# taz.de -- Wohnraum in Berlin: Besetzer fordern den Senat heraus | |
> Die Räumung eines besetzten Hauses schürt den Konflikt zwischen Politik | |
> und Bewegung. Bürgermeister Müller sagt: „Der Zweck heiligt nicht die | |
> Mittel.“ | |
Bild: Ist das nun eine angemessene Protestform? | |
Berlin taz | Als das Blaulicht schon die Nacht durchschnitt, Polizisten die | |
ersten BesetzerInnen in die Wannen zerrten und die Sprechchöre der | |
Demonstranten eindringlicher wurden, duckten sich die Verantwortlichen | |
lieber weg. Ingo Malter, Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft Stadt | |
und Land und Wohnungs-Staatssekretär Sebastian Scheel (Linke) harrten am | |
Sonntagabend gegen 21.30 Uhr zwar immer noch vor dem [1][besetzten Haus in | |
der Neuköllner Bornsdorfer Straße] aus, doch sie waren in die Knie | |
gegangen. Unsichtbar für die meisten Umstehenden kauerten sie auf dem | |
Boden, umgeben von drei hüfthohen Mauern und einem Polizeifahrzeug. | |
Im übertragenen Sinne ganz ähnlich hatten den Tag über auch Berlins | |
Senatsmitglieder gehandelt. Die professionell vorbereiteten und | |
konzertierten Besetzungsaktionen hatten die rot-rot-grüne Regierung in die | |
politische Arena gezogen. Doch es fand sich niemand, der sich hervorwagte, | |
um die polizeiliche Lösung für ein politisches Problem zu verhindern. | |
Der formal für die Wohnungsbaugesellschaften zuständige Finanzsenator | |
Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) hätte „Stadt und Land“-Chef Malter aus der | |
Verantwortung nehmen können, wohl auch eine resolute | |
Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke). Doch beide hielten | |
sich bedeckt – und ermöglichten damit die durch Malter angeforderte | |
[2][Räumung]. | |
Damit ist weder das Problem einer für viele zur Existenzfrage gewordenen | |
Wohnungsnot gelöst, noch die Aktionsform Besetzen delegitimiert. Im | |
Gegenteil: Statt die in dem Wohnhaus seit zehn Jahren leer stehenden 40 | |
Wohnungen schnellstmöglich wieder bewohnbar zu machen, werden diese auf | |
absehbare Zeit weiter leer stehen. | |
Und statt einen Konsens darüber zu haben, dass das Aneignen fremden | |
Eigentums unmoralisch und falsch ist, wird bundesweit die Debatte darüber | |
geführt, ob nicht das Gegenteil davon richtig ist. Exemplarisch für viele | |
Debatten fragte die Süddeutsche Zeitung am Dienstag: „Hausbesetzung – ein | |
angemessener Protest gegen Wohnungsnot?“ | |
## Die Linke in der Kritik | |
Weniger in der SPD, dafür bei Verantwortungsträgern von Grünen und Linken | |
beantworten viele diese Frage mit Ja – dennoch hat der Senat nun das erste | |
Mal in seiner anderthalbjährigen Amtszeit einen ernsthaften Konflikt mit | |
der außerparlamentarischen linken Szene der Stadt. Besonders die Partei, | |
die mit „Und die Stadt gehört Euch“-Plakaten für sich geworben hatte, | |
bekommt den Unmut zu spüren. | |
Auf Indymedia machten einige der BesetzerInnen die Linkspartei für die | |
Räumung „verantwortlich“. Einen Tweet der Linken Berlin, in dem Verständn… | |
für die Aktion und ein Bedauern über die Räumung ausgedrückt wurde, | |
kommentierte die offizielle #besetzen-Kampagne: „Solange ihr nur | |
Lippenbekenntnisse aussprecht, können wir auf eure Solidarität verzichten!“ | |
In einer Mitteilung kündigte die Initiative zudem an: „In Zukunft werden | |
wir uns nicht mehr auf Rot-Rot-Grün und ihre Zusagen verlassen. Bald kommen | |
wir wieder!“ | |
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller äußerte gegenüber der taz | |
Verständnis für die „Angst vor steigenden Mieten“. Weiter sagte er: „Do… | |
der Zweck heiligt nicht die Mittel. Hausbesetzungen sind kein probates | |
Instrument, sie verletzen Recht und Gesetz. Und das können wir nicht | |
zulassen.“ Die wohnungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Iris Spranger | |
zeigte sich über den Leerstand in einem „Stadt und Land“-Haus überrascht | |
und kündigte an: „Wir werden jetzt mit den Wohnungsbaugesellschaften | |
sprechen. Wir wollen wissen, wie viele das genau sind.“ | |
## Angebot als Novum | |
Malter hatte seit dem Nachmittag mit den BesetzerInnen verhandelt, später | |
unterstützt von Scheel, und ihnen das Angebot unterbreitet, in dem Haus ein | |
selbstverwaltetes Projekt zu realisieren. Die Rede war von einem | |
„Vorzugsrecht“ und Mieten von sechs Euro pro Quadratmeter. Dafür allerdings | |
sollten die BesetzerInenn umgehend das Haus verlassen. Ein noch am selben | |
Tag den BesetzerInnen zugesichertes Haus wäre selbst für Berlin ein Novum | |
geblieben, zumal die Polizei seit Jahren die „Berliner Linie“ verfolgt und | |
Besetzungen innerhalb von 24 Stunden beendet. | |
Dennoch war die Skepsis der KampagnenvertreterInnen groß. Würden sie das | |
Haus verlassen, wäre ihr einziges Druckmittel dahin. Auch der Mietpreis von | |
6 Euro überzeugte nicht alle. Noch während der Vorschlag mit den | |
BesetzerInnen diskutiert wurde, bat Malter die Polizei um Räumung. Ihm | |
zufolge sei die für die Verhandlungen gesetzte Frist von einer halben | |
Stunde überschritten und niemand mehr zu erreichen gewesen. | |
Senatorin Lompscher forderte am Montag von der Stadt und Land, auf | |
Strafanzeigen gegen diejenigen BesetzerInnen zu verzichten, die „das | |
Gebäude ohne Widerstand verlassen haben“. Laut Polizei werde gegen sechs | |
der angetroffenen 56 Personen auch wegen Widerstands ermittelt. Alle | |
Anzeigen seien nun aber Sache der Justiz. Der taz sagte Malter, er sei | |
verpflichtet, die Anzeigen wegen Hausfriedensbruch aufrecht zu erhalten: | |
„Ich bin an den rechtlichen Rahmen gebunden, da gibt es keinen Weg heraus.“ | |
Aus der Senatsverwaltung hieß es: „Wir sind noch in der Diskussion.“ | |
Mitarbeit Stefan Alberti | |
22 May 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Aktivistinnen-besetzen-leeres-Haus/!5507245/ | |
[2] /Hausbesetzungen-in-Berlin/!5507255/ | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
## TAGS | |
Besetzung | |
R2G Berlin | |
Hausbesetzung | |
Wohnraum | |
Berlin | |
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
Hausbesetzung | |
Hausbesetzung | |
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
Monika Grütters | |
Besetzung | |
Neukölln | |
R2G Berlin | |
Polizei Berlin | |
Besetzung | |
Hausbesetzung | |
Hausbesetzung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Google-Besetzung in Berlin: Das sollte nur ein Anfang sein | |
Nach kurzer Zeit beendet die Polizei die Besetzung des Google-Campus' in | |
Kreuzberg. Doch die Aktivisten haben schon weitere Aktionen angekündigt. | |
#besetzen-Kampagne geht weiter: Linke werben für „Züricher Linie“ | |
Bei einer Diskussionsveranstaltung kündigen AktivistInnen einen „Herbst der | |
Besetzungen“ an. Linke-Politikerin will im Senat für mehr Toleranz werben. | |
Hausbesetzung in Hildesheim: Angespitzte Aktivisten | |
In Hildesheim haben Aktivisten das Bleistifthaus besetzt. Bis Ende des | |
Monats ist die Uni dort Mieter. Danach steht wohl die Räumung bevor. | |
Hausbesetzungen in Berlin: Rot-Rot-Grün ist bereit zum Dialog | |
Die Koalition will Besetzungen mit Augenmaß begegnen und bald vielleicht | |
sogar tolerieren. Vorbild ist Zürich. Spekulativer Leerstand soll bekämpft | |
werden. | |
Landesvorsitzende von CDU und SPD: Zwischen Paris und Parteitag | |
Monika Grütters (CDU) und Michael Müller (SPD) sind zwar beide Landeschefs, | |
durchleben aber gerade völlig konträre Gefühlslagen. | |
Abgeordnetenhaus: Zwischen Recht und Gesetz | |
Die CDU pocht im Bauausschuss auf das Grundgesetz, die SPD konstatiert | |
„unterschiedliche Meinungen“ bei R2G und Regierungschef Müller ist sauer | |
auf seine Koalitionspartner | |
Gegen Räumungen: Demo in Kreuzberg und Neukölln | |
Nach den Besetzungen und Räumungen an Pfingsten protestierten am Freitag | |
500 Demonstrantinnen und Demonstranten gegen die Berliner Linie. | |
Berliner Wochenkommentar II: Die Debatte anregen | |
Die Hausbesetzungen haben eine positive Wirkung: Sie kurbeln die | |
Berichterstattung und damit die Diskussion über den Wohnungsnotstand in | |
Berlin an. | |
Berliner Wohnungspolitik: Besetzen will gelernt sein | |
Junge Liberale kündigen aus Protest Besetzung der | |
Grünen-Landesgeschäftsstelle an. Am Ende versammeln sich nur 20 Junge | |
Liberale auf der Straße. | |
Regierungschef kritisiert Hausbesetzung: „Das können wir nicht zulassen“ | |
Die konträren Positionen der Koalitionspartner zu Hausbesetzungen sorgen | |
für Zoff bei Rot-Rot-Grün – und für ein Machtwort von Michael Müller. | |
Hausbesetzungen in Berlin: Nach wenigen Stunden geräumt | |
Eine Einigung um das besetzte Haus in Neukölln schien schon zum Greifen | |
nah. Dann verlor der Geschäftsführer der Wohnungsfirma die Nerven. | |
Aktivist*innen besetzen leeres Haus: 40 Wohnungen übernommen | |
Berlin erlebt die größte Besetzungsaktion seit Langem: Aktivist*innen haben | |
ein seit fünf Jahren leer stehendes Haus in Neukölln übernommen. |