# taz.de -- Adolf Messer und die Uni Frankfurt: Braunes Geld, weiße Westen | |
> Die Goethe-Universität Frankfurt will ihre Geldgeber nicht verprellen. | |
> Sie benennt sogar einen Raum nach einem ehemaligen NSDAP-Mitglied. | |
Bild: Uni Frankfurt: ein unpolitischer Blick auf die „Adolf-Messer-Stiftung-L… | |
FRANKFURT AM MAIN taz | Fassadenteile können herabfallen. Bauzäune umgeben | |
schon seit Jahren das monumentale Hauptgebäude der Goethe-Universität im | |
Frankfurter Westend. Der „schönste Campus Europas“, wie die Universität i… | |
bezeichnet, wirkt marode. Errichtet wurde das Gebäude als Hauptsitz der | |
[1][I.G. Farben AG, eine der wichtigsten NS-Rüstungsfirmen] und Betreiberin | |
eines eigenen Lagers in Auschwitz. | |
Auch in der Uni gibt es Risse. 2015 wurde ein Gruppenraum nach dem früheren | |
NSDAP-Mitglied Adolf Messer benannt. Adolf Messer war Gründer und Chef der | |
Messer-Werke, in denen unter den Nazis kriegswichtige Chemieverfahren und | |
Waffenteile entwickelt wurden, etwa für die V2-Raketen. Zwangsarbeiter | |
mussten sie unter mörderischen Bedingungen in unterirdischen Stollen im KZ | |
Mittelbau-Dora fertigen. Auch die Firma Messer selbst, die 1936 von der | |
„Deutschen Arbeitsfront“ als Vorzeigebetrieb ausgezeichnet wurde, | |
beschäftigte bis zu 350 Zwangsarbeiter. | |
Die Nachfahren Adolf Messers gründeten 1978 eine Stiftung, die seit 1993 | |
eine der größten Spenderinnen der Goethe-Universität ist. Auch für die | |
„Adolf-Messer-Stiftung-Lounge“ gab sie Geld – stolze 100.000 Euro. „Der | |
Adolf-Messer-Stiftung nach der Förderzusage dann anzubieten, den | |
studentischen Arbeitsraum nach ihr zu benennen, lag wohl insofern nahe, | |
weil es seit vielen Jahren eine sehr erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen | |
der Stiftung und der Goethe-Universität gibt“, antwortet der Pressesprecher | |
der Universität, Olaf Kaltenborn, der taz schriftlich. Die | |
NSDAP-Mitgliedschaft Messers sei „übersehen“ worden. | |
„Ich muss da jetzt eben pflichtgemäß die Prügel für einstecken“, sagt | |
Uni-Präsidentin Birgitta Wolff Anfang Juli bei einer Podiumsdiskussion. Sie | |
ist seit 2014 im Amt, die Raumbenennung hat noch ihr Vorgänger Werner | |
Müller-Esterl angestoßen. Adolf Messer ist, gibt sie zu, eine „historisch | |
umstrittene Persönlichkeit“ – doch bedeute die Benennung nicht, dass man | |
ihn damit ehre. Man könne Adolf Messer auch „differenziert darstellen“, mit | |
einer Infotafel etwa. Ohnehin sei der Raum nicht nach ihm, sondern nach der | |
Stiftung benannt. Sie wolle „den besten Kompromiss finden“. | |
## Einfach nur Parteimitglied | |
Nur zwischen wem? Im Senat, dem höchsten demokratischen Gremium der | |
Universität, stimmten alle 16 Mitglieder für eine Umbenennung der | |
Adolf-Messer-Stiftung-Lounge. Allerdings: Der Beschluss ist nicht bindend. | |
Das Präsidium hat das letzte Wort. | |
„Auch die Stiftungen sind Organe der Universität“, stellt Wolff fest. Die | |
Alfons und Gertrude Kassel-Stiftung zum Beispiel – Alfons Kassel konnte | |
nach dem Krieg eine Klage gegen ihn wegen „Arisierung“ einer jüdischen | |
Firma nur mit einem Vergleich abwenden. Die Johanna Quandt-Stiftung, deren | |
Vermögen ebenfalls aus der Beschäftigung von Zwangsarbeitern stammt, und | |
das jetzt in skulpturale Kunst auf den Campus fließt. | |
Oder die Adolf-Messer-Stiftung. Sie hat schlagende Argumente: „Gerne kann | |
ich Ihnen als Größenordnung sagen, dass sich unser Engagement im oberen | |
einstelligen Millionenbereich bewegt“, schreibt Stefan Messer, Adolfs | |
Enkel, Leiter der Stiftung und Ehrensenator der Uni. Drittmittel einwerben, | |
lautet das Gebot in Zeiten nach der Bologna-Reform. Drittmittel – also auch | |
Stiftungsmittel. | |
## 100 Prozent Messer | |
Stefan Messer fühlt sich ungerecht behandelt. Die Stiftung habe „zu keinem | |
Zeitpunkt den Wunsch geäußert, dass der Raum als Gegenleistung oder | |
Anerkennung unseres Engagements diesen Namen erhält“. Allerdings sieht er | |
seinen Großvater, „unter Berücksichtigung der historischen Aufarbeitung, | |
die wir betrieben haben, in einem anderen Licht, als dies vielleicht die | |
Öffentlichkeit tut“. | |
Messer meint das Buch „100 Prozent Messer“, das die Stiftung anlässlich des | |
100-jährigen Firmenjubiläums 2005 in Auftrag gab. Wortgleiche Passagen | |
daraus finden als „Kurzgutachten“ ihren Weg in die Goethe-Uni, für welches | |
das unter Druck geratene Präsidium ausgerechnet den Verfasser des | |
Jubiläumsbuchs beauftragt: den Historiker Jörg Lesczenski, der inzwischen | |
in Frankfurt am Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte sein Auskommen gefunden | |
hat; außerdem den Lehrstuhlinhaber Werner Plumpe und dessen Kollegen | |
Andreas Fahrmair. | |
Im Gutachten stehen Sätze wie: „Die Parteimitgliedschaft alleine taugt als | |
Beleg für eine auch ideologische Nähe zum Nationalsozialismus freilich | |
wenig.“ Oder: „Die Chancen, die der NS-Staat gerade kriegswichtigen | |
Unternehmen bot, wurden genutzt, ohne dass die Eigentümer und Manager in | |
jeder Hinsicht konform mit der NS-Ideologie gehen mussten.“ Zwangsarbeiter | |
habe Messer nur beschäftigt, „um die Produktion aufrecht zu erhalten“. | |
## Schleppende Aufarbeitung | |
„Wichtig ist nicht, was Adolf Messer gefühlt oder gedacht hat. Wichtig ist, | |
was er getan hat“, sagt Benjamin Ortmeyer, ehemaliger Leiter der | |
Forschungsstelle NS-Pädagogik. Er kritisiert, das Gutachten wolle Messer | |
einen „Persilschein“ ausstellen – und die Stiftung durch wohltätiges | |
Engagement den Namen der Familie Messer reinwaschen. „Besser wäre wohl der | |
Name ‚Opa-war-kein-Nazi-Stiftung‘!“ | |
Auch die Universität selbst arbeite ihre eigene Geschichte nur schleppend | |
auf, klagt der Erziehungswissenschaftler Ortmeyer. Für seine Monografie | |
über den in Frankfurt promovierten Lagerarzt Josef Mengele habe er sogar | |
nach Wien fahren müssen, um die nötigen Akten zu bekommen. Das hiesige | |
Universitätsarchiv sei zu schlecht ausgerüstet. „Es gibt noch nicht mal ein | |
Findbuch!“ Zwei zusätzliche Stellen, die er für das Archiv fordert, | |
bewillige das Präsidium seit Jahren nicht. | |
Die Aufarbeitung der braunen Uni-Vergangenheit leisteten bisher vor allem | |
Studierende. Eine Historikerkommission zu dem Thema einzurichten, wurde | |
schon 2014 im Senat diskutiert, doch erst dieses Jahr gab es Mittel für ein | |
Forschungsprojekt – Drittmittel. Geldgeber sind: die Quandt- und die | |
Kassel-Stiftung. | |
„Der Universität ist ihre eigene Vergangenheit unangenehm“, glaubt der | |
Asta-Vorsitzende Johannes Fechner. Das fange schon bei den Namen an: Der | |
„I.G. Farben-Campus“ wird von der Verwaltung „Campus Westend“ genannt, … | |
„I.G. Farben-Haus“ bezeichnete sie nach dem Umzug auf das Gelände im Jahr | |
2001 zeitweilig nur als „Poelzig-Ensemble“ und die Benennung eines | |
zentralen Platzes nach Norbert Wollheim, der als erster Zwangsarbeiter | |
erfolgreich die I.G. Farben verklagt hatte, erfolgte nur auf öffentlichen | |
Druck. Die Gedenktafel an die Opfer des Nationalsozialismus vor dem | |
Haupteingang liegt auf dem Boden, obwohl Überlebende aus Auschwitz | |
forderten, dass sie steht. | |
## Und dann noch ein SS-Mitglied | |
„Solange die Universität die Abhängigkeit von ihren Stiftern nicht offen | |
thematisiert, wird es immer wieder solche Fälle geben“, sagt Fechner. Erst | |
vor zwei Monaten zum Beispiel wurde auf der Tafel der Ehrensenatoren im | |
Präsidium der Name des SS-Mitglieds Albrecht Schmidt entdeckt, der | |
daraufhin gestrichen wurde. | |
Wenn die AfD fordert, den Nationalsozialismus als Vogelschiss zu | |
betrachten, dann zeigt sich bei denen, die ihr widersprechen, häufig ein | |
seltsamer Stolz: darüber, wie verantwortlich man die NS-Zeit aufgearbeitet | |
habe. „Man gewinnt dann den Eindruck, hier würde behauptet, in Deutschland | |
sei nach dem Holocaust eine höhere Form der Moral entstanden“, schreibt der | |
Historiker Raphael Gross in einem Aufsatz über Martin Walser. | |
Auch Birgitta Wolff will „die AfD stoppen“, sagt sie auf dem Podium. Das | |
will wohl jeder im Raum. Deshalb soll die Goethe-Universität, heißt es in | |
einer Pressemitteilung, „die Anstrengungen zur Erforschung ihrer | |
Geschichte, insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus, verstärken“ | |
und „den Diskursraum hierfür öffnen“. Es fällt mehrfach, dieses Wort: | |
„Geboten ist also Diskurs, nicht Tilgung.“ Das unterstellt denen, die sich | |
gegen die Messer-Lounge engagiert haben, den Wunsch nach Zensur. „Aber was | |
soll das für ein Diskurs sein, für den es notwendig ist, Räume nach | |
NS-Tätern zu benennen?“, fragt Newal Yalcin, die im Asta eine Projektstelle | |
für NS-Aufarbeitung innehat. „Wenn es eine echte Diskussion gäbe, dann | |
hätte sie auch Konsequenzen.“ | |
Am Mittwoch letzter Woche hat das Präsidium endgültig beschlossen, den | |
Namen beizubehalten. Allerdings mit einem Zusatz: | |
„Adolf-Messer-Stiftung-Lounge – Diskursraum – Wissenschaft in Geschichte | |
und Gesellschaft“ wird künftig der Raum heißen, in dem man aus der | |
Vergangenheit lernen kann. | |
27 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Adrian Schulz | |
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