# taz.de -- Mietenpolitik im sozialen Wohnungsbau: Maximal unzufrieden | |
> Der Senat will die Mieten durch Kopplung an das Einkommen senken. Ein | |
> erster Entwurf dazu stößt jedoch auf heftige Kritik. | |
Bild: Kotti & Co-Aktivisten bei einer Demo im Jahr 2012 | |
BERLIN taz Für den Koalitionsvertrag gab es bemerkenswert viel Lob von | |
stadtpolitischen Initiativen, und auch während der Holm-Affäre zeigte sich | |
eine ungewöhnliche Einigkeit zwischen außerparlamentarischen Akteuren und | |
dem Stadtentwicklungsressort unter Senatorin Katrin Lompscher (Linke). | |
Doch mittlerweile knirscht es gewaltig. Erst der [1][Konflikt um | |
Mieterhöhungen bei den landeseigenen Wohnungsbauunternehmen], jetzt schlägt | |
die Mieterinitiative Kotti & Co Alarm: „Abgrundtief unsozial“ sei der jetzt | |
vorgelegte Entwurf der Senatsverwaltung zur Neuregelung der Mieten im | |
sozialen Wohnungsbau, so die 2012 gegründete Gruppe. | |
Dabei bildet der Entwurf ein Kernstück des angekündigten Paradigmenwechsels | |
in der Mietenpolitik: Die rot-rot-grüne Koalition hat sich darauf | |
verständigt, die Mieten im sozialen Wohnungsbau zu senken. Dafür soll die | |
Miete zukünftig an das Einkommen der Mieter gekoppelt werden. | |
Mit dem nun veröffentlichten Eckpunktepapier für die „umfassende Reform des | |
sozialen Wohnungsbaus“ ist der Aufschlag gemacht: Das bisherige | |
Kostenmietrecht wird abgelöst, ein neues Gesetz über einkommensorientierte | |
Richtsatzmieten soll am 1. Januar 2018 in Kraft treten. Vorläufige | |
Regelungen sollen bis dahin mit einem Vorschaltgesetz bestimmt werden. | |
## Preise für fünf Einkommensstufen | |
Auf dem Tisch liegt der Vorschlag, die höchstzulässige Miete in fünf Stufen | |
zu differenzieren. Menschen, die weniger als 75 Prozent der für den Erhalt | |
des Wohnberechtigungsscheins (WBS) angesetzten Maximalhöhe verdienen, | |
sollen künftig maximal 5,25 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter zahlen (Stufe | |
1), bei einem schlechten energetischen Zustand des Gebäudes bis zu 50 Cent | |
weniger. Für Personen mit einem Einkommen von 90 bis 110 Prozent der | |
Höchstgrenze soll die Miete 5,75 Euro pro Quadratmeter betragen (Stufe 3). | |
„Wenn dieser Entwurf umgesetzt wird, werden die Mieten für viele Mieter im | |
sozialen Wohnungsbau steigen, nicht sinken“, kritisiert Sandy Kaltenborn | |
von Kotti & Co. Der Entwurf sehe eine Umverteilung zwischen „ziemlich armen | |
und ganz armen“ MieterInnen vor. | |
Denn wer ein Einkommen hat, das mehr als 140 Prozent der WBS-Grenze beträgt | |
(Stufe 5), soll künftig sieben Euro pro Quadratmeter zahlen – mehr, als | |
aktuell im sozialen Wohnungsbau verlangt wird. Bei Einpersonenhaushalten | |
trifft das ab einem Bruttoeinkommen von etwa 23.000 Euro im Jahr zu, bei | |
Zweipersonenhaushalten läge die Grenze bei gut 35.000 Euro – das sind auch | |
in Berlin alles andere als Gutverdiener. | |
## Eine Beispielrechnung | |
Nach einer Beispielrechnung von Kotti & Co. würde ein Tischler mit einem | |
Nettoeinkommen von 1.600 Euro in die höchste Stufe fallen. Für eine 65 | |
Quadratmeter große Sozialwohnung mit einem aktuellen Preis von 6,50 Euro | |
pro Quadratmeter würden künftig sieben Euro fällig werden, die Miete würde | |
damit um 32 Euro steigen. | |
Für Menschen unter dieser Einkommensgrenze sollen die Mieten zwar sinken – | |
allerdings nur auf individuellen Antrag. Genau damit wurden aber schlechte | |
Erfahrungen gemacht: Von der seit 2016 bestehenden Möglichkeit für | |
SozialmieterInnen, sich die Miete bezuschussen zu lassen, wenn diese mehr | |
als 30 Prozent des Haushaltseinkommens verschlingt, hat bisher nur ein sehr | |
kleiner Teil der Berechtigten Gebrauch gemacht. Das liege auch an dem | |
komplizierten Antragsverfahren, kritisieren Mieterinitiativen. | |
Kritik übt Kaltenborn auch an anderen Punkten des Entwurfs: So sei die | |
Datengrundlage zur Berechnung der Betriebskosten veraltet und | |
unvollständig, vor allem aber beinhalte das Papier keine Vorschläge für die | |
Wohnungen, die durch eine vollständige Rückzahlung der Darlehen vorzeitig | |
aus der Sozialbindung herausgelöst werden – eine Möglichkeit, von der die | |
Wohnungsunternehmen aufgrund der niedrigen Zinsen momentan im großen Stil | |
Gebrauch machen. | |
Auch der Berliner Mieterverein kritisiert den Entwurf. Dieser unterstützt, | |
so die stellvertretende Geschäftsführerin Wibke Werner, seit Langem das | |
Modell einer einkommensabhängigen Richtsatzmiete. Doch Mieterhöhungen lehnt | |
sie ab: „Da muss man an den Miethöhen schrauben.“ | |
## Ein taktisches Manöver | |
Ist das Versprechen einer mieterfreundlicheren Politik, für das die neue | |
Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher steht, also nur heiße Luft? So | |
weit wollen Kotti & Co nicht gehen – zumindest noch nicht. Deutliche Kritik | |
üben sie aber an der Lompscher unterstellten Verwaltung, der eine große | |
Nähe zur Berliner SPD nachgesagt wird. | |
So sei der vorliegende Entwurf ein Versuch dieser Verwaltung, das im | |
Koalitionsvertrag festgehaltene Vorhaben einer Richtsatzmiete in eine | |
„möglichst unsoziale Richtung zu drücken“, sagt Kaltenborn. Im Vorgehen d… | |
Verwaltung sieht er ein taktisches Manöver: „Wenn ich einen Entwurf | |
vorlege, der so wenig mit einem sozialen Richtungswechsel in der | |
Mietenpolitik zu tun hat, wird auch ein Kompromiss am Ende diesen | |
Richtungswechsel nicht einleiten.“ | |
Auf Anfrage der taz hieß es aus der Senatsverwaltung: „Die derzeit | |
geltenden Regeln des sozialen Wohnungsbaus lassen zu, dass die Mieten so | |
weit steigen, dass sie nicht mehr sozialverträglich sind. Das müssen wir | |
stoppen und damit haben wir das gleiche Ziel wie Kotti & Co.“ Die | |
Kritikpunkte nehme man ernst, sie werden „Bestandteil der inhaltlichen | |
Diskussion für eine Neuregelung des sozialen Wohnungsbaus sein“. | |
Um den angekündigten Wechsel in der Wohnungspolitik tatsächlich umzusetzen, | |
müsse sich die Senatorin gegen diese Verwaltung durchsetzen, fordert Kotti | |
& Co. Sonst werde das Verhältnis zwischen Senat und außerparlamentarischen | |
Stadtinitiativen insgesamt belastet: „Gerade weil wir seit Jahren zu den | |
entsprechenden Expertenkreisen geladen werden, ist die Frustration bei uns | |
natürlich extrem hoch, wenn dann am Ende so ein Entwurf herauskommt“, sagt | |
Kaltenborn. | |
Bei den stadtpolitischen Initiativen zählt Kotti & Co zu dem Flügel, der | |
für seine Gesprächsbereitschaft gegenüber dem Senat bekannt ist – zumindest | |
im linken Teil der neuen Regierung wird ihre Kritik nicht ungehört bleiben. | |
28 Feb 2017 | |
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## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
Erik Peter | |
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