# taz.de -- Runder Tisch Stadt- und Mieteninis Berlin: „Der Koalitionsvertrag… | |
> Rot-Rot-Grün will eine Wende in der Wohnungspolitik. Die Initiativen | |
> wollen mitentscheiden. Ein Gespräch über eine Neuerzählung der Stadt. | |
Bild: Nicht nur Partner sein, sondern mitentscheiden | |
taz: Rot-Rot-Grün ist angetreten, eine Wende in der Wohnungspolitik | |
herbeizuführen. Außerdem hat die SPD das Bauressort an die Linkspartei | |
abgegeben. Was heißt das für Sie als stadt- und wohnungspolitische | |
Initiativen? | |
Christian Schöningh: Man muss Michael Müller zugutehalten, dass er als | |
Stadtentwicklungssenator, im Gegensatz zu seiner Vorgängerin, Wohnungs- und | |
Mietenpolitik ernst genommen hat. Dann hat er sich angesichts der Aufgaben, | |
die vor ihm standen, gefragt: Wer sind meine Partner? Das waren aber immer | |
nur die Investoren. Initiativen, die die Dinge mal auch anders machen | |
wollten, gehörten nie dazu. Da hoffen wir, dass das mit der neuen Senatorin | |
anders beantwortet wird. | |
Sandy Kaltenborn: Dass Herr Müller die Wohnungspolitik plötzlich ernst | |
nahm, war nicht seine eigene Erkenntnis. Er hat auf den starken | |
außerparlamentarischen Druck reagiert. | |
Wie haben Sie reagiert, als Sie erfahren haben, dass Bausenatorin Katrin | |
Lompscher (Linke) den Gentrifizierungskritiker Andrej Holm als | |
Staatssekretär für Wohnen [1][nominiert hat]? | |
Daniela Brahm: Ich war überrascht. Ich habe mich aber sehr gefreut. Für | |
mich war die Entscheidung mit der Hoffnung verbunden, dass es ernst gemeint | |
ist mit einem Wechsel in der Wohnungspolitik. | |
Sandy Kaltenborn: Ich war nicht verwundert, weil wir das vorher gewusst | |
hatten. Dass man versucht, gestaltend in die Stadtentwicklungspolitik | |
einzugreifen, haben wir begrüßt. Deshalb haben wir Andrej auch geraten, den | |
Job anzunehmen. | |
Holm selbst hat gesagt, dass er am Anfang eher skeptisch war. Gab es da | |
einen Rückkopplungsprozess mit den Initiativen? | |
Enrico Schönberg: Ich wusste es nicht. Ich war wie Daniela sehr überrascht. | |
Aber es war auch interessant, da war plötzlich eine ganz andere Denkfigur | |
aufgemacht: Ein E[2][xponierter aus den sozialen Bewegungen] geht in den | |
Senat. Ob er da Erfolg gehabt hätte? Da gab es zu wenig Zeit, um das zu | |
beurteilen. | |
Sandy Kaltenborn: Wir dürfen nicht vergessen, dass das, was | |
[3][mietenpolitisch im Koalitionsvertrag steht], in den | |
Koalitionsverhandlungen bis zuletzt auf der Kippe gestanden hatte. In der | |
Facharbeitsgruppe, die das verhandelt hat, war von der SPD alles blockiert | |
worden, was wir als fortschrittlich empfunden haben. Erst in der | |
Schlussrunde – und nach einem kleinen Putsch in der SPD – ist das | |
durchgekommen. Das war die Grundlage, auf der Andrej beschlossen hat, in | |
die Verantwortung zu gehen. Es war also auch eine inhaltliche Entscheidung. | |
Christian Schöningh: Ich habe mich gefreut. Über den Koalitionsvertrag und | |
darüber, dass das auch personell unterfüttert wurde. Aus | |
Initiativenperspektive reicht das geschriebene Wort nicht aus. | |
Gab es einen Moment, in dem Sie gedacht haben, dass Andrej Holm auch | |
scheitern könnte? Er hatte ja keinerlei Verwaltungserfahrung. | |
Sandy Kaltenborn: Hat denn jemand mal danach gefragt, ob Ramona Pop | |
Verwaltungserfahrung hat? Andrejs Stärke ist, dass er zu allen wichtigen | |
mietenpolitischen Lagen unabhängige Analysen erarbeitet hat. Er konnte hier | |
auf Augenhöhe mit den Verwaltungsmitarbeitern arbeiten. | |
Daniela Brahm: Er hätte es ja nicht allein gemacht. Er hätte Katrin | |
Lompscher gehabt, die als Senatorin eine bestimmte Form von Wohnungspolitik | |
umsetzen will. Das muss man sich klar machen, und das gilt auch für einen | |
Nachfolger von Andrej Holm. | |
Enrico Schönberg: Ich sehe das etwas anders. Der Koalitionsvertrag ist | |
[4][trotz allem nicht ausreichend], um die soziale Frage zu beantworten. | |
Ja, es sind Vereinbarungen drin, wo man in einzelnen Punkten Hoffnung | |
schöpfen kann. Aber zu sagen, der Koalitionsvertrag sei schon der neue | |
Aufbruch, wäre falsch. Es ist eine Veränderung. Und eine Verbesserung im | |
Vergleich zu dem, was vorher gelaufen ist. Angesichts des Kapitals, das in | |
die Stadt drückt, sind die Mittel und Aktivitäten, die auf Senats- und | |
Bezirksebene bisher vorhanden sind, nicht ausreichend. | |
Wie würde ein radikaler Kurswechsel in der Mietenpolitik, wie Sie ihn | |
fordern, aussehen? | |
Enrico Schönberg: Das ist zum einen der Wille, dass die Kommune zum | |
marktbeeinflussenden Faktor wird. Wenn man immer Wien zum Vorbild nimmt, | |
geht es darum, ob man als Kommune in der Lage ist, den Markt so weit | |
einzuschränken, dass man eine soziale Wohnraumversorgung hinbekommt. Das | |
ist im Koalitionsvertrag so noch nicht gesagt worden. Es geht um die | |
Aufstockung der Wohnungsbestände der sechs landeseigenen | |
Wohnungsbaugesellschaften. Es geht um Neubau, der immer noch zu teuer ist. | |
Eine klare Ansage aber macht der Koalitionsvertrag nicht. | |
Sandy Kaltenborn: Die Erhöhung der Grunderwerbsteuer wäre so ein Punkt | |
gewesen. | |
… um die Spekulation einzudämmen. | |
Sandy Kaltenborn: Genau. Und die Neuausrichtung der [5][kommunalen | |
Gesellschaften] wird eine Herausforderung sein. Diese bedarf einer | |
Anstrengung, die weit über die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung | |
hinausgeht. Da sehe ich noch nicht, dass die SPD, aber auch die ganze | |
Koalition dahintersteht. Wir brauchen die stadtpolitische Polarisierung | |
zugunsten der Mieter, für die Andrej stand. | |
Gerade polarisieren eher die Wohnungsbaugesellschaften. Obwohl im | |
Koalitionsvertrag steht, dass die Miete nicht mehr als zwei Prozent pro | |
Jahr steigen darf, haben sie [6][noch einmal kräftig zugelangt] und 21.751 | |
Mieterhöhungen, teilweise bis zu 14 Prozent, verschickt. Eine Provokation? | |
Sandy Kaltenborn: Es ist nicht klar, ob diese Mieterhöhungen als politische | |
Provokation gegen die Senatorin und die Koalitionsvereinbarung gedacht | |
waren oder nicht. Faktisch sind sie es aber, selbst wenn es ein rein | |
technischer Vorgang gewesen sein sollte. Klar ist, dass die kommunalen | |
Wohnungsunternehmen sich nun öffentlich erklären müssen. Sie müssen einen | |
Weg finden, die Erhöhungen umgehend zurückzunehmen. Auch eine | |
Entschuldigung wäre angemessen. | |
Daniela Brahm: Daran sieht man, welche Haltung die Leitung der | |
Wohnungsbaugesellschaften verinnerlicht hat. Die Renditeerwartungen sind an | |
dem nach oben laufenden Markt orientiert, dabei sollten gerade die | |
Wohnungsbaugesellschaften mietpreisdämpfend wirken. Die Leitungsebene ist | |
zu einer Zeit gekommen, in der es einen klaren neoliberalen Auftrag gab. | |
Das wird zäh, hier umzusteuern. | |
Der Senat selbst setzt gerade andere Signale. Im sozialen Wohnungsbau | |
wurden die turnusgemäßen Mieterhöhungen ausgesetzt. | |
Sandy Kaltenborn: Im sozialen Wohnungsbau bauen die Dinge, die jetzt | |
beschlossen sind, auf unseren Kämpfen der vergangenen fünf Jahre auf. Sie | |
verschaffen vielen Mietern etwas Luft. Das strukturelle Problem der | |
Förderverträge aus den siebziger und achtziger Jahren ist aber nicht | |
gelöst. Eine richtige Antwort wäre hier eine Politik der | |
Rekommunalisierung. Aber natürlich ist es nicht einfach, 50.000 oder | |
100.000 Wohnungen zurückzukaufen. | |
Im Koalitionsvertrag gibt es für den sozialen Wohnungsbau stattdessen den | |
Vorschlag einer sozialen Richtsatzmiete. Was muss man sich darunter | |
vorstellen? | |
Sandy Kaltenborn: Das ist eine politische Festsetzung einer Mietobergrenze. | |
Da gibt es verschiedene Modelle, wie etwa die Kopplung an Einkommen und den | |
Mietspiegel. Das wird derzeit in einer Expertenkommission diskutiert und | |
soll in den nächsten Monaten entschieden werden. Es ist Zeit, dass sich | |
auch die Eigentümer an den Kosten beteiligen und nicht nur das Land Berlin | |
und die Mieterinnen und Mieter. | |
Mit Andrej Holm hätten Sie als Initiativen einen direkten Ansprechpartner | |
gehabt. Wie weit wäre denn dieses Verhältnis gegangen? Holm selbst hat am | |
Tag seines Rücktritts gesagt, dass er ein imperatives Mandat gehabt hätte. | |
Er hätte keine Entscheidungen getroffen, ohne das mit den Initiativen | |
rückzukoppeln. Welche Verabredungen gab es da? | |
Daniela Brahm: Also mit mir gab es keine. | |
Christian Schöningh: Mit mir persönlich auch nicht, und auch nicht für die | |
beiden Initiativen, für die ich hier sitze. | |
Sandy Kaltenborn: Wenn man jahrelang zusammenarbeitet, muss man Andrej | |
nicht erklären, was das Problem beim sozialen Wohnungsbau ist. Wenn er das | |
so sagt, hat er damit eine produktive Abhängigkeit und eine, ich sage jetzt | |
nicht Komplizenschaft, aber eine Parteilichkeit signalisieren wollen. | |
Enrico Schönberg: [7][Komplizenschaft] ist gar nicht so falsch. | |
Sandy Kaltenborn: Und dann fragt man sich auf der anderen Seite: Wie soll | |
das denn gehen? Er wäre als Staatssekretär in einer Position gewesen, wo er | |
auch mit Investoren und den Wohnungsbaugesellschaften verhandeln sollte. | |
Muss er da nicht eher ausgleichen? Und da sind wir wieder bei dem, was wir | |
heute brauchen, weil der Karren ziemlich tief im Dreck steckt. Welches | |
Berlin wollen wir in 2030? Es wird viel über die soziale Mischung geredet, | |
aber die geht gerade flöten. Die Kieze verändern sich massiv. Die Armen und | |
die Mittelschicht ziehen weg. Ich will das Alte gar nicht romantisieren und | |
auch nicht bestreiten, dass es Veränderungen braucht. Aber es geht darum, | |
wie man diese Veränderungen auch mit staatlichen Eingriffen sozial | |
gestaltet. | |
Sie haben die Erwartungen formuliert, die Sie an Andrej Holm hatten. Aber | |
es gibt natürlich auch Erwartungen an den Senat. Zum Beispiel möglichst | |
viel Wohnraum zu schaffen. | |
Enrico Schönberg: Vielleicht ist das auch die Stelle, wo wir mal sagen | |
müssen, dass wir als stadt- und mietenpolitische Initiativen nicht | |
generell gegen Neubau sind. Entscheidend ist aber, was am Ende dabei | |
rauskommt. Wie hoch sind die Mieten? Wer fährt den Profit ein? Darum geht | |
es. | |
Daniela Brahm: Eine bestimmte Anzahl an Wohnungen zu produzieren ist das | |
eine. Aber wir müssen auch über Baukosten reden. Es wird derzeit sehr teuer | |
gebaut. Trotzdem soll es sozialer Wohnungsbau werden. Aber es gibt das | |
übliche Interesse von einer riesigen Lobby, die teuer bauen will, damit die | |
Gewinne stimmen. | |
Enrico Schönberg: Es rächt sich jetzt, dass die Verwaltung und auch die | |
kommunalen Gesellschaften jahrelang den Innovationen, die von außerhalb | |
entwickelt wurden, eher ablehnend gegenüberstanden. | |
Sandy Kaltenborn: Neubau über alles war die große Parole seit 2011. Es war | |
der große Erfolg der Mieterinitiativen, dass in der Politik angekommen ist, | |
dass auch im Bestand etwas gemacht werden muss. Aber klar: Es ist eine | |
Mammutaufgabe, und wir stehen jetzt vor der Aufgabe, welche neuen Formate | |
es auch in der Kommunikation zwischen Politik und Zivilgesellschaft gibt. | |
Denn auch das bedeutet ja „gutes Regieren“, wie es sich der Senat | |
vorgenommen hat. | |
Was ist für Sie sonst noch gutes Regieren? | |
Christian Schöningh: Nicht nur Kommunikation. Wir wollen auch | |
mitentscheiden. Und wir möchten beim Thema Neubau auch als Partner gesehen | |
werden. Das sagt jetzt wieder so ein Projektemacher, ich weiß. | |
Enrico Schönberg (lacht): Ich hör dir trotzdem zu. | |
Daniela Brahm: Aber diesen Schulterschluss sehen wir noch nicht. Die | |
meisten Wohnungsbaugesellschaften sind abgeschottete Schiffe. Eine Reaktion | |
auf neue Lebensentwürfe ist nicht zu sehen, die Grundrisse entsprechen | |
nicht der sozialen Vielfalt in Berlin. Derzeit werden bevorzugt | |
Single-Wohnungen oder gleich Studentenwohnungen gebaut. Was in der | |
alternativen Projektentwicklerszene erprobt wird, muss in größere Maßstäbe | |
überführt werden. | |
Durch den Druck des [8][Mietenvolksentscheids] wurde das | |
Wohnraumversorgungsgesetz verabschiedet. Das sieht auch die Kontrolle der | |
Gesellschaften durch eine Anstalt öffentlichen Rechts vor. Was sind Ihre | |
Erwartungen? | |
Sandy Kaltenborn: Wichtig ist, dass die Berlinerinnen und Berliner merken, | |
dass das eigentlich ihre Gesellschaften sind. Dass sie nicht der SPD | |
gehören. Wir haben das Fenster mit dem Mietenvolksentscheid erst einmal | |
geöffnet. Damit wollten wir mehr Demokratisierung und Transparenz in den | |
Laden reinkriegen. Bis dahin kamen die Geschäftsführer alle halbe Jahre in | |
den Bauausschuss und haben ein paar Papiere vorgelegt. Den Rest haben sie | |
mit den SPD-Bausenatoren abgekaspert. Es gab also so gut wie keine | |
parlamentarische Kontrolle. Das ist ein großer Fortschritt, dass das jetzt | |
möglich ist. Der Koalition fehlt noch immer eine Erzählung, wo das Land | |
hinmöchte. Arm, aber sexy ist lange überholt. Was im Koalitionsvertrag | |
steht, ist ein Anfang. Aber nach wie vor ist es wichtig, dass sich die | |
Öffentlichkeit einmischt. Das gilt auch für alternative Projekte. Da | |
wünschen wir uns deutlich mehr Kooperation mit den | |
Wohnungsbaugesellschaften, zum Beispiel auf dem Dragoner-Areal oder am | |
Kotti. | |
Enrico Schönberg: Oft ist es so, dass die Wohnungsbaugesellschaften zu den | |
Initiativen wie dem [9][Mietshäusersyndikat] sagen: Das können wir doch | |
selbst, wozu brauchen wir euch da? Andererseits gab es auch schon den | |
Willen, mit uns als gemeinwohlorientierten Partnern zusammenzuarbeiten. | |
Positiv ist, dass die Gesellschaften ihren Gewinn nicht mehr ans Land | |
abführen müssen, sondern für den Neubau einsetzen können. | |
Wie könnte denn eine Erzählung aussehen, die die Gesellschaften auf | |
Gemeinwohlorientierung verpflichtet. Gibt es da auch eine griffige Formel? | |
Christian Schöningh: Mitbestimmung. | |
Enrico Schönberg: Sagen haben, nicht Mitbestimmung. Man muss was zu sagen | |
haben. | |
„Was“ zu sagen haben? Oder „das Sagen“ haben? | |
Enrico Schönberg: In einer Mieterstadt wie Berlin, in der 85 Prozent der | |
Bevölkerung zur Miete wohnen, könnte man schon fragen, ob es nicht darum | |
gehen soll, das Sagen zu haben. Im Moment ist ganz klar, dass wir Mieter | |
nichts zu sagen haben. | |
Sandy Kaltenborn: Ich glaube, es ist nicht unser Job, diese Erzählung in | |
eine knackige Parole zu packen. Wenn man sich die Präambel zum | |
Koalitionsvertrag anschaut oder wenn man sich manchmal Herrn Müller anhört, | |
geht es immer viel um den sozialen Zusammenhalt. Natürlich muss eine solche | |
Erzählung was mit dem sozialen Zusammenhalt in der Stadt zu tun haben. Eine | |
Erzählung ist aber keine Floskel oder Pressemitteilung, sondern eine | |
Praxis. | |
Daniela Brahm: Immerhin kommt im Koalitionsvertrag ein neuer Akteur zu | |
Sprache: die gemeinwohlorientierten Investoren. Das ist total interessant. | |
Aber wer ist das? Ist das die Caritas? Oder sind es auch Gruppen, die wir | |
vertreten? Versorgung mit Raum in dieser Stadt gemeinwohlorientiert zu | |
denken ist extrem wichtig. Das kann nicht nur ein staatlicher Auftrag sein. | |
Warum sollen nicht auch private, gemeinwohlorientierte Akteure dabei sein? | |
Die Wohnungsbaugesellschaften können unser Problem nicht allein lösen. | |
Mit der Nominierung von Andrej Holm hat Katrin Lompscher ein starkes Signal | |
an die Initiativen gegeben. Wie viel Beinfreiheit gestehen Sie der | |
Bausenatorin in Zukunft zu? | |
Enrico Schönberg: Erst mal sind ihr die Beine weggekloppt worden, um es mal | |
klar zu sagen. | |
Ab welchem Punkt würden Sie denn sagen: Unser Protest richtet sich nicht | |
nur gegen die, die einen radikalen Wechsel in der Wohnungspolitik nicht | |
wollen, sondern auch gegen Rot-Rot-Grün? | |
Sandy Kaltenborn: Das Verhältnis von uns zu Katrin Lompscher und der | |
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung muss sich in den nächsten Wochen und | |
Monaten erst einmal entwickeln. Andererseits ist Lompscher für uns keine | |
Unbekannte. Wir kennen sie als Person, wir kennen ihre inhaltlichen | |
Positionen. Die teilen wir in vielen Punkten, in manchen auch nicht. Wir | |
haben seit vielen Jahren mit ihr gut zusammengearbeitet. Deswegen ist da | |
auch ein Vertrauensvorschuss da. | |
Daniela Brahm: Entscheidend wird sein, wie die Zusammenarbeit der | |
Senatsverwaltung mit den Initiativen läuft. Ich sehe auch die Gefahr, dass | |
manche Initiativen einen engeren Draht zu ihr haben, andere weniger. Es | |
muss eine Struktur gefunden werden, die einen möglichst breiten Austausch | |
möglich macht. Da steht zum Beispiel im Koalitionsvertrag, dass die | |
Qualifizierung des runden Tischs zur Neuausrichtung der Berliner | |
Liegenschaftspolitik angestrebt wird. Wir müssen klären, was wir erwarten, | |
welchen Einfluss die Initiativen tatsächlich haben werden, und dass die | |
Mitwirkung transparent ist. | |
Ist denn, gerade wenn es um Liegenschaftspolitik geht, auch Finanzsenator | |
Matthias Kollatz-Ahnen ein Partner für Sie? | |
Sandy Kaltenborn: Er versteht was von Wohnungswirtschaft. Er ist nicht der | |
klassische neoliberale SPDler. Dass der Senat die Schuldentilgung | |
zurückgefahren hat und mehr investieren will, ist eine richtige | |
Entscheidung. Auf jeden Fall ist er von allen bisher der beste. | |
Enrico Schönberg: Das Problem ist die Schwarze Null. Was passiert, wenn die | |
Schuldenbremse greift? | |
Christian Schöningh: Und wie wollen wir verhindern, dass die Schuldenbremse | |
zur Investitionsbremse wird? | |
Daniela Brahm: Lange Zeit bestand Liegenschaftspolitik darin, mit dem | |
Verkauf von Grundstücken Kasse zu machen. Damit ist die Dominanz der | |
Finanzverwaltung erst entstanden. Die Stadtentwicklungspolitiker konnten | |
gar nichts mehr machen, weil alles von Finanzen dominiert wurde. Hat sich | |
das geändert? Wir müssen hinsehen und reagieren, auch darauf, wie die neue | |
Kooperation zwischen Stadtentwicklung und Finanzen läuft. | |
Sandy Kaltenborn: Die [10][Ernennung von Jan Kuhnert als Vorstandsmitglied | |
für die Anstalt öffentlichen Rechts]… | |
… Kuhnert war Mitinitiator des Mietenvolksentscheids… | |
Sandy Kaltenborn: … ja, und das war ein sehr positives Signal von | |
Kollatz-Ahnen, eines Experten zu holen, der aus den Mieterinitiativen | |
kommt. Das ist eine richtige, mutige und lobenswerte Entscheidung. | |
Christian Schöningh: Sie haben mich ja unter anderem als Vertreter der | |
Initiative [11][„Haus der Statistik“] eingeladen. In den zwei Jahren, die | |
wir daran arbeiten, hat uns der Finanzsenator aufgefordert, ein Angebot | |
einzureichen. Das haben wir gemacht. Aber das war kein Angebot, das | |
Grundstück zu kaufen, sondern mit dem Finanzsenator zusammen ein gutes | |
Projekt zu machen. Kollatz-Ahnen traue ich zu, ein solches Angebot | |
anzunehmen. Üblich ist eher eine Einstellung wie: Nee, wir lassen uns doch | |
jetzt von denen nicht zeigen, wie es anders geht. | |
Daniela Brahm: Das ist das, was ich unter Kooperation verstehe. | |
Enrico Schönberg: Wir haben auch gute Erfahrungen gemacht. Die | |
Nichtprivatisierung des Dragoner-Areals ist auch ihm zu verdanken. Da gab | |
es den Druck der Initiativen, und er hat am Ende was umgesetzt. | |
Sie haben vorhin gesagt, es gebe noch kein richtiges Wir bei den | |
Initiativen, die ja auch sehr unterschiedliche Interessen verfolgen. Ist | |
das auch eine Herausforderung? Da Strukturen zu schaffen, um noch stärker | |
mit einer Stimme zu sprechen? | |
Daniela Brahm: Die Initiativen sind in den letzten Jahren näher | |
aneinandergerückt. | |
Sandy Kaltenborn: Dazu gehört auch, immer wieder klar zu machen: Die | |
wichtigsten Impulse für die Stadtentwicklung der vergangenen Jahre … | |
Enrico Schönberg: … kamen von uns. | |
Sandy Kaltenborn: … kamen aus der Zivilgesellschaft. Das ist angesichts der | |
Unterschiedlichkeit ein großer Erfolg. Dass Initiativen wie Ex-Rotaprint | |
nun mit Kotti & Co. zusammenarbeiten, ist organisch gewachsen. Welche | |
weiteren Schritte sich daraus ergeben, werden wir sehen. Ich sehe da eine | |
Menge Potenzial. | |
Haben Sie ein Beispiel? | |
Sandy Kaltenborn: Alles, was über die Privaten unter dem Stichwort „Gutes | |
Kapital“ diskutiert wird, war uns zunächst fremd. Aber da hat sich über die | |
Zusammenarbeit unsere Meinung sehr ausdifferenziert. Das ist unglaublich | |
spannend. Es gibt das Vertrauen, dass wir alle Berlin mitgestalten wollen. | |
Und das macht auch die Motivation aus. Man trifft tolle, spannende | |
Menschen, die unglaublich viel Engagement und Freizeit reinstecken und über | |
ihre Grenzen hinauswachsen. Man darf ja nicht vergessen, dass die meisten | |
von uns ehrenamtlich arbeiten. | |
3 Feb 2017 | |
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