| # taz.de -- Zwischenbilanz des Lampedusa-Protests: Herr Udo tanzt | |
| > Vor anderthalb Jahren kam Asuquo Okono Udo mittellos nach Hamburg. Heute | |
| > ist er ein Organisator des Lampedusa-Protests. Doch um ihn herum hat sich | |
| > viel geändert. | |
| Bild: Flüchtlinge, in der Mitte Asuqou Udo und Unterstützer: bei einer Presse… | |
| HAMBURG taz | Als [1][er im letzten Jahr auf diesem Platz] hinter dem | |
| Hamburger Hauptbahnhof stand, mit fleckiger Daunenjacke und all seinem | |
| Besitz in einer Plastiktüte, da hätte Asuquo Okono Udo nie gedacht, dass er | |
| hier einmal synchron tanzen würde. Noch viel weniger hätte er wohl den | |
| Grund dafür erraten: Politik. Udo hat viel gelernt über Deutschland. | |
| Dieser Julitag ist wolkenlos. Über den Köpfen von knapp 900 Menschen steht | |
| die Sonne senkrecht. Die Frauen tragen kurze Hosen und manche Männer haben | |
| ihre T-Shirts ausgezogen, Beats wummern aus Boxen und ein Mann verteilt | |
| Wimpel. „We are here to stay“ steht darauf: „Solidarität mit Lampedusa in | |
| Hamburg“. Udo steppt. | |
| Die Füße vor und zurück, er wiegt die Hüfte, im Takt der Männer neben ihm, | |
| die dasselbe tun. Sie tragen gleichfarbige Hemden und Hosen, rot und grau, | |
| sie haben das hier einstudiert: der europäische Grenzkonflikt, getanzt. | |
| Eine Performance von Hamburger Künstlern. Die Symbolik ist wichtig, haben | |
| sie Udo erklärt, politisch. Das hat er jetzt schon öfter gehört. | |
| 300 Flüchtlinge, vor dem libyschen Bürgerkrieg nach Italien geflohen, | |
| bitten den Stadtstaat Hamburg seit anderthalb Jahren um ein Bleiberecht. | |
| Denn in Italien herrscht Wirtschaftskrise, dort finden sie weder Arbeit | |
| noch Obdach. Hier hätten sie eine Zukunft – wenn der SPD-Senat wollte. Doch | |
| er will nicht. | |
| Wegen dieser Berichte gehen die Menschen in Hamburg regelmäßig auf die | |
| Straße, mehr als 10.000 waren es im vergangen Herbst. Dies ist auch die | |
| Geschichte von Asuquo Okono Udo und er muss sie immer wieder erzählen, | |
| damit es so bleibt. | |
| ## Mitgliedausweis Nummer 1 | |
| In einem Zimmer mit Balkon zum Hafen ist Udo zwischen die Kissen einer | |
| Couch gesunken und erklärt das Elend. „Wir leben auf der Straße“, sagt er, | |
| „offiziell sind wir 300.“ Die Größe der Lampedusa-Gruppe, wie sich die | |
| Flüchtlinge seit Beginn ihres Protests nennen, ist eine politische Größe. | |
| Als Libyen-Vertriebene wollen sie eine humanitäre Sondergenehmigung – für | |
| die ganze Gruppe, und nur für diese. | |
| Denn auf Hamburgs Plätzen, Parks und Straßen trifft Udo mittlerweile viele | |
| Männer, die erst vor ein paar Monaten aus Italien gekommen sind. Sie | |
| flüchteten ebenfalls aus Libyen und besitzen dieselben europäischen Papiere | |
| wie die Lampedusa-Mitglieder. Ein Teil der Gruppe sind sie deshalb aber | |
| noch lange nicht. Udo zieht eine laminiertes Papier aus seinem | |
| Portemonnaie: „Lampedusa in Hamburg“, Ausweisnummer 1. | |
| Deutsche Polizisten wollen Karten sehen, hat Udo begriffen. Nach einem Jahr | |
| Protest hat das Symbol „Lampedusa“ in dieser Stadt einen Wert. Wer zeigen | |
| kann, dass er dazu gehört, lebt sicherer. Hier zählt jetzt der symbolische | |
| Ausweis – das erklärt er auch den Neuen. Er schreibt ihre Namen auf eine | |
| Liste, für später vielleicht. | |
| Asuquo Okono Udo ist 49 Jahre alt, doch er wirkt jünger. Er trägt | |
| Turnschuhe und Jeans, manchmal Baseballkappen. Seine Schritte sind zügig, | |
| in den Flur, zum Aufzug. Er lebt in diesem Haus am Hafen, weil sich hier | |
| viele Leute für Politik interessieren: Genossenschafter sind hier, | |
| Künstler. „Ich darf hier wohnen, weil ich politisch so hart arbeite“, sagt | |
| Udo. | |
| Hinter dem Hauptbahnhof, wo Udos Geschichte begann, steht heute ein Mann, | |
| der sich Alfred nennt. Alfred war in Libyen Schweißer, bevor er nach | |
| Italien flüchtete und vor ein paar Monaten nach Hamburg. Sein Hemd ist | |
| kariert, seine Haut rau – er ist 29 Jahre alt, doch er wirkt älter. | |
| ## Gemeinsam warten | |
| Das weiße Partyzelt, das Lampedusa-Unterstützer im vergangenen Jahr als | |
| Mahnwache errichteten, steht noch immer. Dass es bereits einen Winter | |
| überstanden hat, zeigen die grau gewordenen Schaumstoffplatten, die vor den | |
| Zeltwänden klemmen. Statt auf dem Asphalt stehen die Männer, die wie Alfred | |
| jeden Tag hierher kommen, mittlerweile auf ausgerolltem Fliesen-Imitat. Sie | |
| treffen sich hier, um gemeinsam zu warten, auf Arbeit, auf ein Wunder, auf | |
| die Politik. | |
| Abends geht Alfred zu dem [2][Haus, das hier alle „Kitchen“ nennen]. | |
| Bierbänke stehen in einem Raum neben zwei Kickertischen. Über Sofalehnen | |
| hängen Füße, einige Männer holen hier Schlaf nach, andere laden ihr Handy | |
| auf. Alfred holt sich einen Teller Kartoffeln. | |
| Diesen Raum stiftet die Kirche, Alfred könnte es an den Fotos erkennen: Ein | |
| Pastor steht vor der St.-Pauli-Kirche und blickt in die Kamera, drei | |
| Afrikaner stehen neben ihm. Er hat Flüchtlinge im vergangenen Sommer in | |
| seiner Kirche schlafen lassen und später in Containern vor dem | |
| Gemeindehaus. Doch das alles war vor Alfreds Zeit. Er weiß nicht, was die | |
| Männer meinen, wenn sie „Duldung“ sagen. | |
| Bevor die Kirche Anfang Juni die letzten Wohncontainer abtransportierte, | |
| riet sie den Flüchtlingen, sich bei der Ausländerbehörde zu melden. Für die | |
| Zeit des Asylverfahrens werden sie „geduldet“ und bekommen einen Platz in | |
| einer Unterkunft. | |
| Rund ein Drittel der Lampedusa-Gruppe ging auf das Angebot ein. Asuquo | |
| Okono Udo nicht. Er will die Gruppengenehmigung vom Senat, nach wie vor. | |
| ## Es geht um die Marke | |
| Einige der ersten Plakate hängen noch, Udo sieht sie jedes Mal, wenn er | |
| durch den Stadtteil St. Pauli nach Hause geht: Das [3][Foto von Fatih | |
| Akin], Regisseur, einem deutschen Promi im Kapuzenpulli. „Wir sind | |
| Lampedusa“, steht darunter. So funktioniert es hier, erklären ihm die Leute | |
| aus dem Künstlerhaus und die Flüchtlingsaktivisten, die er trifft. Es gehe | |
| immer um die Bilder, Signale. Um die Marke „Lampedusa“. | |
| Udo vertraut darauf. | |
| Das [4][Logo für den FC Lampedusa], ein symbolischer Fußballverein, den | |
| eine FC-St.-Pauli-Trainerin betreut: ein Anker, verschmolzen mit einer | |
| erhobenen Faust. | |
| Die Initiative der Gewerkschaft Ver.di: 185 symbolische Mitgliedsausweise – | |
| und Ver.di-Fahnen bei jeder Demo. | |
| Eine leer stehende Schule im Karolinenviertel, die Aktivisten am 1. Mai | |
| besetzten, um symbolisch für die Idee eines „Refugee Welcome Centers“ zu | |
| werben – einige Stunden lang. | |
| Alfred verbringt die Nächte in Parks und die Tage auf der Suche nach einem | |
| schwarz bezahlten Job. Es ist nicht ganz einfach, jemandem wie ihm | |
| nahezubringen, was Symbolpolitik bedeutet. Es ist ja schon schwer genug für | |
| Asuquo Okono Udo. Seit er Libyen verlassen hat, schickt er seiner Frau kein | |
| Geld mehr. Über politische Protestformen telefoniert er mit ihr selten. | |
| ## Bezahlte Kritik | |
| Wenn Ted Gaier über Erfolge spricht, wählt er am liebsten dieses Beispiel: | |
| „[5][Wir haben ein gekochtes Ei gegen die deutsche Botschaft in Athen | |
| geworfen].“ Gaier ist Musiker, er spielt in der Hamburger Band Goldene | |
| Zitronen und er choreografiert das Schwabinggrad-Ballett: subversiver | |
| Polit-Tanz. Seit sie [6][die Flüchtlinge mit ins Boot] geholt haben, nennen | |
| sie es manchmal „Schwampedusa“. | |
| Die Senat-kritische Einlage auf der Demonstration hinter dem Hauptbahnhof | |
| wollen sie ausbauen: zu einem Schauspiel im Theaterhaus Kampnagel. Mit den | |
| Flüchtlingen und mit Kulturförderung vom Senat, natürlich. „Das ist | |
| Demokratie“, sagt Gaier: „Man wird dafür bezahlt, dass man kritisiert.“ | |
| Für deutsche Künstler funktioniert das. Asuquo Okono Udo hat für seine | |
| Kritik auch nach anderthalb Jahren noch kein Geld vom Senat bekommen. | |
| 20 Jul 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] /!115299/ | |
| [2] /!139165/ | |
| [3] http://www.flickr.com/photos/spanier/11097799584/ | |
| [4] http://www.facebook.com/FCLampedusa?ref=stream | |
| [5] http://www.youtube.com/watch?v=Vg_VPGrD9rw | |
| [6] http://vimeo.com/100057909 | |
| ## AUTOREN | |
| Kristiana Ludwig | |
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