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# taz.de -- Versteigerung in Kreuzberg: „Das ist eine Wildwest-Investition“
> Eine anonyme Gesellschaft bietet einen Mondpreis für ein Wohnhaus. Doch
> gerade deswegen können Mieter und Bezirk Hoffnung schöpfen.
Bild: Für 7,1 Millionen versteigert: Mehringdamm 67
Berlin taz | In einer Ecke hinter einem hölzernen Stehtisch hängt in der
Kneipe „Destille“ eine alte Preistafel: Pilsener 20 Pfennig, Weizenbier 30
Pfennig, auch Korn wird zum Spottpreis angepriesen. Ganz so billig sind die
Haselnuss- und Rhabarberschnäpse aus den großen Glasballons, die hinter dem
Tresen hängen, heute nicht mehr. Doch so überholt wie am Mittwochvormittag
wirkte das Relikt aus alten Zeiten in der mehr als 140 Jahre alten Kneipe
am Kreuzberger Mehringdamm 67 wohl noch nie.
Da kommt im Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg das Gründerzeitgebäude unter
den Hammer; 27 Wohnungen und drei Läden. Schon vor Beginn der Versteigerung
steht fest, die Spekulation mit Wohnraum klettert auch hier in irrwitzige
Höhen: Mit 5 Millionen Euro hat das Gericht den Verkehrswert des Hauses
festgesetzt, das seine Bewohner eine „Bruchbude“ nennen. Fern sind die
Zeiten, als Arbeiter ihre halbe Lohntüte in der Destille ließen und
trotzdem ihre Miete zahlen konnten.
Aus Angst vor ihrer Verdrängung steht ein Dutzend Bewohner am
Mittwochmorgen gegenüber dem Gericht. „Keine Spekulation im Milieuschutz.
Bezahlbaren Wohnraum schützen“ steht auf ihrem Transparent. Fabian, der aus
Angst vor neuen Eigentümern seinen Nachnamen lieber verschweigt, wohnt seit
18 Jahren in dem Haus, wie alle zahlt er eine Miete von etwa 5 Euro pro
Quadratmeter. „Es wird so getan, als ginge uns das gar nichts an“, sagt er
zur bevorstehenden Zwangsversteigerung, dabei sei doch klar: „Je höher der
Preis, desto höher der Renditedruck.“
Lange gehörte das Gebäude drei Erben, die kein Interesse daran hatten, die
Mieter auszuquetschen. Es verbindet mit dem Haus und seinen Bewohnern, wenn
man selbst den Baum im Hof gepflanzt hat. Bei den Nachfolgeerben war das
schon anders. Zwei von ihnen verkauften ihren Anteil zuletzt an Firmen, die
K&M Conceptwert AG und Salaground Invest GmbH heißen. Erstere hat die
Zwangsversteigerung herbeigeführt, um die Reste dieser Erbengemeinschaft
aufzulösen, das Haus ganz zu übernehmen oder mit Gewinn abzustoßen.
## Der Bezirk will zuschlagen
Doch es gibt Hoffnung. Friedrichshain-Kreuzbergs Baustadtrat Florian
Schmidt (Grüne) nämlich verfolgt weiter seine Losung: „Wir kaufen uns die
Stadt zurück.“ Das Mittel: bezirkliches Vorkaufsrecht in
Milieuschutzgebieten. Schon 13 mal hat Xhain zugeschlagen. Der taz kündigte
Schmidt an, auch nach der Versteigerung des Mehringdamm 67 das
Vorkaufsrecht nutzen zu wollen. Nicht zum dort erzielten Preis, sondern zum
Verkehrswert.
Juristisch ist das hoch umstritten. „Wir wollen ein Musterklageverfahren“,
so Schmidt. Dass der bei einer Versteigerung erzielte Wert neuer
Verkehrswert sein soll, leuchtet ihm nicht ein: „Versteigerungen haben
einen irrationalen Effekt. Bieter beißen sich am Ziel fest, und der Preis
wird noch höher getrieben, als es das Marktgeschehen hergibt“, lautet seine
Begründung. Zur Versteigerung hat er einen Mitarbeiter geschickt.
Punkt 10 Uhr drängen sich etwa 80 Menschen im Gerichtssaal, Bewohner und
Bieter sind nicht auseinanderzuhalten. Jene, die gleich mit
Millionenbeträgen um sich werfen, setzen auf Understatement. Die
Auktionatorin, eine Frau in Zivil, verliest die Versteigerungsbedingungen,
danach ist eine halbe Stunde Zeit, um sich als Bieter anzumelden. Gemurmel
beginnt, auch die vermeintlichen Konkurrenten von K&M und Salaground
schwatzen. 4 Millionen Euro von K&M-Vertreter Herr Paus ist das erste
Gebot. „Sportlich“, raunt es aus der Ecke der Destille-Kunden.
Erst auf den letzten Drücker kommen drei weitere Bieter aus der Deckung:
Herr Akbar, ein älterer Herr im braunen Cordjackett, eine anonyme
Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), vertreten durch einen Mann, der
seine Jacke mit Fellkragen anbehält und betont desinteressiert in eine
Zeitung schaut, sowie eine Investment GmbH, vertreten durch die drei
auffälligsten Männer, davon einer mit glänzendem blauen Anzug, ein zweiter,
der noch bei seiner Mama wohnen könnte. 5,65 Millionen Euro ist ihr Gebot.
## Höher, immer höher
Vier Nummernschildchen sind damit vergeben. In den kommenden zwölf Minuten
wechseln sich aber nur die Schildchen zwei und drei mit ihren Geboten ab.
Zwischendurch plauschen die beiden Bieter und werden von der Auktionatorin
zurechtgewiesen: „Bitte nicht so offiziell hier drin, so blind kann doch
keiner sein.“ Herr Akbar, Schild Nummer zwei, ruft 7 Millionen auf, der
GbR-Fellkragenmann, Nummer drei, erhöht um 100.000. Dann heißt es: „Die GbR
blieb Meistbietende. Das letzte Gebot wird durch dreimaliges Aufrufen
verkündet.“ 7,1 Millionen zum Ersten, Zweiten und zum Dritten.
Die erfolgreiche GbR, Czarny & Schiff, wie man im Nachhinein erfährt, hat
bereits einen Ruf durch unerlaubte Modernisierung im Milieuschutz. Dazu der
Mondpreis, mehr als 40 Prozent über dem Verkehrswert – hätte es schlimmer
kommen können?
Ja. Zwar sind Fabian und seine Nachbarn geplättet, „krass, das ist eine
Wildwest-Investition“, aber womöglich wurden durch das Auktionsergebnis
zwei Hürden für die Ausübung des Vorkaufsrechts umschifft. Der Kauf zum
Verkehrswert durch den Bezirk sei nur möglich, wenn der Verkaufswert
mindestens 25 Prozent darüber liege, so die Einschätzung eines Berliner
Gerichts in einem anderen Fall. Schwierig wäre es zudem geworden, wenn
einer der bisherigen Teileigentümer gewonnen hätte, das hätte als
Zusammenführung von Eigentum gegolten.
Beide Punkte werden Schmidt in seinem Bemühen nicht ausbremsen. Übt er das
Vorkaufsrecht für 5 Millionen Euro aus, wird dagegen sicher geklagt. „Mal
gucken, ob die Käufer nicht die Lust verlieren“, gibt sich Fabian
kämpferisch. Womöglich kann er in den nächsten Jahren noch einige Male das
Haus vor Gericht sehen. Wenn er Glück hat, als Mieter.
21 Mar 2018
## AUTOREN
Erik Peter
## TAGS
Versteigerung
Florian Schmidt
Kreuzberg
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
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Vorkaufsrecht
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