mit Wohnungen, Kleingärten und Werkstätten.
Einst im Besitz der landeseigen GSW, ging der Komplex nach deren Verkauf an
die Deutsche Wohnen über, den größten privaten Wohnungskonzern der Stadt.
Im vergangenen Sommer folgte der Weiterkauf an das nächste private
Unternehmen.
## Kampf gegen Abriss
Korte und seine Untermieterin kämpfen mit ihrer Initiative gegen den
geplanten Abriss der Gärten und Werkstätten – und um ihren eigenen
Verbleib. Womöglich verlieren sie ihre Wohnung, weil ein Gericht ihre
Gründe für eine Mietminderung nicht anerkannte. Dabei schimmeln ihnen
aufgrund von ausbleibenden Instandsetzungsarbeiten die Wände weg. „Wir
hätten das Gelände gerne selbst gekauft“, sagt Korte. Doch Unterstützung
vom CDU-geführten Bezirk gab es keine.
Schönfeld hofft auf Beistand der Linken. Deren Bausenatorin Katrin
Lompscher solle kommen oder der für Denkmalschutz zuständige Kultursenator
Klaus Lederer. Untätigkeit werfen sie ihnen aber nicht vor: „Ich glaube,
dass Frau Lompscher einen vollen Terminkalender hat; außerdem steht sie
total unter Druck“, so Schönfeld. Ihre Bemühungen erkennt sie an, ebenso
jene von Bezirkspolitikern wie dem grünen Baustadtrat Florian Schmidt, der
per Vorkaufsrecht immer weitere Häuser in Friedrichshain-Kreuzberg sichert.
Wohl auch, weil unter den Aktiven diese Meinung verbreitet ist, wird es
keine Demonstration gegen die Politik der Stadt. „Der Fokus ist auf die
Bundespolitik gerichtet“, sagt Tim Riedel vom Bündnis Zwangsräumungen
verhindern. Seine Gruppe ist so etwas wie ein Dienstleister der von
Verdrängung Bedrohten. Seit dem letzten Demo-Bündnistreffen in der
vergangenen Woche hat sie auch Kontakt zu Schönfeld und Korte.
Im Repertoire des Widerstands: Druck auf Vermieter, Kundgebungen,
Blockaden. In den vergangenen anderthalb Jahren hat Zwangsräumungen
verhindern fünf „Kiezversammlungen gegen Verdrängung“ auf die Beine
gestellt – jeweils mit mehreren hundert Teilnehmern. Dabei entstand auch
die Demo-Idee.
Für Riedel geht es vor allem darum, „einen Ort zu schaffen, wo alle
zusammenkommen“. Denn viele Aktivitäten – die Kämpfe ums eigene Haus, der
Besuch von Versteigerungen oder Gerichtsprozessen – sind kaum sichtbar.
Dennoch sei die Aufteilung in unzählige Kleingruppen ein Vorteil der Szene,
ist Riedel überzeugt: „Es ist eine Stärke, wenn die politische Arbeit ganz
konkret ist und nicht nur aus Parolen besteht.“ Fast wöchentlich ploppten
zuletzt neue Initiativen auf, oft nach den Adressen der Hausbewohner
benannt, die sich gegen ihre Verdrängung zur Wehr setzen.
## Wohnungen als Ware
Zwangsräumungen verhindern gehört zu jenem Teil des Spektrums, dem es
weniger darum geht, der Politik konkrete Handlungsempfehlungen zu geben,
als vielmehr das System infrage zu stellen. „Wir finden es doof, dass
Wohnungen eine Ware sind, mit der Geld gemacht wird“, sagt Riedel. Also
stellen sie sich Polizisten und Gerichtsvollziehern in den Weg. Der
Unterschied zu anderen Gruppen besteht vor allem darin, auf den Kontakt mit
Politikern nicht allzu viel zu geben.
Dennoch unterstützt Riedel die Forderungen, die an die neue Große Koalition
im Bund gestellt werden: eine Mietpreisbremse, die ihren Namen auch
verdient, ein Schutz für Gewerbetreibende, ein neuer sozialer Wohnungsbau.
„Die Gelder, die da jetzt in die Hand genommen werden, sind nur ein Tropfen
auf den heißen Stein“, so sein Urteil. Der neue Bundesbauminister Horst
Seehofer (CSU) ist dabei nicht sonderlich geeignet, die Hoffnungen hoch
fliegen zu lassen.
Dennoch sind die mietenpolitischen Aktivisten der Stadt derzeit fast ein
wenig berauscht von der eigenen Stärke. „Je mehr Widerstand sichtbar wird,
je kontinuierlicher, desto mehr Leute kommen darauf, selbst etwas zu
machen“, sagt Riedel. Er hofft auf neue Impulse für die Engagierten,
zusätzliche Mitstreiter und Gruppen.
Schönfeld erzählt begeistert, wie auf dem Weg vom letzten Bündnistreffen
zurück nach Tegel ein Bekannter in der U-Bahn Flyer verteilte. „Alle
wussten, dass er recht hat, als er sagte: Auch ihr könnt bald von
Verdrängung bedroht sein.“
4 Apr 2018
## LINKS
[1] http://mietenwahnsinn.info/
## AUTOREN
Erik Peter
## TAGS
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