| # taz.de -- Protest gegen Spekulanten: Rigaer Straße im Rentenalter | |
| > Nirgends ist der Protest gegen Verdrängung so ausdauernd wie in Tegel. | |
| > Seit acht Jahren wehren sich die alteingesessenen Mieter erbittert. | |
| Bild: Protest im August 2016. In den folgenden mehr als 600 Tagen hat sich nich… | |
| Berlin taz | Im Wintergarten von Hans-Hartmut Lenz hängt ein Wahlplakat, | |
| das seine Mutter zeigt. Anni Lenz, bekannt als [1][Mietrebellin Oma Anni]. | |
| 2016 warb die Linkspartei mit der damals 94-Jährigen, die sich nicht von | |
| einem Spekulanten aus ihrem Zuhause in der Tegeler Siedlung Am Steinberg | |
| verdrängen lassen wollte. Auf dem Bild guckt die resolute Dame entschlossen | |
| aus ihrem Fenster. Oma Anni ist Anfang 2017 verstorben. Doch ihr Sohn führt | |
| den Kampf um ihr Haus entschlossen weiter, mittlerweile im achten Jahr. | |
| So lange ist es her, dass eine [2][private Fondsgesellschaft] die ehemals | |
| staatliche Siedlung aus fünf Reihenhauszeilen, einem Doppelhaus und drei | |
| zweistöckigen Mehrfamilienhäusern kaufte; im Zuge der Privatisierung und | |
| Zerschlagung der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft GSW. Nach dem Willen | |
| der Spekulanten sollen die Häuser kernsaniert und für eine halbe Million | |
| Euro aufwärts verkauft werden. | |
| Nur bei 14 von 62 Wohneinheiten ist das innerhalb von acht Jahren gelungen. | |
| Denn der Widerstand der MieterInnen, allesamt im Rentenalter, gegen ihre | |
| Vertreibung [3][ist erbittert]. Die meisten von ihnen leben in vierter | |
| Generation in diesem fast schon ländlichen Idyll. Kleine Häuschen mit | |
| Fensterläden, Mietergärten, Kopfsteinpflaster – ein Dorf inmitten der | |
| Stadt. Klein-Kleckersdorf lautet der liebevolle Spitzname der Siedlung. | |
| Mit seinen 66 Jahren gehört Lenz zu den jüngsten und aktivsten der | |
| renitenten MieterInnen. Am Morgen hat er den 1338. Tag in Folge ein rotes | |
| Zelt vor seinem Hauseingang aufgestellt und Transparente an Holzstangen | |
| befestigt. Über „Kapital“, „bezahlbare Mieten“ und „Menschenwürde�… | |
| darauf zu lesen. Auf einem anderen steht die Zahl 1.330 – an jedem Tag ein | |
| neues Laken zu bemalen wäre doch ein bisschen viel. | |
| ## Kein Tag ohne Protest | |
| Die Dauerkundgebung in dem Gässchen Kehrwieder ist die ausdauerndste der | |
| Stadt. Selbst das Protesthäuschen [4][Gecekondu von Kotti & Co] ist nicht | |
| so durchgängig besetzt. Bald werden sich die AktivistInnen aus Kreuzberg | |
| und die RentnerInnen aus Tegel wieder sehen. Zusammen mit über 140 weiteren | |
| Initiativen stehen beide hinter dem Aufruf für die [5][#Mietenwahnsinn-Demo | |
| am 14. April]; ein kleines Plakat hängt auch hier. | |
| Im Pavillon sitzen zwei ältere Damen und trinken Kaffee. Ihre Schicht geht | |
| heute von 11 bis 14.30 Uhr. Dann werden sie abgelöst. So läuft es jeden | |
| Montag und Dienstag, erzählen sie eher missmutig. Aus Spaß, so viel steht | |
| fest, erhalten die BewohnerInnen ihren Protest nicht aufrecht. Es sei | |
| „traurig und beschämend“, in dem Pavillon zu sitzen, sagt Lenz – „Unser | |
| Lebensmittelpunkt ist der Kampf und die Angst um das Zuhause.“ | |
| Daran hat auch ein Urteil des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe von | |
| vergangenem Dezember nichts geändert. Die Richter hatten geurteilt, dass | |
| MieterInnen der Siedlung umfassende bauliche Veränderungen – etwa einen | |
| Neuzuschnitt der Wohnräume und den Abriss von Veranden – nicht dulden | |
| müssen. Erst recht nicht, wenn dadurch die Kaltmiete von knapp 500 Euro auf | |
| über 2.000 Euro monatlich steigen soll. | |
| Doch der Vermieter reagierte schnell. Die Modernisierungsgesuche kommen | |
| nicht mehr im Paket, jede Maßnahme wird nun einzeln angekündigt, sagt Lenz. | |
| „Der Investor hat uns mit einer neuen Klagewelle überzogen“, fügt er | |
| ungerührt hinzu. | |
| ## CDU gegenMieter | |
| Lenz und sein Nachbar Christian Malinowski, der auf eine Tasse Kaffee auf | |
| die Veranda herübergekommen ist, geben sich trotzig. Ihre Miete haben sie | |
| schließlich immer bezahlt, wie sie betonen. Der CDU-geführte Bezirk steht | |
| aufseiten des Investors, Rot-Rot-Grün auf Landesebene hat nichts gebracht – | |
| schließlich habe sich an ihrer Situation nichts verändert. | |
| Sie sehen sich als Teil der Mieterbewegung, aber die könnte durchaus | |
| radikaler sein, sind Lenz und Malinowski überzeugt. Etwaige Vorschläge, | |
| sich selbst noch deutlicher zu wehren, seien an sie herangetragen worden, | |
| sagt Lenz, aber: „Erklären sie mal den Damen, dass sie ein Haus besetzen | |
| sollen. Das funktioniert nicht.“ | |
| Die Hausbesetzungen in den 1980er Jahren waren „richtig“, sagt Malinowski | |
| und auch der Widerstand der Linken in der Rigaer Straße sei „absolut | |
| legitim“. Der Vergleich mit der krawalligen Straße in Friedrichshain fällt | |
| öfter im Gespräch der beiden. Etwa wenn sie über einen großen | |
| Polizeieinsatz berichten, bei dem im Jahr 2014 auf Antrag der Investoren | |
| eine alte Tanne gefällt wurde und AnwohnerInnen rüde zur Seite geschubst | |
| wurden. „Bis heute konnten sie nichts vorlegen, dass sie das durften“, so | |
| Lenz. | |
| Wenn man so will, liegt der Vergleich mit der [6][Räumung der | |
| Autonomenkneipe Kadterschmied]e vor zwei Jahren auf der Hand. Auch dort | |
| konnte der Eigentümer im Nachhinein nichts dazu vorlegen, dass er das | |
| durfte. | |
| Die Strategie der Eigentümer der Siedlung am Steinberg sei auf Schikane | |
| ausgerichtet, so erzählen es die Betroffenen. Ihre Häuser sind in einem | |
| schlechten Zustand, auf Hilfe brauchen sie nicht zu hoffen. Dafür hagelt es | |
| Aufforderungen, Abmahnungen, Kündigungen. „Die klagen nicht, um zu | |
| gewinnen, sondern um uns psychisch fertigzumachen“, sagt Lenz. | |
| Zum Glück aber wohne hier „ein Schlag, der recht zäh ist“, sagt er. Denno… | |
| ist die Kraft der Nachbarschaft begrenzt. Malinowski hatte schon einen | |
| Schlaganfall, auch einige andere seien in jüngster Zeit schwer erkrankt. | |
| Die Älteste unter ihnen ist 100. Sie wohnt allein in einem der | |
| Mehrfamilienhäuser, die anderen fünf Wohnungen stehen leer. Solange sie | |
| bleibt, müssen auch die Umbaupläne der Spekulanten in der Schublade | |
| bleiben. | |
| 12 Apr 2018 | |
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| Erik Peter | |
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