# taz.de -- Nationalsozialismus und Wissenschaft: NS-Forscherinnen müssen gehen | |
> Die Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Uni Frankfurt steht vor dem Aus. | |
> Verträge der Leiterinnen sind nicht verlängert worden. | |
Bild: Im IG-Farben-Haus der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt | |
Das zehnjährige Jubiläum steht im nächsten Jahr bevor, doch die Zukunft der | |
[1][Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Universität Frankfurt am Main ist | |
ungewiss.] Die in Deutschland einmalige Einrichtung, 2012 von den | |
Wissenschaftlern Micha Brumlik und Benjamin Ortmeyer gegründet, steht vor | |
dem Aus. Der Grund: Die Universität verlängerte die Verträge mit den zwei | |
Leiterinnen der Stelle nicht, auch der zukünftige Verbleib der | |
umfangreichen Materialsammlung ist ungeklärt. | |
Am Ende kam es nicht ganz überraschend, sagt Katharina Rhein. „Mit uns | |
wurde nicht wirklich über die Zukunft der Forschungsstelle kommuniziert, es | |
war klar: Unser Vertrag endet am 31. März“, sagte die Co-Leiterin der | |
Forschungsstelle im Gespräch mit der taz. | |
Nachdem der Erziehungswissenschaftler [2][Benjamin Ortmeyer 2018 in den | |
Ruhestand ging,] übernahm Rhein mit ihrer Kollegin Z. Ece Kaya die Leitung | |
über zwei Stellen als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen. Die Universität | |
versprach, Folgestrukturen zu schaffen, etwa eine neue Professur zum Thema. | |
Das passierte zwar nun, allerdings ohne die Forschungsstelle institutionell | |
in irgendeiner Form zu berücksichtigen. | |
Die Frankfurter Universität verliere „zwei allseitig anerkannte und | |
beliebte Lehrende, die in ihren Seminaren über die NS-Pädagogik | |
aufklärten“, befürchtet die AStA-Vorsitzende Kyra Beninga. Auch ihr Kollege | |
Mathias Ochs kritisiert die Universität scharf: „Wir befürchten, dass die | |
Forschungsstelle bald nur noch dem Namen nach als ‚Briefkastenfirma‘ | |
besteht, um ihren faktischen Umbau zu vertuschen.“ | |
## Verweis auf neue Professur | |
Die Universität und der Fachbereich Erziehungswissenschaften nennen die | |
Vorwürfe des AStA „unvollständig und fehlerhaft“, wie sie der taz über d… | |
Uni-Sprecher Olaf Kaltenborn mitteilen. Durch die Schaffung einer neuen | |
W3-Professur, in die auch die „Erziehung nach Auschwitz bis heute“ | |
inbegriffen sei, habe man neue Strukturen nach Ortmeyers Ruhestand | |
geschaffen. Der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Meseth besetzt jene | |
Stelle seit Anfang April und soll einen „Generationswechsel“ einleiten, | |
zudem eine „zeitgemäße Konzeption“ der Forschung zur NS-Pädagogik | |
erarbeiten. | |
Die Anstellung von Rhein und Kaya sei „von vornherein bis zur Besetzung der | |
neuen W3-Professur als Interimslösung gedacht“ gewesen, teilen Universität | |
und Fachbereich der taz mit. Außerdem wird betont, dass der „Aufbau und die | |
Entwicklung der Forschungsstelle NS-Pädagogik über viele Jahre mit | |
beträchtlichen ideellen und finanziellen Mitteln unterstützt“ worden sei. | |
Benjamin Ortmeyer sieht das gänzlich anders. „Die beiden sind nicht zu | |
ersetzen“, betont er im Hinblick auf Rheins und Kayas enorme fachliche | |
Kenntnis. Der von der Universität angeführte Generationswechsel werde | |
„faktisch rückgängig gemacht“, mit den beiden drohe die Uni kaum zu | |
ersetzende Expertise und Forschungserfahrung zu verlieren – auch und gerade | |
zur Erziehung nach Auschwitz in der Migrationsgesellschaft. Außerdem sei | |
eine dauerhafte Perspektive für die beiden stets von der Universität in | |
Aussicht gestellt worden. | |
## Umfangreiche Materialsammlung | |
„Herrn Meseth unterstütze ich gerne, wo ich kann“, betont Ortmeyer im | |
Gespräch mit der taz. Dennoch sei die Arbeit der Forschungsstelle nicht | |
einfach zu ersetzen. Die Universität müsse ausreichend Gelder und Stellen | |
zur Verfügung stellen, um die Forschung adäquat fortzuführen, statt sie wie | |
zuvor von Drittmittelförderungen abhängig zu machen, auf die sie als | |
Stiftungsuniversität oftmals angewiesen ist. „Und die bekommt man mit | |
historischer Bildungsforschung offenbar nicht“, sagt Ortmeyer. | |
„Die historische Forschung zur konkreten Pädagogik in der NS-Zeit ist im | |
Moment insgesamt nicht gut aufgestellt“, sagt auch Rhein. Der Fachbereich | |
sei, wie so oft, unterfinanziert. Gerade junge Wissenschaftler:innen | |
arbeiteten zumeist mit Zeitverträgen, unter prekären Bedingungen und in der | |
steten Hoffnung auf eine dauerhafte und gesicherte Finanzierung. Das zeige | |
sich gerade bei diesem Thema: „Wer sich nur mit der vermeintlich gelungenen | |
Aufarbeitung der NS-Geschichte rühmt, die konkrete Forschung dazu jedoch | |
nicht langfristig finanziert, kann sich die warmen Worte auch sparen“, so | |
die Wissenschaftlerin. | |
Weiterhin ungeklärt ist auch, was mit der umfangreichen Materialsammlung | |
der Forschungsstelle passiert. Rund 4.000 Bücher umfasst sie, „alles sauber | |
sortiert und digitalisiert“, so Ortmeyer. Der Wissenschaftler bot der | |
Universität zu seinem Ruhestand eine Schenkung an. Einzige Bedingung: Die | |
Sammlung bleibt bei der Forschungsstelle. Auf der Schenkungsurkunde, die | |
der taz vorliegt, fehlt bis heute die Unterschrift des Uni-Präsidenten. „Da | |
wurde ich schon skeptisch“, sagt Ortmeyer. | |
Die Universität hingegen beteuert, dass man auf der Suche nach einem neuen | |
Standort für die Sammlung sei. Der angedachte Raum komme nun doch nicht | |
infrage, die Statik trage die Masse an Büchern nicht. | |
## Adorno als Aushängeschild | |
Ob die Forschungsstelle der Uni zu unbequem ist? Insbesondere Ortmeyer | |
erinnerte immer wieder an die nationalsozialistische Geschichte des Campus | |
und der Uni, die heute zum Teil im ehemaligen Gebäude des Chemiekonzerns | |
I.G. Farben untergebracht ist. | |
Zudem kritisierte Ortmeyer etwa zum 100-jährigen Jubiläum der Uni im Jahr | |
2014, jene würde nicht gut genug an die eigene Verstrickung im | |
Nationalsozialismus erinnern, etwa an die Promotion des SS-Lagerarztes | |
Josef Mengele in Frankfurt. 2018 kritisierte Ortmeyer die Benennung eines | |
Raums nach dem Industriellen Adolf Messer, der auch Mitglied der NSDAP | |
war, von Rüstungsaufträgen profitierte und Zwangsarbeiter:innen | |
einsetzte. Nach langem Streit wurde der Name schließlich geändert. | |
„Adorno dient als Aushängeschild“, so Ortmeyer. So sind die Straßen rund … | |
die Universität mittlerweile etwa nach den Philosophen der Frankfurter | |
Schule benannt. „Aber es läuft darauf hinaus, dass die Uni die | |
Gesellschaftskritik nicht mehr als Grundlage haben möchte.“ Dem stimmt auch | |
Rhein zu: „Mit dem Wegfall der Forschungsstelle bricht auch eine | |
inhaltliche Traditionslinie ab.“ | |
Auf eine Lösung des Konflikts und eine Perspektive der Forschungsstelle in | |
Frankfurt hofft der Wissenschaftler Ortmeyer dennoch weiterhin. Ansonsten, | |
sagt er, müsse leider eben ein neuer Standort gefunden werden. | |
19 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://forschungsstelle.wordpress.com/ | |
[2] https://benjaminortmeyer.de/ | |
## AUTOREN | |
Kevin Čulina | |
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