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# taz.de -- Andrea Nahles auf Sommertour: Der Gentrifizierung auf der Spur
> Die SPD-Chefin schaut sich an, wie Gentrifizierung für die Betroffenen
> aussieht. Sie sieht: Der Widerstand gegen Luxussanierung ist schwierig.
Bild: SPD-Chefin Andrea Nahles an der Kaffeetafel in der Wingertstraße in Fran…
Frankfurt/Main taz | „Perfektion und Exklusivität leben“ verspricht das
Bauschild am Haus in der Wingertstraße 21 im Frankfurter Stadtteil
Bornheim. Diese Adresse ist zum Symbol der Gentrifizierung, der profitablen
Vertreibung langjähriger Mieter aus den angesagten Wohnvierteln der
Bankenstadt geworden. Arijana Neumann, die örtliche SPD-Landtagskandidatin,
hat ihre Parteivorsitzende Andrea Nahles zum Ortstermin geladen.
Neumann gehört zum Team des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters Peter
Feldmann. Mit seinen Kampagnen und Wahlerfolgen 2011 und 2018 hat er den
Mangel an bezahlbarem Wohnraum im Rhein-Main-Gebiet auf die politische
Agenda gesetzt. Am 28. Oktober wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt.
Die Verdrängung aus vormals bezahlbaren Wohnungen ist ein zentrales Thema
des Landtagswahlkampfs. Nach der Wahl will die SPD nach fast 20 Jahren
CDU-Dominanz endlich wieder Regierungsverantwortung übernehmen. Auch
deshalb ist SPD-Chefin Andrea Nahles nach Frankfurt gekommen.
Um die Welt von „Perfektion und Exklusivität“ zu betreten, müssen Andrea
Nahles und ihre Begleiter*innen zunächst ein verdrecktes Baugerüst
passieren. Die Eingangsstufen bröckeln, die Böden im Hauseingang und im
Treppenhaus sind mit spiegelglattem schwarzen Marmor gefliest. Teile des
Geländers aus Edelstahl haben sich gelöst, überall hängen Kabel herum,
Provisorien auf allen Ebenen. Auch wenn die „Sanierer“ auf ihrem
Werbeschild ihren wirtschaftlichen Erfolg bejubeln können, weil das Haus zu
„100 % verkauft“ ist – es ist und bleibt eine Baustelle.
## Luxussanierung und Aufteilung in Eigentumswohnungen
Darunter leiden inzwischen nicht nur die wenigen standhaften Mieter*innen,
sondern auch die Käufer*innen. Einige von ihnen haben nämlich ihre
angeblich exklusiven Wohnungen bereits bezogen. Im dritten Stock links, in
der geräumigen Wohnung von Marianne Ried ist eine Tafel mit Kaffee und
Kuchen gedeckt. Die Szene wirkt idyllisch. Wäre da nicht der Blick aus den
Fenstern auf das sperrige Baugerüst. „Das steht seit drei Jahren dort“,
sagt die 83-jährige Gastgeberin. Bei ihr im Wohnzimmer hat sich die alte
Hausgemeinschaft versammelt. Darunter sind auch diejenigen, die Dreck,
Baulärm und Schikanen nicht ausgehalten haben. „Mein Mann und seine Brüder
haben das Haus 1959 gebaut“, berichtet Marianne Ried. „Seitdem lebe ich
hier, und soll jetzt raus.“ Die Erbengemeinschaft hat das Haus verkauft.
Ihr lebenslanges Wohnrecht stand nicht im Grundbuch, „das ging damals unter
den Brüdern per Handschlag. Jetzt muss ich feststellen, meine Familie hat
das Haus verkauft und mich mit.“
Die Erben haben dabei einen sehr guten Preis erzielt. Eine mit der
Hausgemeinschaft kooperierende Genossenschaftsbank konnte nicht mithalten.
Diesen Kaufpreis hätte niemand mit den vergleichsweise günstigen Mieten
langjähriger Bewohner*innen refinanzieren können. Luxussanierung und
Aufteilung in Eigentumswohnungen – das war das Geschäftsmodell der
damaligen Käufer.
Solche Geschäftemacher kaufen ganze Straßenzüge in angesagten Wohnvierteln,
um sie zu sanieren, aufzuteilen und mit großem Gewinn weiter zu verkaufen.
2013 hätten sich die neuen Eigentümer mit der Ansage vorgestellt: „Wir
kriegen sie alle raus, notfalls auch innerhalb von drei Monaten“, berichtet
Almuth Meyer. Sie schildert das übliche Entmietungs-Programm: „Austausch
der Fenster im Winter, tagelang keine Heizung, Stromausfälle. Dann wurden
leerstehende Wohnungen mit Bauarbeitern aus Osteuropa überbelegt. Dreck und
jede Menge Baulärm. Immer wieder Wasserschäden,“ sagt sie.
Zur Zeit wird auf dem Dach ein zweistöckiges „Penthouse“ in Holzbauweise
errichtet. „Hoffentlich hält die Decke, die neuen Eigentümer haben nämlich
leider keine Ahnung vom Bau“, sagt Marianne Ried. Andrea Nahles zeigt sich
beeindruckt. „Es ist etwas anderes, wenn begreiflich wird, wie es den
Betroffenen geht“, sagt sie. Sie berichtet von den Gesetzesvorhaben der
Großen Koalition in Berlin. „Die Luxusmodernisierung, die der Vertreibung
der Mieter*innen dient, muss verboten und mit Ordnungsgeldern sanktioniert
werden“, sagt Nahles.
Die SPD-Chefin bedauert ausdrücklich, dass Bundesjustizministerin Katarina
Barley den Gesetzentwurf zur Verschärfung der Mietpreisbremse habe
abschwächen müssen. „Da ist eine starke Lobby unterwegs“, sagt sie und
verspricht, sich weiter einzusetzen. Den Vorsitzenden des Frankfurter
Mietervereins Sieghard Pawlik, einen SPD-Genossen, bittet sie um eine Liste
mit Vorschlägen, was zu tun ist.
Vier von zehn Mietparteien in der Wingertstraße 21 haben durchgehalten. An
Türen und Balkonen hängen Schilder mit dem Schriftzug „Wir bleiben!“ Sie
haben die Nachbarschaftsinitiative „NBO“ gegründet, benannt nach den vor
allem betroffenen Frankfurter Stadtteilen Nordend, Bornheim und Ostend. Ein
Sprecher der NBO zeigt eine Liste mit rund 60 Miethäusern, die ein einziges
Unternehmen aufgekauft hat, um sie saniert in Eigentumswohnungen zu
zerlegen und mit großem Gewinn zu verkaufen.
Auf seiner Homepage wendet sich dieses Unternehmen ausdrücklich an
Erbengemeinschaften. Die können mit den langjährigen Mieter*innen der
Altbauwohnungen nicht viel verdienen. Für die Sanierung fehlt ihnen das
Geld und der Mut und die Drecksarbeit der „Entmietung“ überlassen sie
lieber anderen. Nicht alle „Sanierer“ und „Entmieter“ wenden dabei brut…
Methoden an, manchmal können die Mieter sogar ihr Vorkaufsrecht wahrnehmen.
In der Wingertstraße hätten sie allerdings 6.000 Euro pro Quadratmeter
bezahlen müssen, um weiter in einer Dauerbaustelle wohnen zu können.
Die Hausgemeinschaft berichtet aber auch von ermutigenden Erfahrungen. Die
Kirchengemeinden hätten sie unterstützt, viele Politiker*innen aus nahezu
allen politischen Lagern der Stadt. „Die Nachbarn haben uns ihre
Wohnungsschlüssel angeboten, damit wir bei ihnen duschen können, wenn es
mal wieder nur kaltes Wasser gibt,“ berichtet Almuth Meyer und die betagte
Gastgeberin zeigt sich gerührt, dass ihr eine Familie Obdach im einem
Ferienhaus im Odenwald angeboten habe. Inzwischen sind alle Wohnungen in
diesem Haus verkauft. Nach fünf Jahren erlischt das Recht der Mieter, zu
bleiben. Und die Behörden hatten und haben keine juristische Handhabe gegen
die Aufteilung in Eigentumswohnungen.
Die SPD-Landtagskandidatin Neumann aus dem Team von OB-Feldmann, auf deren
Initiative der Ortstermin zu Stande kam, nimmt denn auch die schwarz-grüne
Landesregierung ins Visier: „Sie weigert sich beharrlich, eine
Rechtsverordnung zu erlassen, damit Umwandlungen von Miet- in
Eigentumswohnungen unter Vorbehalt der Kommune gestellt werden können. Die
Landesregierung bezieht einseitig die Interessen der Investoren,“ sagt die
SPD-Kandidatin.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Eine solche Rechtsvorschrift will in
Hessen neben SPD und Linken auch die grüne Regierungspartei. Ihr Partner,
die CDU, hat das bisher verhindert und auch die FDP ist dagegen. Glaubt man
den aktuellen Meinungsumfragen, wird mindestens eine Partei, die solch ein
Umwandlungsverbot ablehnt, zur Mehrheitsbildung nach der Wahl im Herbst
gebraucht.
Für die Mieter*innen, die noch in der Wingertstraße 21 wohnen, kommt das
alles ohnehin zu spät. Marianne Ried lässt sich indes nicht entmutigen.
„Sie dürfen wiederkommen,“ bietet sie Andrea Nahles an, und fügt lachend
hinzu: „Sie müssen aber anrufen, die Klingel geht nicht!“
26 Jul 2018
## AUTOREN
Christoph Schmidt-Lunau
## TAGS
Andrea Nahles
Gentrifizierung
Luxussanierung
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Mietpreisbremse
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