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# taz.de -- Kommentar Protest gegen Mietpolitik: Es brennt
> Die Explosion der Mietpreise ist eine gigantische Umverteilung von unten
> nach oben. Die Politik muss die Kontrolle in die Hände der Mieter legen.
Bild: Wenn viele kleine Fische sich zusammentun …
Wenn Zehntausende an einem anfangs noch heftig verregneten Samstag sich
[1][auf den Weg zu einer Demo] machen, wenn ein breites Bündnis von
Aktivisten, Kleinfamilien, schwarzem Blöckchen und rabiaten Rentnern
zusammenkommt, dann zeigt das vor allem eins: Es brennt. Und was die Mieten
betrifft, muss man konstatieren: Es brennt sogar gewaltig.
Das Konzept Stadt ist quasi tot. Es zuckt noch hier und da, aber wer sich
aktuelle Wohnungsangebote anschaut, erkennt unausweichlich: Wenn nicht eine
radikale Wende gelingt, dann wird es die Großstadt, in deren Mitte sich
unterschiedliche soziale Schichten ein Leben leisten können, bald nur noch
in Geschichtsbüchern geben.
München, Köln, Hamburg kann man als Mieterstadt längst vergessen, in Berlin
gibt es dank noch existierender Altmietverträge ein paar bezahlbare Oasen.
Aber auch die deutsche Hauptstadt katapultiert sich gerade [2][auf eine
Ebene mit Paris und London], in deren Zentren sich selbst Angehörige der
Mittelschicht allenfalls mit Zweit- oder Drittjob noch eine Minibutze
leisten können. Gewöhnlich aber sind sie längst vertrieben an den Rand der
Städte. Und das Schlimmste daran ist: Es gilt als normal.
Kurz vor der eindrucksvollen Mietendemonstration am Samstag hatte ein
Berliner CDU-Abgeordneter ernsthaft die These vertreten, das Problem
entstehe nicht, weil mit Wohnungen Geld verdient wird. Bei so einem Humbug
kann man nur einen Fall von grassierendem Mietenwahnsinn attestieren. Denn
tatsächlich explodieren die Mieten einzig und allein aus diesem Grund: weil
mit den Wohnungen spekuliert wird.
## Das Märchen vom freien Markt
Wer heute noch das Märchen vom freien Markt erzählt, der angeblich auch das
Mietenniveau regle, ist entweder auf die Lügen der Neoliberalen
hereingefallen oder er gehört zu denjenigen, die diese Lügen verbreiten.
Denn nirgendwo sonst lässt sich komplettes Marktversagen so klar beobachten
wie beim Wohnungssektor.
Die Anbieter der wenigen freien Wohnungen verfügen über ein temporäres
Quasimonopol, was es ihnen erlaubt, Mondpreise zu verlangen. Daher
vermeidet jeder, dem es möglich ist, seinen Umzug, was die Zahl
freiwerdender Wohnungen weiter reduziert. Die Spirale dreht sich immer
schneller. Die Miete explodiert.
Weil die Anbieter die Zwangslage der Suchenden für ihre Profite nutzen,
muss man vielfach längst von Wucher sprechen. Der ist [3][laut
Strafgesetzbuch] nicht nur verboten, sondern könnte sogar hart bestraft
werden. Ein Fall für die Staatsanwaltschaften? Ja, da man von dort aber
nichts hört, muss man feststellen: Der Wohnungsmarkt ist offenbar einer
dieser vielfach gescholtenen rechtsfreien Räume.
Die Folgen sind dramatisch. Denn die Steigerung der Mieten führt ja nicht
nur zu einer sozialen Entmischung der Kieze, an der eine Gesellschaft kein
Interesse haben kann. Dahinter steckt zudem eine gigantische Umverteilung
von unten nach oben, ein Raubzug an der Lebensqualität aller
Nichtspekulanten. Denn die Betroffenen müssen entweder deutlich mehr
arbeiten oder lange Arbeitswege in Kauf nehmen oder in kleinere Wohnungen
umziehen. Meist sogar alles drei auf einmal. Kein Wunder, dass die Massen
jetzt auf die Straße gehen. Sie haben Angst, ihren Status zu verlieren –
und damit leider recht.
## Es fehlt Kontrolle
Politisch wird derzeit gestritten, was denn wirklich Abhilfe verspricht:
Bestandssicherung oder Neubau? Die Antwort ist so simpel wie naheliegend:
Beides ist unabdingbar. Und beides kann nur wirken, wenn endlich ein
Mieterschutz garantiert wird, der seinen Namen auch verdient.
Die Mietpreisbremse zum Beispiel ist und bleibt ein schlechter Witz,
solange sie auf einem Mieterhöhungsspiegel beruht, den selbst kommunale
Wohnungsbaugesellschaften zur ständigen Erhöhung des Preisniveaus
missbrauchen. Sicher aber ist: Egal wie hart oder weich eine rechtliche
Regelung ist, effektiv ist sie nur, wenn ihre Einhaltung auch kontrolliert
wird. Dafür kann der Staat entweder ein bürokratisches Überwachungsmonster
kreieren – oder er legt die Kontrolle in die Hände derjenigen, die wirklich
ein Interesse daran haben: die Mieter selbst.
Eine langfristig erfolgreiche staatliche Wohnungspolitik kann nur ein Ziel
haben: Sie muss Alt- wie Neubauten dem Spekulationskreislauf entziehen,
indem sie ausschließlich bewohnerkontrollierte Projekte wie
Genossenschaften oder das Mietshäusersyndikat unterstützt. Durch günstige
Kredite, durch direkte Förderung und vor allem ein weitreichendes
Vorkaufsrecht.
Mit anderen Worten: Es geht um die Verwirklichung eines alten
Hausbesetzerslogans: die Häuser denen, die drin wohnen. Klingt radikal? Ja.
Aber alles andere ist Quark.
15 Apr 2018
## LINKS
[1] /Grossdemonstration-in-Berlin/!5498560
[2] /Entwicklung-der-Immobilienpreise/!5495422
[3] https://dejure.org/gesetze/StGB/291.html
## AUTOREN
Gereon Asmuth
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