# taz.de -- Hausbesetzung in Hildesheim: Angespitzte Aktivisten | |
> In Hildesheim haben Aktivisten das Bleistifthaus besetzt. Bis Ende des | |
> Monats ist die Uni dort Mieter. Danach steht wohl die Räumung bevor. | |
Bild: Besetzt: Das Bleistifthaus in Hildesheim | |
HILDESHEIM taz | Die Haustür war unverschlossen. Also spazierten die rund | |
30 Besetzer einfach durch den Vordereingang hinein ins Bleistifthaus in | |
Hildesheim. Das Gebäude, dessen Fassade ein meterlanger roter Bleistift zu | |
durchbohren scheint, soll abgerissen werden und einem Parkhaus weichen, | |
berichtete die [1][Hildesheimer Allgemeine Zeitung]. Das [2][Bündnis | |
Freiräume Hildesheim] will das verhindern. Seit Dienstag in der vergangenen | |
Woche ist das Gebäude zwischen Hildesheimer Finanzamt und Jobcenter | |
besetzt. | |
An einem Baucontainer vor dem Haus weht eine schwarze Piratenflagge im | |
Wind. Statt Knochen kreuzen sich darauf Buntstifte. Lisa setzt sich mit | |
einem Becher Kaffee in den Schatten. Die 26-Jährige studiert in Hildesheim | |
Gestaltung. „Wir haben einen Ort gesucht, an dem sich Leute frei entfalten | |
können“, sagt sie. Ein selbstverwaltetes Zentrum fehle in Hildesheim. „Es | |
gibt hier sehr viele Studierende, aber sie prägen das Stadtbild nicht“, | |
sagt Lisa. Nach dem Studium zögen die meisten weg. Das Angebot für | |
Jugendliche und junge Erwachsene sei mau. | |
## Do-it-yourself-Skateanalage im Haus | |
Noch stehen im Haus viele Räume leer, aber die Aktivisten machen das | |
Bleistifthaus langsam zu ihrem. In der ehemaligen Bibliothek, einem | |
langgezogenen Raum unter dem Dach, riecht es nach Holzspänen. In der Ecke | |
liegen die Reste von Europaletten. Skater haben sich Rampen gebaut. | |
In einer kleinen Küche wird mit gespendeten Lebensmitteln gekocht. Weil der | |
Keller mit den Duschen abgeschlossen ist, haben die Aktivisten im früheren | |
Männerklo aus einem Schlauch, einer Brause und einem roten Planschbecken | |
selbst eine konstruiert. Abends gibt es auf dem Dach ein Freilichtkino. | |
Alles wird bunter, nach und nach wuchern im Inneren des Gebäudes die | |
Graffitis wie Efeu über die Wände. „Im Moment hat hier jeder den Platz, das | |
zu machen, was er oder sie möchte“, sagt Lisa. | |
Bisher sieht es so aus, als ob die Besetzer zumindest noch bis Ende des | |
Monats bleiben können. Mieterin ist bis dahin die Uni Hildesheim. Und die | |
hat bisher bei der Polizei keinen Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs | |
gestellt. „Von Seiten der Polizei sind deshalb erst einmal keine Maßnahmen | |
geplant“, sagt ein Polizeisprecher. | |
Die Uni scheint von den Besetzern jedoch nicht begeistert zu sein. Die | |
Institution stünde in der Tradition der „Kultur für alle“, sagt Sprecherin | |
Isa Lange. Die Räume im Bleistifthaus etwa seien für ein | |
künstlerisch-praktisches Projektsemester über das Jahr 1968 angemietet | |
worden. „Es wäre eine Ironie der Geschichte, wenn durch eine illegale | |
Hausbesetzung die Fortsetzung unseres kulturpolitischen Konzepts künftig | |
nicht mehr möglich wäre, weil uns niemand mehr eine Immobilie vermieten | |
würde.“ | |
Zudem habe der Eigentümer des Hauses, ein Wirtschaftsprüfer aus Hannover, | |
der Uni mit Regressforderungen gedroht, „die wir natürlich als öffentliche | |
Einrichtung gegenüber Dritten geltend machen müssen“, sagt Lange. | |
## Der Eigentümer schweigt | |
Der Eigentümer wollte sich gegenüber der taz nicht zu der Besetzung äußern. | |
Am Haus war er am vergangenen Mittwoch aber schon. Besetzerin Laura war bei | |
dem Treffen dabei. „Er hat gesagt, dass er nicht mehr weiß, ob er ein | |
Parkhaus bauen will“, sagt die 19-Jährige. Er mache gerade neue Pläne. | |
Einzelheiten habe der Eigentümer aber nicht genannt. Einen Zweifel daran | |
gelassen, dass er sie loswerden wolle, habe er nicht. | |
Eine gewaltsame Räumung wollen die Aktivisten vermeiden. „Aber wir bleiben | |
so lange es möglich ist“, sagt Laura. Die Besetzung ist auch ein Signal an | |
die Stadt Hildesheim: „Wir fordern einen anderen Raum“, sagt Lisa. Gestern | |
nach Redaktionsschluss sollte es ein Treffen mit dem Oberbürgermeister Ingo | |
Meyer (parteilos) geben. | |
Die Stadt verweist auf Nachfrage der taz darauf, dass es in Hildesheim | |
diverse soziale Angebote gebe: Das Mehrgenerationenhaus sei zum | |
Gemeinschaftshaus umgestaltet worden. Zudem gebe es das Kinder- und | |
Jugendzentrum Oststadt und einen Bürgerraum, den Initiativen und Bürger | |
unentgeltlich mieten könnten, sowie das soziokulturelle Zentrum | |
Kulturfabrik Löseke, das von einem Verein betrieben wird. | |
Ungeachtet dessen seien mehr Raumkapazitäten wünschenswert, sagt | |
Stadtsprecherin Marion Dobias. Das Bleistifthaus aber stehe nicht zur | |
Diskussion, da es der Stadt nicht gehöre. Zudem mache ein Parkhaus an dem | |
Standort Sinn, um Anlieger zu entlasten. | |
Lisa hingegen hält die Pläne für wenig zukunftsweisend. „Es muss | |
unattraktiver werden, Auto zu fahren“, sagt sie. Die Stadt solle endlich | |
fahrradfreundlicher werden. | |
Für den Fall einer Räumung haben die Besetzer schon einen Plan. Er steht | |
auf einem Transparent an der Fassade: „Räumt ihr uns aus diesem Haus, | |
suchen wir das nächste aus!“ | |
25 Jul 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hildesheimer-allgemeine.de/news/article/aus-bleistift-haus-soll… | |
[2] https://twitter.com/FreiraumeH | |
## AUTOREN | |
Andrea Maestro | |
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