# taz.de -- Debatte Flüchtlingspolitik: Stellt sie gleich! | |
> Die Regierung will die Bezüge für Asylbewerber neu regeln. Warum diese | |
> nicht einfach Hartz IV bekommen können, erklärt sie nicht. | |
Bild: Gutschein statt Bargeld: immer noch Status Quo. | |
Sein Amt gekostet hat den letzten Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), | |
dass er der SPD, dem künftigen Koalitionspartner, über Ermittlungen gegen | |
deren Innenpolitiker Sebastian Edathy mehr steckte, als viele für | |
angemessen hielten. Einen anderen Prinzipienbruch hatte ihm das politische | |
Berlin aber ohne Weiteres nachgesehen: dass nämlich Friedrich, als | |
Innenminister für die Verfassung zuständig, ein gutes Jahr zuvor erklärt | |
hatte, ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ihm nicht passte, | |
einfach nicht umsetzen zu wollen. | |
Im Juli 2012 hatten die Karlsruher Richter der Klage eines irakischen | |
Asylbewerbers aus Nordrhein-Westfalen stattgegeben, der gegen die Höhe | |
seiner Sozialbezüge geklagt hatte. Bis dahin bekamen Erwachsene während des | |
Asylverfahrens ebenso wie Geduldete 224 Euro im Monat – fast 40 Prozent | |
weniger als das gesetzliche Existenzminimum in Form von Hartz IV. | |
Bis heute ist im Asylbewerberleistungsgesetz, das diese Bezüge regelt, ein | |
Betrag von „360 D-Mark“ angegeben. Einen Inflationsausgleich gab es, seit | |
das Gesetz 1993 als Teil des Asylkompromisses verabschiedet wurde, nicht. | |
Dabei stieg der Verbraucherpreisindex seither um 38 Prozent. „Evident | |
unzureichend“ urteilten die Richter. Das Gesetz sei eine | |
„migrationspolitische Relativierung der Menschenwürde“. Sie forderten eine | |
unverzügliche „bedarfsgerechte Neuberechnung“ und eine laufende Anpassung | |
der Sätze an die Preisentwicklung. | |
Kurz darauf aber erklärte Friedrich, er halte es „nach wie vor für | |
richtig“, dass Asylsuchende mit weniger Geld leben müssen als | |
Hartz-IV-Empfänger – ansonsten würden „noch mal mehr | |
Wirtschaftsflüchtlinge“ angezogen. Ursula von der Leyen (CDU), damals | |
Bundesarbeitsministerin, werde deshalb „die Sätze so berechnen, dass der | |
Abstand zu den Hartz-IV-Sätzen gewahrt bleibt“. Doch die dachte nicht | |
daran: „Menschenwürde und Existenzminimum sind unteilbar und unabhängig von | |
Asylpolitik“, erklärte sie in der taz. Der Konflikt zwischen von der Leyen | |
und Friedrich blieb ungelöst. | |
Teile der Union wollen das Gesetz unbedingt so erhalten, wie es 1993 | |
geschaffen wurde: als zentrales Instrument, um die Bundesrepublik | |
Deutschland für Flüchtlinge weniger attraktiv zu machen und so die | |
Flüchtlingszahlen zu drücken. Die Sozialleistungen für Flüchtlinge sind | |
deshalb nicht nur geringer als die für Deutsche, sondern sollen, bis auf | |
ein kleines Taschengeld, als Sachleistungen ausgegeben werden. | |
Gesundheitsversorgung schließlich wird nur bei „akuter“ oder | |
„schmerzhafter“ Erkrankung gewährt, Krankenscheine müssen einzeln beim | |
Sozialarbeiter im Flüchtlingsheim erbeten werden. Weit mehr als 100.000 | |
Menschen in Deutschland sind diesem Gesetz unterworfen. | |
## Auch in Zukunft kein Bargeld | |
Seit dem Karlsruher Urteilsspruch gilt eine provisorische | |
Übergangsregelung. Alleinstehende erwachsene Asylbewerber und Geduldete | |
bekommen danach Leistungen im Wert von 362 Euro im Monat. Im | |
Koalitionsvertrag kündigten Union und SPD die mittlerweile seit zwei Jahren | |
ausstehende Neufassung des Gesetzes an. Im Juni nun legte Arbeitsministerin | |
Andrea Nahles den Entwurf vor. | |
Die guten Nachrichten sind: Flüchtlinge sollen weiterhin mit 362 Euro und | |
damit annährend auf Hartz-IV-Niveau versorgt werden. Die Hardliner in der | |
Union konnten sich an diesem Punkt nicht durchsetzen. | |
Kinder und Jugendliche sollen die sogenannten Leistungen für Bildung und | |
Teilhabe früher bekommen können – etwa für Schulausflüge oder | |
Lernförderung. Schließlich wird die Dauer bis zum Bezug regulärer | |
Sozialleistungen verkürzt – von bisher 48 auf 12 Monate. | |
Die schlechten Nachrichten: Am Sachleistungsvorrang wird nicht gerüttelt. | |
Kommunen bleiben gehalten, kein Bargeld, sondern Gutscheine oder | |
Essenspakete auszugeben. Amnesty International erinnert Nahles daran, dass | |
der UN-Sozialausschuss Deutschland 2011 aufgefordert hat, diese Praxis zu | |
beenden. | |
Auch an der eingeschränkten Gesundheitsversorgung hält Nahles fest: | |
Behandelt wird nur, wenn eine Krankheit „akut“ oder „schmerzhaft“ ist. | |
Damit verstößt Deutschland auch weiter gegen den UN-Sozialpakt, der die | |
Vertragsstaaten verpflichtet, das „Recht eines jeden auf das für ihn | |
erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit“ | |
anzuerkennen. | |
## Das Gesetz gehört gestrichen | |
Nach Ablauf eines Jahres will Nahles den Asylbewerbern und Geduldeten nicht | |
Hartz IV auszahlen – also die Leistungen für Jobsuchende, die auch Hilfen | |
bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt umfassen. Stattdessen sollen sie | |
Sozialhilfe bekommen. Die aber ist laut Sozialgesetzbuch XII für Menschen | |
vorgesehen, die „nicht erwerbsfähig sind“. Unterstützung bei der Jobsuche | |
und Qualifikationsmaßnahmen gibt es deshalb nicht. Dabei sollen | |
Flüchtlinge, nachdem das Arbeitsverbot für sie kürzlich auf drei Monate | |
begrenzt wurde, nach dem Willen der Regierung sehr wohl in den Arbeitsmarkt | |
integriert werden. | |
Von all dem abgesehen hat Nahles aber keine Begründung dafür geliefert, | |
warum es dieses Gesetz überhaupt braucht. Auch dies hatten die Karlsruher | |
Richter 2012 ausdrücklich verlangt: Die Regierung solle belegen, warum sich | |
der existenzsichernde Bedarf von Asylbewerbern überhaupt von dem anderer | |
Menschen unterscheiden soll. Nur dann – und eben nicht als Instrument der | |
Schikane, um Flüchtlinge zu vergraulen – wäre die Sonderbehandlung | |
statthaft. | |
Man darf annehmen, dass Nahles keine stichhaltige Begründung eingefallen | |
ist. Die einzige Konsequenz daraus muss lauten: Das Gesetz gehört ersatzlos | |
gestrichen. | |
Geduldete und Menschen mit laufendem Asylverfahren könnten dann Hartz IV | |
beziehen wie jeder andere auch. Dann wären sie auch regulär | |
krankenversichert – die eingeschränkte Gesundheitsversorgung, das Betteln | |
um Krankenscheine wären damit Geschichte. Gleiches gilt für das | |
Bürokratiemonster des Sachleistungsprinzips. 20 Jahre nach dem | |
Asylkompromiss würde so wieder gelten: Existenzminium ist Existenzminium – | |
ganz gleich, um wessen Existenz es geht. | |
22 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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