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# taz.de -- Aktivist*innen besetzen leeres Haus: 40 Wohnungen übernommen
> Berlin erlebt die größte Besetzungsaktion seit Langem: Aktivist*innen
> haben ein seit fünf Jahren leer stehendes Haus in Neukölln übernommen.
Bild: Hier ist jetzt besetzt: Szene von der Hausbesetzung am Sonntag
Berlin taz | Für Lisa Sommer (Name geändert) ist die lang vorbereitete
Aktion am Ende nur ein kurzer Spaziergang. Vom geheimen Vorab-Treffpunkt in
einem Park Nahe des Neuköllner U-Bahnhofs Karl-Marx-Straße, geht es ein
kurzes Stück die Bornsdorfer Straße hinauf. An einem Seiteneingang, der
Nummer 37b, ist die Tür des fünfstöckigen Wohnhauses bereits geöffnet. Dem
kleinen Voraus-Kommando folgen kurz drauf Dutzende weitere Menschen. Sie
schleppen Stühle, Sofas, Stehlampen, Teppiche und Tische heran, große
Spanplatten und Kisten mit Transparenten. Eine halbe Stunde später wird das
erste Banner aus den Fenstern gehängt. „#Besetzen“ steht darauf.
Unterdessen machen Bilder und Nachrichten von weiteren besetzten Häusern in
Steglitz, Friedrichshain und Köpenick die Runde. Ob es sich dabei um echte
oder nur um vorgetäuschte Besetzungen handelt, ist nicht klar. Eindeutig
ist die Lage in der Reichenberger Straße 114 in Kreuzberg. Hier haben sich
AktivistInnen des vor einem Jahr geräumten linksalternativen Kiezladens
Friedel 54 ein Ladenlokal in einem Haus des Immobilienkonzerns Akelius
angeeignet. Berlin erlebt an diesem Sonntag die größte Besetzungsaktion
seit Langem.
„Wir wollen die Häuser dem freien Markt entziehen“, sagt Sommer zum Ziel
ihrer Aktion. Dafür haben sich, so erzählt sie, ein halbes Dutzend
politischer Gruppen schon vor Monaten zusammengetan, um die Aktionen zu
planen. In der Stadt, die inzwischen in allen Bezirken von Gentrifizierung
und enormen Mietsteigerungen betroffen ist, geht es den AktivistInnen um
Grundsätzliches: „Wir wollen nicht nur über die soziale Nachjustierung von
neoliberaler Politik reden, sondern über radikale Alternativen.“ Nutzen
wolle man, so Sommer, die „Dynamik der gesellschaftlichen Debatte um
Wohnraum“. Vor einem Monat waren 25.000 Menschen zur Mietenwahnsinn-Demo
auf die Straße gegangen.
Das Haus, vor dem Sommer im strahlenden Sonnenschein steht, gehört dem
kommunalen Wohnungsbauunternehmen „Stadt und Land“. Nach Recherchen der
BesetzerInnen steht es seit fünf Jahren leer. Auf dem Klingelschild sind
keine Namen mehr zu erkennen, einige Fensterscheiben in den oberen
Stockwerken sind kaputt. Das städtische Unternehmen hatte das Haus 2015
gekauft, die Ausschreibung für eine Generalsanierung 2016 verlief
ergebnislos.
Es sind 40 Wohnungen von geschätzt etwa 100.000, die stadtweit leer stehen.
Eine Vorstellung, wer hier bei einem dauerhaften Erfolg der Besetzung
einmal wohnen soll, haben die AktivistInnen noch nicht, das soll gemeinsam
mit der Nachbarschaft erarbeitet werden. Noch während AktivistInnen mit
Holzbalken und Akkuschraubern die Haustür verstärken, ziehen andere durch
die umliegenden Straßen, um Flyer in die Briefkästen zu stecken.
Unterdessen steht vor dem Haus ein Nachbar, der zufällig auf die
BesetzerInnen gestoßen ist. Er begleitet sie auf seinem Akkordeon mit „Let
it be“.
## Hoffnung auf Kompromissbereitschaft
20 Minuten nachdem die ersten BesetzerInnen das Haus betreten haben, sind
in der ersten Etage bereits Gemeinschaftsräume eingerichtet, mit Teppichen
und Grünpflanzen. Eine junge Frau hat es sich auf einem Sessel bequem
gemacht. Von der Polizei ist zu diesem Zeitpunkt noch nichts zu sehen.
Die Auswahl des Hauses ist auch eine Kritik an den öffentlichen
Wohnungsbaugesellschaften: „Das sind immer noch profitorientierte
Kapitalgesellschaften, die Wohnraum auch gerne für 12-15 Euro pro
Quadratmeter vermieten“, so Sommer. Die „Stadt und Land“ sei zudem jene d…
fünf öffentlichen Gesellschaften, die am häufigsten zwangsräumen lasse.
Trotz der Kritik spielte bei der Auswahl des Hauses auch die Hoffnung eine
Rolle, dass das Unternehmen die Besetzung zunächst tolerieren könnte und
nicht sofort die Polizei um eine Räumung bittet. „Wir stehen für
Verhandlungen bereit“, sagt Sommer. Das Unternehmen sei bereits
angeschrieben worden. Insgeheim hoffen die BesetzerInnen auch darauf, dass
der rot-rot-grüne Senat nicht so kompromisslos auf Besetzungen reagiert,
wie seine Vorgänger. Die Linksfraktion etwa beschloss im März auf ihrer
Klausurtagung ein Papier, in dem die „Entkriminalisierung von
Wohnraumbesetzungen unter bestimmten Bedingungen“ gefordert wurde.
Die Besetzungen am Sonntag waren von der Initiative #besetzen schon seit
Wochen angekündigt worden. Das auf ihrer Website veröffentlichte Manifest
unter der Überschrift „Paläste für alle, statt Wohnraum als Ware“ ist ei…
Anklage gegen neoliberale Stadtpolitik. Mehr als eine Stunde nach Beginn
der Besetzung erreichen die ersten Polizisten das aus. Die AktivistInnen
richten sich derweil weiter ein.
20 May 2018
## AUTOREN
Erik Peter
## TAGS
Hausbesetzung
Berlin
Wohnraum
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