# taz.de -- Technikphilosoph über Abgasversuche: „Lobbying ist Pflicht“ | |
> Ein Problem entsteht erst dann, wenn Lobbying von Wissenschaft nicht mehr | |
> unterschieden werden kann, sagt der Technikphilosoph Armin Grunwald. | |
Bild: Javaneraffe in Göttingen: Mit Artgenossen wurden in den USA die Abgastes… | |
taz: Herr Grunwald, wer hat durch [1][die Abgasversuche] von VW und Daimler | |
größeren Schaden genommen: die Autoindustrie oder die Wissenschaft? | |
Armin Grunwald: Die Autoindustrie, allerdings in diesem Fall wohl zu | |
Unrecht. Es ist ja keine Ausnahme, dass eine Branche für ihre Anliegen | |
Lobbying betreibt. Im Gegenteil: In einem kapitalistischen System ist | |
Lobbying geradezu eine Pflicht. Skandalisiert wird der Fall nur deswegen, | |
weil er in den Dieselkomplex hineingerutscht ist. | |
Also ist eine Lobbyorganisation wie die „Europäische Forschungsvereinigung | |
für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor“, mit der die Autoindustrie | |
die umstrittenen Versuche finanziert hat, kein einmaliger Ausrutscher, | |
sondern übliche Praxis? | |
Natürlich, das ist etwas sehr Verbreitetes. Alle großen Branchen oder | |
Unternehmen haben solche Institutionen, ob Vereine oder Stiftungen. Sie | |
geben sich einen wissenschaftlichen Anstrich. Ein Problem entsteht erst | |
dann, wenn man die Lobbytätigkeit von wissenschaftlicher Tätigkeit nicht | |
mehr unterscheiden kann. | |
Dann wäre Wissenschaft nur noch Marketing. Wie wollen Sie das verhindern? | |
Durch den wissenschaftlichen Diskurs, durch die öffentliche Debatte über | |
Forschung, ihre Methoden, Ergebnisse, aber auch über ihre Finanzierung und | |
den Bedingungen, die die Finanziers den Wissenschaftlern vorgeben. Sobald | |
Forschung und ihre Ergebnisse nicht mehr öffentlich diskutiert werden und | |
von anderen, unabhängigen Wissenschaftlern infrage gestellt werden können, | |
haben wir einen Skandal. Wissenschaft lebt von Öffentlichkeit und | |
Transparenz. | |
Ist Öffentlichkeit hier denn ausreichend gewährleistet? | |
Die Wissenschaft ist seit etwa zehn, zwanzig Jahren zunehmend auf | |
Drittmittel angewiesen. Eingeworbene Gelder aus der Privatwirtschaft | |
spielen eine ganz große Rolle für das Ranking von Universitäten, aber auch | |
für die Karrieren von einzelnen Wissenschaftlern. Auch Länder und der Bund | |
erwarten, dass Forscher privates Geld einwerben. Bei einigen großen | |
Universitätsinstituten beträgt der Anteil von Drittmitteln am | |
Forschungsbudget 80 Prozent. Die ganze Fraunhofer-Gesellschaft lebt davon, | |
dass sie eng mit der Wirtschaft kooperiert. Das ist gut so und wichtig für | |
die Volkswirtschaft. Da passiert ethisch auch nichts Bedenkliches. Aber es | |
besteht die Gefahr des schleichenden Verlustes der unabhängigen | |
Themensetzung. Wissenschaftler erforschen dann nicht mehr, was sie wichtig | |
und interessant finden, sondern wofür sie Geld aus der Wirtschaft bekommen. | |
Werden die Ergebnisse aus dieser in großem Maßstab aus Drittmitteln | |
finanzierten Forschung wie von Ihnen gefordert veröffentlicht? | |
Nicht immer. Häufig sind unternehmerische Interessen oder | |
Geschäftsgeheimnisse betroffen, dann bleiben die Ergebnisse unter | |
Verschluss. | |
Brauchen wir neue Regeln, mit denen wir Forschungseinrichtungen zu | |
Transparenz verpflichten? | |
Es gibt genug Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, etwa von der | |
Deutschen Forschungsgemeinschaft. Der enge Verbund von Wissenschaft und | |
Wirtschaft mit den teils ökonomisch notwendigen | |
Vertraulichkeitsvereinbarungen ist eines der Erfolgsrezepte der deutschen | |
Volkswirtschaft. Und überhaupt kein Problem, wenn sich alle an die Regeln | |
halten. | |
Aber die Wirtschaft ist auch darauf angewiesen, dass die Öffentlichkeit der | |
Risikoforschung vertraut – Stichwort Glyphosat oder Bisphenol A, bei der | |
Gentechnik oder Nanotechnologie … | |
Gerade die Nanotechnologie ist doch ein gutes Beispiel: Da haben sich viele | |
unabhängige Institute des Themas angenommen, es ist eine gute | |
Risikodiskussion geführt und die Kritiker sind ernst genommen worden. | |
Einige ihrer Bedenken sind in Regularien aufgenommen worden, etwa im | |
Arbeitsschutz, bei anderen konnte die Forschung Entwarnung geben. | |
30 Jan 2018 | |
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## AUTOREN | |
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