# taz.de -- Protest gegen Verdrängung in Berlin: Kira çok yüksek – die Mie… | |
> Zum fünften Geburtstag ihres Protesthäuschens am Kottbusser Tor: ein | |
> Gespräch mit der Initiative Kotti&Co über die Kraft gemeinsamen | |
> Widerstands. | |
Bild: Politik als Großfamilie: vor dem Gecekondu am Kottbusser Tor | |
Es ist wie immer am Gecekondu, der kleinen Hütte der Mieterinitiative Kotti | |
& Co am Kottbusser Tor: Bevor es losgehen kann mit dem Gespräch, müssen | |
erst mal wichtigere Dinge geklärt werden. Wer wollte die Flyer in der | |
Admiralstraße verteilen? Möchtest du noch einen Tee? Ist die Liste für das | |
Geburtstagsbuffet schon komplett? Und wie geht es eigentlich der Familie? | |
Am Anfang war das Gecekondu eine Konstruktion aus Holzpaletten und einem | |
Sonnenschirm, über die Jahre ist daraus ein ziemlich professionell gebautes | |
Häuschen geworden. Das passt zu den AktivistInnen, die über die Jahre | |
ebenfalls immer professioneller geworden sind. Und deren Augen trotzdem | |
anfangen zu leuchten, als das Gespräch auf die Anfangszeit des Gecekondu | |
kommt, damals im Mai 2012. Hatice, eine ältere Frau mit Zigarette in der | |
rechten Hand, ergreift als erste das Wort. | |
Hatice: Ich war von Anfang an dabei. Meine Kinder leben ja auch hier, auch | |
sie müssen hohe Mieten bezahlen. An sie habe ich damals gedacht, an ihre | |
Zukunft. | |
Neriman, vornehmer Gesichtsausdruck, Fältchen um die Augen, roter | |
Lippenstift, erzählt mit leiser Stimme, die im Quietschen der gerade | |
einfahrenden U1 fast untergeht: | |
Neriman: „Wir hatten damals schon zwei Mieterhöhungen bekommen, dann kam | |
das dritte Schreiben. Wir mussten etwas tun. Ich wohne seit 47 Jahren hier, | |
ich kann nicht wegziehen.“ | |
Neben Neriman sitzt ihr Mann, der krank ist und dem sie beim Teetrinken | |
hilft; daneben Detlef, Schiebermütze, grauer Bart. | |
Detlef: Ich bin erst dazu gekommen, als das Gecekondu aufgebaut wurde, vor | |
fünf Jahren. Über meine Mieterinitiative im Gräfekiez hatte ich Kontakt mit | |
Kotti & Co, dann hieß es: Am 26. Mai, da machen wir was Interessantes. Das | |
klingt nach verboten, dachte ich, das ist was für mich. Ab dann war ich | |
dabei. Das Tolle ist immer noch: Ich komme hier mit Menschen in Kontakt, | |
mit denen ich sonst nie, nie etwas zu tun gehabt hätte. | |
Außerdem hier: Ulrike, Politikwissenschaftlerin, braune Kurzhaarfrisur, und | |
Sandy, der Grafikdesigner ist und eine eckige Brille trägt: | |
Kotti-&-Co-Mitglieder seit der ersten Stunde. | |
Ulrike: Am Anfang sind wir zu Mieterberatungen gegangen mit unseren | |
Problemen. Die haben gesagt, im sozialen Wohnungsbau kann man nichts | |
machen, nur ausziehen. Da wurde uns klar: Ratschläge von außen bringen uns | |
nicht weiter. Das war der Moment, in dem Atiye gesagt hat: Lasst uns den | |
Kotti besetzen. Es war die Zeit von Occupy, vom Tahrirplatz in Kairo. Zelte | |
aufzubauen war die Idee – das fanden wir erst mal komisch. (Alle lachen) | |
Sandy: Dabei war das entscheidend: Ohne das Gecekondu, vor allem auch ohne | |
die ersten intensiven Monate gäbe es die Gruppe heute wohl nicht mehr. Das | |
hallt bis heute nach. | |
Detlef: In der Anfangszeit war das extrem, da war hier jeden Tag High Life, | |
bis nachts um zwei saßen die türkischen Mütter vor dem Gecekondu. Das ist | |
heute natürlich nicht mehr so. Aber wir haben seitdem alle das Gefühl, uns | |
aufeinander verlassen zu können. | |
Mieterinitiativen gab es in Berlin vor Kotti & Co schon viele. Dass die | |
Kreuzberger Gruppe, die da am Kottbusser Tor ihr Protestcamp aufbaute, | |
etwas Besonderes ist, wurde trotzdem schon in der Anfangszeit deutlich: | |
Türkisch sprechende Großmütter, gerade hergezogene Studenten, linke | |
Intellektuelle und jugendliche Halbstarke, die gemeinsam erklären, | |
ausgerechnet den Kotti zu lieben? | |
Detlef: Von Anfang an waren wir sehr interessant für viele Leute, da gab es | |
auch genug die hergekommen sind und uns erklären wollten, wie man Politik | |
macht. | |
Ulrike: Das waren immer so versuche, uns von außen in ein Kästchen zu | |
stopfen. | |
Sandy: Es gab welche, die haben sich darüber geärgert, dass wir zu wenig | |
über Kapitalismus geredet haben. Dann haben wir den Studenten erklärt, dass | |
man unseren Nachbarn, die ein Leben lang malocht haben, Kapitalismus nicht | |
erklären muss. Die wissen sehr genau, was es bedeutet, Arbeiter oder | |
Arbeiterin zu sein. | |
Kira çok yüksek – die Miete ist zu hoch, lautet die einfache Parole der | |
Initiative. Im Zentrum stand von Anfang an die Forderung nach sinkenden | |
Mieten und einer Rekommunalisierung des sozialen Wohnungsbaus, diesem | |
verworrenen Produkt westdeutscher Subventions- und Berliner | |
Ausverkaufspolitik. Das zweite wichtige Thema hier am Kotti: Die | |
Erfahrungen mit Migration und Rassismus. | |
Sandy: Wir haben von Anfang an gesagt: Wir sind hier in Kreuzberg, und | |
deswegen ist die Geschichte der Migration, sind die Erfahrungen der | |
Gastarbeitergeneration zentral für uns. | |
Detlef muss los. Hatice hat aufmerksam zugehört, jetzt erzählt sie, was sie | |
vor ein paar Wochen hier am Kotti erlebt hat: Sie und ihre 79-jährige Tante | |
wurden im U-Bahnhof von einer Frau rassistisch beleidigt und angegriffen. | |
Hatice hat Anzeige erstattet, ihre Anwälte helfen ihr, sagt sie. Ihre | |
Anwälte: Damit sind die Anwälte gemeint, die hier im Gecekondu Mietrechts- | |
und Sozialberatungen anbieten, ehrenamtlich. | |
Sandy: Wir sind eine sehr bunte Gruppe, alle bringen verschiedene | |
Fähigkeiten mit. Eigentlich sind wir von der Struktur her eher eine | |
Großfamilie. Zum Beispiel unsere WhatsApp-Gruppe: Darüber gehen politische | |
Infos, Verabredungen, Glückwünsche zum Muttertag … Das Alltagsweltliche und | |
das Politische, das ist bei uns sehr eng verbunden. | |
Fatma, kurze Haare, quirlig, hat alle Hände voll zu tun, vorbeikommende | |
Bekannte zu begrüßen, die Liste fürs Buffet weiterzugeben und dafür zu | |
sorgen, dass alle genug Tee haben. Als die Frage aufkommt wie es eigentlich | |
ist, als Initiative so bekannt geworden zu sein, lacht sie: Wie eine | |
berühmte Persönlichkeit fühlt sie sich gerade nicht. | |
Fatma: Es ist schon schön, dass wir ein Beispiel geworden sind dafür, dass | |
man gemeinsam etwas erreichen kann. Und natürlich ist es auch | |
schmeichelhaft, wenn man hört, Leute in Südamerika kennen Kotti & Co. Aber | |
das Wichtigste ist, das wir mit unserer Problematik hier vor Ort | |
weiterkommen. | |
Sandy: Das Schönste ist, wenn man sieht, dass man andere Mieterinnen und | |
Mieter ermutigen kann. Das Bild von Kotti & Coist ja, hier kommen ganz | |
unterschiedliche Menschen zusammen, weil sie gemeinsam etwas zum Besseren | |
wenden wollen, und dann handeln sie gemeinsam aus, wie sie das machen. Das | |
ist für mich ein Bild von Demokratie, von Stadtgesellschaft, wie ich sie | |
mir vorstelle. | |
Neben dem Gecekondu wurden die Lärmdemos zum Ausdruck von Kotti & Co: Mit | |
Topfdeckeln durch den Kiez, kurze Routen, so dass möglichst viele mitmachen | |
können. Die Presse wurde aufmerksam, bald gab es die ersten Einladungen von | |
PolitikerInnen, unzählige Gespräche folgten. Mit dem Mietenvolksentscheid | |
brachte die Gruppe schließlich einen eigenen Gesetzesentwurf ins Rennen. | |
Der darauffolgende Kompromiss zwischen den Initiatoren des Volksentscheids | |
und dem Senat brachte substanzielle Verbesserungen für Sozialmieter, etwa | |
die Zahlung von Mietzuschüssen. | |
Fatma: Zuerst ging es darum, laut zu sein, uns bemerkbar zu machen. Als wir | |
das geschafft hatten, fing ein großer Teil der Arbeit erst an: Texte lesen, | |
Paragrafen verstehen, unsere Forderungen als Gesetze aufschreiben. Es ist | |
eben so: Die Politik kann nicht von heute auf morgen etwas umsetzen. Wir | |
können das, aber bei ihnen ist es schwieriger: Man sitzt zusammen, | |
diskutiert, protokolliert, dann ist beim nächsten Treffen nur ein Vertreter | |
da, man muss alles noch mal erklären, es dauert und dauert bis zu einer | |
Entscheidung und bis die dann umgesetzt wird noch mal ewig. | |
Neriman: Am Anfang haben alle gedacht, da schreit so eine Gruppe rum, aber | |
nach ein paar Wochen werden die wieder gehen. Aber dann haben sie gesehen, | |
dass wir nicht nur rumschreien, sondern dass wir ganz klar sagen können, | |
wie man es besser machen kann. Da haben sie Respekt vor uns bekommen, sogar | |
ein bisschen Angst. Das macht mich glücklich. Die Politiker nehmen uns | |
jetzt sehr ernst. | |
Ulrike: Die nehmen uns ernst und versuchen trotzdem noch, uns zu | |
verarschen. Wenn wir am Anfang gewusst hätten, wie lange es braucht, ein | |
Gesetz zu verändern, hätten wir vielleicht nie angefangen. Oder eben doch, | |
wir hatten ja eh keine Wahl (lacht). Jetzt ist es soweit: Es wird wirklich | |
ein Gesetz geschrieben (siehe Infokasten: Was plant Rot-Rot-Grün?), mit dem | |
die Mieten hier sinken könnten. Aber dann steckt der Teufel im Detail, in | |
jedem kleinen Paragrafen. Wir merken plötzlich: Was die Senatsverwaltung | |
für Stadtentwicklung für eine soziale Miete hält, ist absurd. Wenn wir uns | |
nicht diese ganze Expertise angeeignet hätten, hätten wir nie eine Chance | |
gehabt. | |
Mit der neuen Landesregierung sind nun auch PolitikerInnen auf die | |
Regierungsbank gewechselt, die jahrelang zu den größten FürsprecherInnen | |
der Initiative zählen, nicht zuletzt die Stadtentwicklungssenatorin Katrin | |
Lompscher (Linke). Trotzdem: Zwischen der Landespolitik und der Gruppe gibt | |
es weiterhin Konflikte. | |
Ulrike: Unser Eindruck ist: Das ist eine Verwaltung, die alle Tricks kennt, | |
um ihre Chefin scheitern zu lassen, die seit Jahren SPD-zugehörig ist, wo | |
die Mieterperspektive keine Rolle spielt. Dafür zu sorgen, dass unsere | |
Forderungen nach sozialverträglichen Mieten da wirklich umgesetzt werden, | |
das ist nach wie vor sehr schwer. | |
Sandy: Wir wünschen uns da schon auch ein etwas selbstbewussteres Vorgehen | |
gegenüber der Verwaltung, eine klarere Rhetorik von Frau Lompscher. | |
In den letzten Monaten haben sich an vielen Orten in der Stadt neue | |
Mieterinitiativen gegründet, gleichzeitig wird der Ton rauer: Das private | |
Unternehmen Deutsche Wohnen, gegen die sich ein großer Teil des Widerstands | |
richtet und der auch die Sozialwohnungen am Kottbusser Tor gehören, zeigt | |
bisher keinerlei Dialogbereitschaft. | |
Fatma: Für uns ist das toll, das gerade so viele neue Mieterinitiativen | |
entstehen, besonders auch gegen die Deutsche Wohnen. | |
Sandy: Ich denke, es macht sich niemand etwas vor: Wir stehen hier nach wie | |
vor mit dem Rücken zur Wand. In fünf bis zehn Jahren ist es hier mit dem | |
Sozialen Wohnungsbau vorbei, weil die Fristen auslaufen, dann fängt das | |
Schlamassel erst richtig an. Die Frage ist: Wie groß sind die Breschen, die | |
wir mit den Initiativen und der Politik schlagen können, damit noch Luft | |
zum Atmen bleibt? Zumindest haben sich die Bedingungen mit der letzten Wahl | |
etwas verbessert. Vielleicht kommen wir ja doch noch dazu, dass Mieterinnen | |
und Mieter tatsächlich gemeinsam mit der Politik gegen Verdrängung kämpfen | |
können. | |
Ulrike: Immerhin gibt es jetzt die Chance, dass die Mieten hier wirklich | |
sinken. Wenn das passiert, könnten wir das Gecekondu eigentlich abbauen. | |
Jetzt reden alle durcheinander: Auf keinen Fall, das geht nicht, wir bauen | |
doch das Gecekondu nicht ab, niemals! Das ist unser kleines Schloss, sagt | |
Neriman und lächelt in die Abendsonne. | |
28 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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