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# taz.de -- Runder Tisch Stadt- und Mieteninis Berlin: „Der Koalitionsvertrag…
> Rot-Rot-Grün will eine Wende in der Wohnungspolitik. Die Initiativen
> wollen mitentscheiden. Ein Gespräch über eine Neuerzählung der Stadt.
Bild: Nicht nur Partner sein, sondern mitentscheiden
taz: Rot-Rot-Grün ist angetreten, eine Wende in der Wohnungspolitik
herbeizuführen. Außerdem hat die SPD das Bauressort an die Linkspartei
abgegeben. Was heißt das für Sie als stadt- und wohnungspolitische
Initiativen?
Christian Schöningh: Man muss Michael Müller zugutehalten, dass er als
Stadtentwicklungssenator, im Gegensatz zu seiner Vorgängerin, Wohnungs- und
Mietenpolitik ernst genommen hat. Dann hat er sich angesichts der Aufgaben,
die vor ihm standen, gefragt: Wer sind meine Partner? Das waren aber immer
nur die Investoren. Initiativen, die die Dinge mal auch anders machen
wollten, gehörten nie dazu. Da hoffen wir, dass das mit der neuen Senatorin
anders beantwortet wird.
Sandy Kaltenborn: Dass Herr Müller die Wohnungspolitik plötzlich ernst
nahm, war nicht seine eigene Erkenntnis. Er hat auf den starken
außerparlamentarischen Druck reagiert.
Wie haben Sie reagiert, als Sie erfahren haben, dass Bausenatorin Katrin
Lompscher (Linke) den Gentrifizierungskritiker Andrej Holm als
Staatssekretär für Wohnen [1][nominiert hat]?
Daniela Brahm: Ich war überrascht. Ich habe mich aber sehr gefreut. Für
mich war die Entscheidung mit der Hoffnung verbunden, dass es ernst gemeint
ist mit einem Wechsel in der Wohnungspolitik.
Sandy Kaltenborn: Ich war nicht verwundert, weil wir das vorher gewusst
hatten. Dass man versucht, gestaltend in die Stadtentwicklungspolitik
einzugreifen, haben wir begrüßt. Deshalb haben wir Andrej auch geraten, den
Job anzunehmen.
Holm selbst hat gesagt, dass er am Anfang eher skeptisch war. Gab es da
einen Rückkopplungsprozess mit den Initiativen?
Enrico Schönberg: Ich wusste es nicht. Ich war wie Daniela sehr überrascht.
Aber es war auch interessant, da war plötzlich eine ganz andere Denkfigur
aufgemacht: Ein E[2][xponierter aus den sozialen Bewegungen] geht in den
Senat. Ob er da Erfolg gehabt hätte? Da gab es zu wenig Zeit, um das zu
beurteilen.
Sandy Kaltenborn: Wir dürfen nicht vergessen, dass das, was
[3][mietenpolitisch im Koalitionsvertrag steht], in den
Koalitionsverhandlungen bis zuletzt auf der Kippe gestanden hatte. In der
Facharbeitsgruppe, die das verhandelt hat, war von der SPD alles blockiert
worden, was wir als fortschrittlich empfunden haben. Erst in der
Schlussrunde – und nach einem kleinen Putsch in der SPD – ist das
durchgekommen. Das war die Grundlage, auf der Andrej beschlossen hat, in
die Verantwortung zu gehen. Es war also auch eine inhaltliche Entscheidung.
Christian Schöningh: Ich habe mich gefreut. Über den Koalitionsvertrag und
darüber, dass das auch personell unterfüttert wurde. Aus
Initiativenperspektive reicht das geschriebene Wort nicht aus.
Gab es einen Moment, in dem Sie gedacht haben, dass Andrej Holm auch
scheitern könnte? Er hatte ja keinerlei Verwaltungserfahrung.
Sandy Kaltenborn: Hat denn jemand mal danach gefragt, ob Ramona Pop
Verwaltungserfahrung hat? Andrejs Stärke ist, dass er zu allen wichtigen
mietenpolitischen Lagen unabhängige Analysen erarbeitet hat. Er konnte hier
auf Augenhöhe mit den Verwaltungsmitarbeitern arbeiten.
Daniela Brahm: Er hätte es ja nicht allein gemacht. Er hätte Katrin
Lompscher gehabt, die als Senatorin eine bestimmte Form von Wohnungspolitik
umsetzen will. Das muss man sich klar machen, und das gilt auch für einen
Nachfolger von Andrej Holm.
Enrico Schönberg: Ich sehe das etwas anders. Der Koalitionsvertrag ist
[4][trotz allem nicht ausreichend], um die soziale Frage zu beantworten.
Ja, es sind Vereinbarungen drin, wo man in einzelnen Punkten Hoffnung
schöpfen kann. Aber zu sagen, der Koalitionsvertrag sei schon der neue
Aufbruch, wäre falsch. Es ist eine Veränderung. Und eine Verbesserung im
Vergleich zu dem, was vorher gelaufen ist. Angesichts des Kapitals, das in
die Stadt drückt, sind die Mittel und Aktivitäten, die auf Senats- und
Bezirksebene bisher vorhanden sind, nicht ausreichend.
Wie würde ein radikaler Kurswechsel in der Mietenpolitik, wie Sie ihn
fordern, aussehen?
Enrico Schönberg: Das ist zum einen der Wille, dass die Kommune zum
marktbeeinflussenden Faktor wird. Wenn man immer Wien zum Vorbild nimmt,
geht es darum, ob man als Kommune in der Lage ist, den Markt so weit
einzuschränken, dass man eine soziale Wohnraumversorgung hinbekommt. Das
ist im Koalitionsvertrag so noch nicht gesagt worden. Es geht um die
Aufstockung der Wohnungsbestände der sechs landeseigenen
Wohnungsbaugesellschaften. Es geht um Neubau, der immer noch zu teuer ist.
Eine klare Ansage aber macht der Koalitionsvertrag nicht.
Sandy Kaltenborn: Die Erhöhung der Grunderwerbsteuer wäre so ein Punkt
gewesen.
… um die Spekulation einzudämmen.
Sandy Kaltenborn: Genau. Und die Neuausrichtung der [5][kommunalen
Gesellschaften] wird eine Herausforderung sein. Diese bedarf einer
Anstrengung, die weit über die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
hinausgeht. Da sehe ich noch nicht, dass die SPD, aber auch die ganze
Koalition dahintersteht. Wir brauchen die stadtpolitische Polarisierung
zugunsten der Mieter, für die Andrej stand.
Gerade polarisieren eher die Wohnungsbaugesellschaften. Obwohl im
Koalitionsvertrag steht, dass die Miete nicht mehr als zwei Prozent pro
Jahr steigen darf, haben sie [6][noch einmal kräftig zugelangt] und 21.751
Mieterhöhungen, teilweise bis zu 14 Prozent, verschickt. Eine Provokation?
Sandy Kaltenborn: Es ist nicht klar, ob diese Mieterhöhungen als politische
Provokation gegen die Senatorin und die Koalitionsvereinbarung gedacht
waren oder nicht. Faktisch sind sie es aber, selbst wenn es ein rein
technischer Vorgang gewesen sein sollte. Klar ist, dass die kommunalen
Wohnungsunternehmen sich nun öffentlich erklären müssen. Sie müssen einen
Weg finden, die Erhöhungen umgehend zurückzunehmen. Auch eine
Entschuldigung wäre angemessen.
Daniela Brahm: Daran sieht man, welche Haltung die Leitung der
Wohnungsbaugesellschaften verinnerlicht hat. Die Renditeerwartungen sind an
dem nach oben laufenden Markt orientiert, dabei sollten gerade die
Wohnungsbaugesellschaften mietpreisdämpfend wirken. Die Leitungsebene ist
zu einer Zeit gekommen, in der es einen klaren neoliberalen Auftrag gab.
Das wird zäh, hier umzusteuern.
Der Senat selbst setzt gerade andere Signale. Im sozialen Wohnungsbau
wurden die turnusgemäßen Mieterhöhungen ausgesetzt.
Sandy Kaltenborn: Im sozialen Wohnungsbau bauen die Dinge, die jetzt
beschlossen sind, auf unseren Kämpfen der vergangenen fünf Jahre auf. Sie
verschaffen vielen Mietern etwas Luft. Das strukturelle Problem der
Förderverträge aus den siebziger und achtziger Jahren ist aber nicht
gelöst. Eine richtige Antwort wäre hier eine Politik der
Rekommunalisierung. Aber natürlich ist es nicht einfach, 50.000 oder
100.000 Wohnungen zurückzukaufen.
Im Koalitionsvertrag gibt es für den sozialen Wohnungsbau stattdessen den
Vorschlag einer sozialen Richtsatzmiete. Was muss man sich darunter
vorstellen?
Sandy Kaltenborn: Das ist eine politische Festsetzung einer Mietobergrenze.
Da gibt es verschiedene Modelle, wie etwa die Kopplung an Einkommen und den
Mietspiegel. Das wird derzeit in einer Expertenkommission diskutiert und
soll in den nächsten Monaten entschieden werden. Es ist Zeit, dass sich
auch die Eigentümer an den Kosten beteiligen und nicht nur das Land Berlin
und die Mieterinnen und Mieter.
Mit Andrej Holm hätten Sie als Initiativen einen direkten Ansprechpartner
gehabt. Wie weit wäre denn dieses Verhältnis gegangen? Holm selbst hat am
Tag seines Rücktritts gesagt, dass er ein imperatives Mandat gehabt hätte.
Er hätte keine Entscheidungen getroffen, ohne das mit den Initiativen
rückzukoppeln. Welche Verabredungen gab es da?
Daniela Brahm: Also mit mir gab es keine.
Christian Schöningh: Mit mir persönlich auch nicht, und auch nicht für die
beiden Initiativen, für die ich hier sitze.
Sandy Kaltenborn: Wenn man jahrelang zusammenarbeitet, muss man Andrej
nicht erklären, was das Problem beim sozialen Wohnungsbau ist. Wenn er das
so sagt, hat er damit eine produktive Abhängigkeit und eine, ich sage jetzt
nicht Komplizenschaft, aber eine Parteilichkeit signalisieren wollen.
Enrico Schönberg: [7][Komplizenschaft] ist gar nicht so falsch.
Sandy Kaltenborn: Und dann fragt man sich auf der anderen Seite: Wie soll
das denn gehen? Er wäre als Staatssekretär in einer Position gewesen, wo er
auch mit Investoren und den Wohnungsbaugesellschaften verhandeln sollte.
Muss er da nicht eher ausgleichen? Und da sind wir wieder bei dem, was wir
heute brauchen, weil der Karren ziemlich tief im Dreck steckt. Welches
Berlin wollen wir in 2030? Es wird viel über die soziale Mischung geredet,
aber die geht gerade flöten. Die Kieze verändern sich massiv. Die Armen und
die Mittelschicht ziehen weg. Ich will das Alte gar nicht romantisieren und
auch nicht bestreiten, dass es Veränderungen braucht. Aber es geht darum,
wie man diese Veränderungen auch mit staatlichen Eingriffen sozial
gestaltet.
Sie haben die Erwartungen formuliert, die Sie an Andrej Holm hatten. Aber
es gibt natürlich auch Erwartungen an den Senat. Zum Beispiel möglichst
viel Wohnraum zu schaffen.
Enrico Schönberg: Vielleicht ist das auch die Stelle, wo wir mal sagen
müssen, dass wir als stadt- und mietenpolitische Initiativen nicht
generell gegen Neubau sind. Entscheidend ist aber, was am Ende dabei
rauskommt. Wie hoch sind die Mieten? Wer fährt den Profit ein? Darum geht
es.
Daniela Brahm: Eine bestimmte Anzahl an Wohnungen zu produzieren ist das
eine. Aber wir müssen auch über Baukosten reden. Es wird derzeit sehr teuer
gebaut. Trotzdem soll es sozialer Wohnungsbau werden. Aber es gibt das
übliche Interesse von einer riesigen Lobby, die teuer bauen will, damit die
Gewinne stimmen.
Enrico Schönberg: Es rächt sich jetzt, dass die Verwaltung und auch die
kommunalen Gesellschaften jahrelang den Innovationen, die von außerhalb
entwickelt wurden, eher ablehnend gegenüberstanden.
Sandy Kaltenborn: Neubau über alles war die große Parole seit 2011. Es war
der große Erfolg der Mieterinitiativen, dass in der Politik angekommen ist,
dass auch im Bestand etwas gemacht werden muss. Aber klar: Es ist eine
Mammutaufgabe, und wir stehen jetzt vor der Aufgabe, welche neuen Formate
es auch in der Kommunikation zwischen Politik und Zivilgesellschaft gibt.
Denn auch das bedeutet ja „gutes Regieren“, wie es sich der Senat
vorgenommen hat.
Was ist für Sie sonst noch gutes Regieren?
Christian Schöningh: Nicht nur Kommunikation. Wir wollen auch
mitentscheiden. Und wir möchten beim Thema Neubau auch als Partner gesehen
werden. Das sagt jetzt wieder so ein Projektemacher, ich weiß.
Enrico Schönberg (lacht): Ich hör dir trotzdem zu.
Daniela Brahm: Aber diesen Schulterschluss sehen wir noch nicht. Die
meisten Wohnungsbaugesellschaften sind abgeschottete Schiffe. Eine Reaktion
auf neue Lebensentwürfe ist nicht zu sehen, die Grundrisse entsprechen
nicht der sozialen Vielfalt in Berlin. Derzeit werden bevorzugt
Single-Wohnungen oder gleich Studentenwohnungen gebaut. Was in der
alternativen Projektentwicklerszene erprobt wird, muss in größere Maßstäbe
überführt werden.
Durch den Druck des [8][Mietenvolksentscheids] wurde das
Wohnraumversorgungsgesetz verabschiedet. Das sieht auch die Kontrolle der
Gesellschaften durch eine Anstalt öffentlichen Rechts vor. Was sind Ihre
Erwartungen?
Sandy Kaltenborn: Wichtig ist, dass die Berlinerinnen und Berliner merken,
dass das eigentlich ihre Gesellschaften sind. Dass sie nicht der SPD
gehören. Wir haben das Fenster mit dem Mietenvolksentscheid erst einmal
geöffnet. Damit wollten wir mehr Demokratisierung und Transparenz in den
Laden reinkriegen. Bis dahin kamen die Geschäftsführer alle halbe Jahre in
den Bauausschuss und haben ein paar Papiere vorgelegt. Den Rest haben sie
mit den SPD-Bausenatoren abgekaspert. Es gab also so gut wie keine
parlamentarische Kontrolle. Das ist ein großer Fortschritt, dass das jetzt
möglich ist. Der Koalition fehlt noch immer eine Erzählung, wo das Land
hinmöchte. Arm, aber sexy ist lange überholt. Was im Koalitionsvertrag
steht, ist ein Anfang. Aber nach wie vor ist es wichtig, dass sich die
Öffentlichkeit einmischt. Das gilt auch für alternative Projekte. Da
wünschen wir uns deutlich mehr Kooperation mit den
Wohnungsbaugesellschaften, zum Beispiel auf dem Dragoner-Areal oder am
Kotti.
Enrico Schönberg: Oft ist es so, dass die Wohnungsbaugesellschaften zu den
Initiativen wie dem [9][Mietshäusersyndikat] sagen: Das können wir doch
selbst, wozu brauchen wir euch da? Andererseits gab es auch schon den
Willen, mit uns als gemeinwohlorientierten Partnern zusammenzuarbeiten.
Positiv ist, dass die Gesellschaften ihren Gewinn nicht mehr ans Land
abführen müssen, sondern für den Neubau einsetzen können.
Wie könnte denn eine Erzählung aussehen, die die Gesellschaften auf
Gemeinwohlorientierung verpflichtet. Gibt es da auch eine griffige Formel?
Christian Schöningh: Mitbestimmung.
Enrico Schönberg: Sagen haben, nicht Mitbestimmung. Man muss was zu sagen
haben.
„Was“ zu sagen haben? Oder „das Sagen“ haben?
Enrico Schönberg: In einer Mieterstadt wie Berlin, in der 85 Prozent der
Bevölkerung zur Miete wohnen, könnte man schon fragen, ob es nicht darum
gehen soll, das Sagen zu haben. Im Moment ist ganz klar, dass wir Mieter
nichts zu sagen haben.
Sandy Kaltenborn: Ich glaube, es ist nicht unser Job, diese Erzählung in
eine knackige Parole zu packen. Wenn man sich die Präambel zum
Koalitionsvertrag anschaut oder wenn man sich manchmal Herrn Müller anhört,
geht es immer viel um den sozialen Zusammenhalt. Natürlich muss eine solche
Erzählung was mit dem sozialen Zusammenhalt in der Stadt zu tun haben. Eine
Erzählung ist aber keine Floskel oder Pressemitteilung, sondern eine
Praxis.
Daniela Brahm: Immerhin kommt im Koalitionsvertrag ein neuer Akteur zu
Sprache: die gemeinwohlorientierten Investoren. Das ist total interessant.
Aber wer ist das? Ist das die Caritas? Oder sind es auch Gruppen, die wir
vertreten? Versorgung mit Raum in dieser Stadt gemeinwohlorientiert zu
denken ist extrem wichtig. Das kann nicht nur ein staatlicher Auftrag sein.
Warum sollen nicht auch private, gemeinwohlorientierte Akteure dabei sein?
Die Wohnungsbaugesellschaften können unser Problem nicht allein lösen.
Mit der Nominierung von Andrej Holm hat Katrin Lompscher ein starkes Signal
an die Initiativen gegeben. Wie viel Beinfreiheit gestehen Sie der
Bausenatorin in Zukunft zu?
Enrico Schönberg: Erst mal sind ihr die Beine weggekloppt worden, um es mal
klar zu sagen.
Ab welchem Punkt würden Sie denn sagen: Unser Protest richtet sich nicht
nur gegen die, die einen radikalen Wechsel in der Wohnungspolitik nicht
wollen, sondern auch gegen Rot-Rot-Grün?
Sandy Kaltenborn: Das Verhältnis von uns zu Katrin Lompscher und der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung muss sich in den nächsten Wochen und
Monaten erst einmal entwickeln. Andererseits ist Lompscher für uns keine
Unbekannte. Wir kennen sie als Person, wir kennen ihre inhaltlichen
Positionen. Die teilen wir in vielen Punkten, in manchen auch nicht. Wir
haben seit vielen Jahren mit ihr gut zusammengearbeitet. Deswegen ist da
auch ein Vertrauensvorschuss da.
Daniela Brahm: Entscheidend wird sein, wie die Zusammenarbeit der
Senatsverwaltung mit den Initiativen läuft. Ich sehe auch die Gefahr, dass
manche Initiativen einen engeren Draht zu ihr haben, andere weniger. Es
muss eine Struktur gefunden werden, die einen möglichst breiten Austausch
möglich macht. Da steht zum Beispiel im Koalitionsvertrag, dass die
Qualifizierung des runden Tischs zur Neuausrichtung der Berliner
Liegenschaftspolitik angestrebt wird. Wir müssen klären, was wir erwarten,
welchen Einfluss die Initiativen tatsächlich haben werden, und dass die
Mitwirkung transparent ist.
Ist denn, gerade wenn es um Liegenschaftspolitik geht, auch Finanzsenator
Matthias Kollatz-Ahnen ein Partner für Sie?
Sandy Kaltenborn: Er versteht was von Wohnungswirtschaft. Er ist nicht der
klassische neoliberale SPDler. Dass der Senat die Schuldentilgung
zurückgefahren hat und mehr investieren will, ist eine richtige
Entscheidung. Auf jeden Fall ist er von allen bisher der beste.
Enrico Schönberg: Das Problem ist die Schwarze Null. Was passiert, wenn die
Schuldenbremse greift?
Christian Schöningh: Und wie wollen wir verhindern, dass die Schuldenbremse
zur Investitionsbremse wird?
Daniela Brahm: Lange Zeit bestand Liegenschaftspolitik darin, mit dem
Verkauf von Grundstücken Kasse zu machen. Damit ist die Dominanz der
Finanzverwaltung erst entstanden. Die Stadtentwicklungspolitiker konnten
gar nichts mehr machen, weil alles von Finanzen dominiert wurde. Hat sich
das geändert? Wir müssen hinsehen und reagieren, auch darauf, wie die neue
Kooperation zwischen Stadtentwicklung und Finanzen läuft.
Sandy Kaltenborn: Die [10][Ernennung von Jan Kuhnert als Vorstandsmitglied
für die Anstalt öffentlichen Rechts]…
… Kuhnert war Mitinitiator des Mietenvolksentscheids…
Sandy Kaltenborn: … ja, und das war ein sehr positives Signal von
Kollatz-Ahnen, eines Experten zu holen, der aus den Mieterinitiativen
kommt. Das ist eine richtige, mutige und lobenswerte Entscheidung.
Christian Schöningh: Sie haben mich ja unter anderem als Vertreter der
Initiative [11][„Haus der Statistik“] eingeladen. In den zwei Jahren, die
wir daran arbeiten, hat uns der Finanzsenator aufgefordert, ein Angebot
einzureichen. Das haben wir gemacht. Aber das war kein Angebot, das
Grundstück zu kaufen, sondern mit dem Finanzsenator zusammen ein gutes
Projekt zu machen. Kollatz-Ahnen traue ich zu, ein solches Angebot
anzunehmen. Üblich ist eher eine Einstellung wie: Nee, wir lassen uns doch
jetzt von denen nicht zeigen, wie es anders geht.
Daniela Brahm: Das ist das, was ich unter Kooperation verstehe.
Enrico Schönberg: Wir haben auch gute Erfahrungen gemacht. Die
Nichtprivatisierung des Dragoner-Areals ist auch ihm zu verdanken. Da gab
es den Druck der Initiativen, und er hat am Ende was umgesetzt.
Sie haben vorhin gesagt, es gebe noch kein richtiges Wir bei den
Initiativen, die ja auch sehr unterschiedliche Interessen verfolgen. Ist
das auch eine Herausforderung? Da Strukturen zu schaffen, um noch stärker
mit einer Stimme zu sprechen?
Daniela Brahm: Die Initiativen sind in den letzten Jahren näher
aneinandergerückt.
Sandy Kaltenborn: Dazu gehört auch, immer wieder klar zu machen: Die
wichtigsten Impulse für die Stadtentwicklung der vergangenen Jahre …
Enrico Schönberg: … kamen von uns.
Sandy Kaltenborn: … kamen aus der Zivilgesellschaft. Das ist angesichts der
Unterschiedlichkeit ein großer Erfolg. Dass Initiativen wie Ex-Rotaprint
nun mit Kotti & Co. zusammenarbeiten, ist organisch gewachsen. Welche
weiteren Schritte sich daraus ergeben, werden wir sehen. Ich sehe da eine
Menge Potenzial.
Haben Sie ein Beispiel?
Sandy Kaltenborn: Alles, was über die Privaten unter dem Stichwort „Gutes
Kapital“ diskutiert wird, war uns zunächst fremd. Aber da hat sich über die
Zusammenarbeit unsere Meinung sehr ausdifferenziert. Das ist unglaublich
spannend. Es gibt das Vertrauen, dass wir alle Berlin mitgestalten wollen.
Und das macht auch die Motivation aus. Man trifft tolle, spannende
Menschen, die unglaublich viel Engagement und Freizeit reinstecken und über
ihre Grenzen hinauswachsen. Man darf ja nicht vergessen, dass die meisten
von uns ehrenamtlich arbeiten.
3 Feb 2017
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