| # taz.de -- Lampedusa-Geflüchtete in Hamburg: Der lange Kampf | |
| > Seit mehr als einem Jahr kämpft die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ für | |
| > eine Perspektive. Die Solidarität ist groß, aber nicht unendlich. Der | |
| > Senat kann sich zurücklehnen. | |
| Bild: So weit die Solidarität trägt: Demonstration für ein Arbeits- und Blei… | |
| HAMBURG taz | Selten hat das Schicksal von Geflüchteten in Norddeutschland | |
| die Menschen so aufgerüttelt wie das der Hamburger Lampedusa-Gruppe. Dabei | |
| hätte es gerade in Hamburg schon vorher genug Gelegenheiten gegeben, | |
| erschüttert zu sein: Ob unter SPD, CDU oder dem rechtspopulistischen | |
| Innensenator Ronald Schill – die Stadt hat schon immer versucht, | |
| [1][Flüchtlinge möglichst schnell loszuwerden]. Interessiert hat das aber | |
| meistens kaum jemanden. | |
| Das änderte sich, als letztes Jahr die „Lampedusas“ auf den Straßen von S… | |
| Pauli auftauchten und die regierende SPD in Erklärungsnöte brachten. Die | |
| „Lampedusas“, das ist eine Gruppe von etwa 300 aus Libyen geflohenen | |
| Afrikanern, die den Spielregeln der EU-Flüchtlingspolitik trotzen und | |
| gegenüber dem Hamburger Senat auf eine kollektive Regelung ihrer Zukunft | |
| beharren. Seither, so könnte man meinen, ist die Solidarität mit den | |
| Geflüchteten zu einem Hauptanliegen der Hamburger linken Szene geworden. | |
| Und auch die Zivilgesellschaft begehrt plötzlich auf. | |
| „Wir sind den Leuten von ’Lampedusa in Hamburg‘ dankbar, dass sie dem | |
| Protest gegen dieses Grenzregime Stimme und Gesicht gegeben haben. Sie | |
| haben dieser Stadt klargemacht, dass das mit dem Rosinenpicken nicht | |
| funktioniert“, schreiben die Autoren des [2][im Juni veröffentlichten | |
| „Manifests für Lampedusa in Hamburg“]. Eine treibende Kraft hinter dem | |
| Manifest war der Journalist und „Recht auf Stadt“-Aktivist Christoph | |
| Twickel, Prominente wie Bela B., Jan Delay, Fatih Akin und | |
| Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard unterstützen die Forderung des | |
| Manifests, den Geflüchteten hier eine Zukunft zu ermöglichen. | |
| Die Tatsache, dass Flüchtlinge sich dieses Mal nicht als Bittsteller an die | |
| Behörden wenden, sondern öffentlich ihre Interessen vertreten, hat | |
| Innensenator Michael Neumann bereits Ende Oktober [3][in einem Interview | |
| mit der Welt am Sonntag] zu der Aussage verleitet, dass es ein Problem sei, | |
| „wenn vermeintliche Berater fortwährend unerfüllbare Hoffnungen schüren“. | |
| Neumann drehte also den Spieß um und nannte die Unterstützer | |
| „verantwortungslos“, weil diese Flüchtlinge für politische Interessen | |
| instrumentalisierten. | |
| Im gleichen Atemzug stellte Neumann klar: „Wenn diese Geschichten, die wir | |
| nur aus den Medien gehört haben, so stimmen, gibt es hier keine Perspektive | |
| für diese Menschen.“ Denn aus Sicht des Senats ist Italien für „diese | |
| Männer“ zuständig, die angeben, Anfang 2013 als Bürgerkriegsflüchtlinge a… | |
| Libyen über die italienische Insel Lampedusa nach Italien und von dort nach | |
| Hamburg gekommen zu sein – ausgestattet mit Reisepapieren, die für die | |
| Mitgliedsstaaten des Schengener Abkommens gültig sind, und 500 Euro | |
| Reisegeld. | |
| Seitdem fordert die Lampedusa-Gruppe ein Arbeits- und Bleiberecht. Ihre | |
| Losung: „Wir haben nicht den Nato-Krieg in Libyen überlebt, um auf Hamburgs | |
| Straßen zu sterben.“ | |
| Ein Versuch des Senats, die Geflüchteten loszuwerden, scheiterte im Juni | |
| 2013 am Widerstand der Nordkirche: „Die Kirche und die Diakonie beteiligen | |
| sich nicht an einem Abschiebelager“, erklärten Bischöfin Kirsten Fehrs und | |
| Landespastorin Annegrethe Stoltenberg, nachdem der Senat eine Unterbringung | |
| unter kirchlicher Obhut an die Bedingung geknüpft hatte, dass sich die | |
| Flüchtlinge erkennungsdienstlich behandeln lassen. Kurz darauf öffneten die | |
| St.-Pauli-Kirche und weitere Gemeinden ihre Pforten und gaben den Männern | |
| eine Unterkunft, um ihre Abschiebung zu verhindern. | |
| Die anschließenden Verhandlungen liefen zäh: Nach monatelangen Protesten | |
| gegen die harte Linie des Scholz-Senats machte Innensenator Michael Neumann | |
| (SPD) der Nordkirche im Oktober 2013 wenigstens ein kleines Zugeständnis. | |
| Er räumte eine - andernorts selbstverständliche - aufschiebende Wirkung für | |
| laufende Verfahren ein: Wer sich bei den Behörden mit Namen melde, bekomme | |
| eine "klare, transparente Einzelfallprüfung" sowie die Chance auf ein | |
| Aufenthalts- und Arbeitsrecht. | |
| Innerhalb der Flüchtlingsgruppe gab es von da an unterschiedliche | |
| Vorstellungen über das weitere Vorgehen: Die Sprecher und viele Mitglieder | |
| der Lampedusa-Gruppe lehnten Neumanns Weg ab und hielten an der geforderten | |
| Gruppenlösung fest - aus Angst, dass der Senat ihre Identitäten nur deshalb | |
| haben will, um sie anschließend abzuschieben. Laut Innenbehörde haben sich | |
| bis Ende Juni, als das Ultimatum auslief, 70 Flüchtlinge der Gruppe auf die | |
| Bedingung eingelassen und einen Antrag auf Aufenthalt aus humanitären | |
| Gründen gestellt. | |
| Dass es auch Lösungen geben kann, bei der die Geflüchteten nicht ihre | |
| Identität preisgeben und damit eine Abschiebung nach Italien riskieren, hat | |
| Berlin gezeigt: Der dortige Senat hat den hungerstreikenden Flüchtlinge vom | |
| Brandenburger Tor ein Bleiberecht gewährt, ohne dass die Flüchtlinge sich | |
| registrieren lassen mussten. Auch wenn die Zuständigkeit formal beim Bund | |
| und bei der EU liegt, haben Länder und Kommunen kleine Handlungsspielräume, | |
| Gruppen von Betroffenen nach Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes ein | |
| humanitäres Bleiberecht zu gewähren. | |
| Dennoch, einen ersten Sieg hat die Hamburger SPD bereits erzielt: Ihr ist | |
| es gelungen, mit dem Verweis auf "rechtsstaatliche Grundsätze" die | |
| Marschrichtung in der öffentlichen Debatte vorzugeben, an der sich die | |
| Geflüchteten und ihre Unterstützer abarbeiten müssen. Ein Stück weit gehen | |
| sie dem Scholz-Senat also auf den Leim, wenn sie sich auf rechtliche | |
| Diskussionen und die Suche nach Paragrafen begeben, die doch noch einen | |
| legalen Aufenthaltsstatus zulassen. | |
| Es ist ein ungleiches Kräftemessen, das die Flüchtlinge nur mit der | |
| privaten Hilfe von Unterstützern durchhalten können. Das ist nicht immer | |
| einfach: Flüchtlinge und Unterstützer müssen mit Rückschlägen fertig | |
| werden, und sie müssen sich über die weitere Strategie verständigen | |
| ([4][siehe Reportage]). Bürgermeister Olaf Scholz und Innensenator Michael | |
| Neumann dagegen können sich einfach zurücklehnen und abwarten, wie lange | |
| die Solidarität noch trägt. Sie könnten versuchen, sie einfach austrocknen | |
| zu lassen. | |
| Für die Lampedusa-Gruppe ist das vorrangigste Problem, endlich wieder | |
| arbeiten zu können, um ihre Familien in den westafrikanischen Staaten zu | |
| ernähren. "Die Lampedusa-Gruppe wirft für den Senat ganz neue | |
| aufenthaltsrechtliche Fragen auf", sagt Peter Bremme von der Gewerkschaft | |
| Ver.di. Es seien Flüchtlinge, die in Europa einen humanitären | |
| aufenthaltsrechtlichen Statuts hätten und nicht politisch verfolgt seien. | |
| Durch die italienischen Dokumente, die auch der UN-Flüchtlingskommissar | |
| anerkenne, genössen sie in der Europäischen Union Freizügigkeit. | |
| "Sie sind nicht illegal hier", sagt Gewerkschafter Bremme. Sich in Hamburg | |
| bei den Behörden zu melden und einem neuen Aufenthaltsverfahren zu stellen, | |
| verstoße nicht nur gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, es sei | |
| zudem riskant. | |
| Nach Ansicht von Bremme fehle nur noch das "Nadelöhr Arbeitserlaubnis", | |
| durch das die Flüchtlinge kommen müssten - dann könnten sie auch ihre | |
| Identität angeben. Auf diese Weise könnte der Senat vor den | |
| Bürgerschaftswahlen in acht Monaten einen Konfliktherd loswerden. | |
| Doch die Innenbehörde beharrt auf eine vorherige Registrierung durch | |
| Polizei und Ausländerbehörde. "Diejenigen, die sich gemeldet haben, haben | |
| gute Karten, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen", sagt der Sprecher der | |
| Innenbehörde, Frank Reschreiter. Die Bundesregierung plane ja, das | |
| Arbeitsverbot für Asylsuchende und Geduldete auf drei Monate zu verkürzen. | |
| Doch wer sich nicht melde, so der Sprecher, bei dem laufe auch keine Frist. | |
| Der Konflikt bleibt festgefahren. | |
| 20 Jul 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.youtube.com/watch?v=sj20-D5rYcM | |
| [2] http://manifest-fuer-lampedusa-hh.de/ | |
| [3] http://www.welt.de/regionales/hamburg/article121239059/Fluechtlinge-muessen… | |
| [4] /!142712/ | |
| ## AUTOREN | |
| Lena Kaiser | |
| Kai von Appen | |
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