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# taz.de -- TU Hamburg verbietet Aushang: Kein Platz für Marx und Engels
> Die TU untersagt ein Werbeplakat für eine kritische Diskussion über die
> Ausrichtung der Physik. Die Leitung findet, die Veranstaltung sei zu
> politisch.
Bild: Gab es einen Urknall oder nicht? Das wäre die Frage gewesen
Hamburg taz | Als Ulrich Fritsche vor drei Wochen abends ein Plakat ans
Schwarze Brett der Technischen Universität Hamburg (TUHH) hängen wollte,
half ihm der Pförtner sogar, einen guten Platz zu finden. Doch inzwischen
ist der Flyer längst entfernt, der Vorgang sogar Gegenstand einer
Gerichtsentscheidung. Denn der Kanzler der TUHH hat den Aushang nicht
genehmigt.
Das Plakat zeigt einen nächtlichen Himmel, davor sitzt ein Mensch mit
Lampe. „Selbstorganisation der Materie“, ist zu lesen. „Zur Rolle der
dialektischen materialistischen Methode und Weltanschauung in der
Herausbildung einer Entwicklungstheorie der Materie“. Der Physiker
Christian Jooß von der Uni Göttingen spricht am 17. November in der
Hochschule für Angewandte Wissenschaften über sein Buch.
Eingeladen hat Ulrich Fritsche, Doktor der Biologie und bereits Rentner. Er
organisiert einen kleinen „Gesprächskreis Dialektik und Materialismus“. Das
sei eine Art „Graswurzel-Initiative“, sagt er, die in loser Reihe zum
kritischen Dialog über Naturwissenschaften lädt. Diesmal geht es unter
anderem um die Urknall-Hypothese und die aufwändige Forschung, um diese zu
beweisen.
Fritsche erhielt am nächsten Tag einen Anruf von der Sekretärin des
Kanzlers. Ob er eine Genehmigung fürs Plakat-Anbringen habe. Die TUHH sei
seit den Terroranschlägen am 11. September vorsichtig und kontrolliere
genau. Fritsche beantragte eine Genehmigung. Sie wurde abgelehnt.
## Stabsstelle Arbeitssicherheit
Denn die TUHH hat eine Stabsstelle Arbeitssicherheit und die hat gegoogelt.
Fritsches Kreis hat keine Homepage. Aber er wird erwähnt auf der Seite der
„Marx-Engels-Stiftung“ in Wuppertal. Der Stabsstelle sei aufgefallen, dass
Fritsches Club der Stiftung „unterliegt und wir an der TUHH keine
politischen Vereine unterstützen“, so die Ablehnung.
Fritsche nimmt sich einen Anwalt, Rolf Geffken. „Mein Mandant ,unterliegt’
nicht der Marx-Engels-Stifung“, das sei Unsinn, kontert dieser in einem
Brief an den Kanzler. Abgesehen davon, handle es sich bei der
Marx-Engels-Stiftung um eine anerkannte wissenschaftliche Vereinigung,
deren Ziel die Erforschung des Werks von Marx und Engels und dessen
„geschichtlicher Wirksamkeit“ sei. So begründeten sie die
Wissenschaftsphilosophie des „Dialektischen Materialismus“. Die TUHH sei
verpflichtet, solche Anträge sorgfältig zu prüfen und nicht pauschal
abzulehnen, weil ihr die Richtung nicht gefiele.
Es folgte eine Reihe von Protestbriefen. So schrieb der Psychologe Wolfgang
Jantzen an die TUHH, er fände es bedauerlich, „wenn ausgerechnet im Jahr
des 200sten Geburtstags von Karl Marx, der weltweit zunehmend an Bedeutung
als Philosoph und Ökonom erfährt, Ihre Universität bei ihrer Haltung
bliebe“. Andere fühlten sich an das KPD-Verbot von 1956 und den kalten
Krieg erinnert. Und der Linke Martin Dolzer mahnt Wissenschafts- und
Meinungsfreiheit an.
## Eilverfahren vor Gericht
Man gehe davon aus, dass es sich um eine Veranstaltung „mit ausgeprägtem
(allgemein)-politischem Inhalt handelt“, hält TUHH-Sprecher Rüdiger Bendlin
entgegen. Die TUHH verfolge nun mal „selbst das Gebot der Neutralität im
Bezug auf politische und religiöse Themen“. Auch Bendlin führt an, dass
besagte Marx-Engels-Stiftung auf ihrer Seite von „Zusammenarbeit“ mit den
Veranstaltern schreibt.
Die Sache ging im Eilverfahren vor Gericht, wo die TUHH auch ein
Solidaritätsflugblatt linker Gruppen als Beleg für den politischen
Charakter anführt. Hätten andere Unis dieses Plakat erlaubt, hätten sie
womöglich den politischen Aspekt gar nicht gesehen.
Das Verwaltungsgericht lehnte nun am Freitag einen Eilantrag Fritsches ab
und gab der Hochschule recht. Es sei deren Aufgabe, dafür zu sorgen, dass
„insbesondere (allgemein-)politischer Disput aus dem Raum der Hochschule
ferngehalten wird“.
Fritsche hält dagegen, dass es eine unpolitische Wissenschaft nicht gebe.
Auch Naturwissenschaft sei „hochpolitisch“.
13 Nov 2018
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Karl Marx
Wissenschaft
Diskussion
Astrophysik
KPD
Politik von unten
Vergangenheitsbewältigung
Gender Studies
Wissenschaft
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