# taz.de -- Ein Jahr Maidan-Proteste: Wenn der Rubel nur noch fällt | |
> Die Sanktionen gegen Russland dauern nun fast ein Jahr an. Es zeigt sich: | |
> Nur ganz bestimmte Maßnahmen wirken. | |
Bild: Irgendwie auch nicht mehr so richtig was wert: ein 100-Rubel-Schein. | |
MOSKAU taz | Eine Lappalie – das war die erste Einschätzung des Kreml zu | |
den verhängten Sanktionen gegen Russland. Erst nach und nach setzt sich die | |
Erkenntnis durch, dass die Lage ernst ist. Das größte Problem: die | |
Finanzsanktionen. Derzeit lassen sich drei Gruppen von Sanktionen gegen | |
Russland ausmachen: Neben Finanzsanktionen sind das Exportverbote für | |
sogenannte strategische Waren sowie Einschränkungen in puncto | |
Bewegungsfreiheit für bestimmte Personen und die Geschäfte mit bestimmten | |
Firmen. Der wirtschaftliche Gesamtschaden lässt sich nur schwer beziffern: | |
Nach verschiedenen Einschätzungen reicht er von 40 bis 120 Milliarden | |
US-Dollar. | |
Klar ist: Als wirksam haben sich einzig finanzielle Sanktionen erwiesen. | |
Die russische Wirtschaft leidet an einem Defizit an Kreditressourcen. Die | |
Geldmasse beträgt 38,5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt. Zum Vergleich: In | |
Deutschland liegt dieser Wert bei 69 Prozent, in den USA bei 71 Prozent. In | |
der Folge verfügten russische Firmen zum 1. Juli 2014 über weniger Kredite | |
bei russischen Banken als Anleihen und Darlehen von ausländischen | |
Geldinstituten – 20,4 Trillionen gegenüber 22,6 Trillionen Rubel. | |
Diese Situation, die bereits vor der Abwertung des Rubels Ende 2014 begann, | |
war für eine moderne entwickelte Wirtschaft einmalig – und folgenreich. | |
Denn das Nichtgewähren von neuen Krediten zu Zeitpunkten, an denen | |
russische Firmen und Banken den westlichen Kreditgebern Summen in Höhe von | |
teilweise über hundert Milliarden US-Dollar zurückzahlen sollten, brachte | |
den gesamten Finanzmarkt zum Absturz. Der Effekt dieser Entwicklung lässt | |
sich auf 40 bis 60 Milliarden US-Dollar beziffern, die somit dem | |
Bruttoinlandsprodukt (BIP) fehlen. Das entspricht immerhin 3 bis 4 Prozent | |
des BIP. | |
Die Entwicklung dürfte sich im laufenden Jahr fortsetzen, wobei der Effekt | |
zur Hälfte auf die Finanzsanktionen zurückzuführen sein wird. Die Folge: | |
Eine Stärkung des Rubels wird verhindert, die Inflation angeheizt, die | |
Zinsen steigen und die Entwicklung der russischen Wirtschaft wird gebremst. | |
## Militärproduktion kaum betroffen | |
Im Gegensatz zu den finanziellen Sanktionen sind die Maßnahmen, die etwa | |
Einschränkungen bei der Lieferungen von Militärproduktion oder der Erdöl- | |
und Gasgewinnung in den nördlichen Breiten beinhalten, begrenzt. Denn sie | |
betreffen nur neue Verträge. Folglich können sich Auswirkungen hier erst in | |
zwei bis drei Jahren zeigen. Die Nord-Projekte der Erdöl- und Gasgewinnung | |
entwickeln sich ohnehin sehr langsam. | |
Was Sanktionen gegen natürliche Personen betrifft, so interessieren diese | |
die russische Staatsmacht überhaupt nicht: Abgeordnete und Minister mit | |
Delegationen fahren auch weiterhin nach Europa. Zudem fährt die russische | |
Führung selbst einen harten Kurs, wenn es darum geht, Reisen von Beamten, | |
Vertretern der Geheimdienste sowie der Polizei ins Ausland einzuschränken. | |
Dennoch haben die unterschiedlichen Arten der Sanktionen eines gemeinsam: | |
Sie bedrohen und erzürnen den Kreml ernsthaft – daher will eine Aufhebung | |
gut durchdacht sein. Die jüngsten Minsker Vereinbarungen legen einen | |
Zeitplan für eine Lösung des Konflikts im Osten der Ukraine fest. Mit | |
diesem Zeitplan muss der Prozess einer Abschwächung und Aufhebung der | |
Sanktionen verknüpft sein. Sollte die Waffenruhe zumindest zwei bis drei | |
Monate halten, könnte der Westen damit beginnen, die Begrenzung der | |
Reisefreiheit für einzelne russische Staatsbürger, die auf der | |
Sanktionsliste stehen, aufzuheben. | |
## Bildung einer legitimen Macht | |
Wenn auf dem Territorium des Donezker und Lugansker Gebiets Wahlen | |
durchgeführt werden, die zur Bildung einer legitimen Macht führt, könnte | |
man darüber nachdenken, die Sanktionen im Bereich von Lieferungen von | |
Ausrüstungsgegenständen für zivile und militärische Nutzung aufzuheben. Das | |
müsste in Verbindung mit einer Revision des russischen Boykotts von | |
Importen aus Europa und den USA passieren. Nur in dem Fall, dass die | |
schwierigste Bedingung erfüllt wird – die Wiederherstellung der | |
ukrainischen Kontrolle über die Grenze zwischen den aufständischen Gebieten | |
und Russland – sollte die Frage einer Aufhebung der Finanzsanktionen | |
gestellt werden. | |
Sollten die Minsker Vereinbarungen scheitern, könnte der Westen gegen | |
Russland neue Strafmaßnahmen verhängen. Am schmerzhaftesten wäre ein Verbot | |
für westliche Investoren, Wertpapiere der Russischen Föderation sowie | |
russische Staatsanleihen zu besitzen. Auch ein Verbot neuer Investitionen | |
in russische Aktiva oder eine Ausweitung begonnener Projekte würde merkbar | |
schmerzen. | |
Mit den finanziellen Einschnitten und der fehlenden Fähigkeit, den | |
Investitionszufluss von außen zu kontrollieren, gerät Russland ökonomisch | |
ins Trudeln. Für die EU gibt es dagegen kaum einen Effekt: Sie büßt | |
lediglich 0,2 bis 0,3 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes ein. | |
Übersetzung aus dem Russischen Irina Serdyuk und Barbara Oertel | |
20 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Wladislaw Inosemzew | |
## TAGS | |
Wladimir Putin | |
Rüstung | |
Sanktionen | |
Ukraine | |
Maidan | |
Russland | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Europarat | |
Sanktionen | |
Maidan | |
Wladimir Putin | |
Ostukraine | |
Barack Obama | |
Friedensverhandlungen | |
Mariupol | |
Wladimir Putin | |
Friedensprozess | |
UN-Sicherheitsrat | |
Russland | |
Journalismus | |
Schwere Waffen | |
Ostukraine | |
Wladimir Putin | |
Militär | |
Olympiapark | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Europarat kritisiert Maidan-Ermittlungen: Ministerium verhindert Aufklärung | |
Das Innenministerium in Kiew betreibt „Obstruktion“ und erschwert die | |
Ermittlungen zu den rund 100 Maidan-Toten, kritisiert der Europarat. | |
EU droht mit neuen Russland-Sanktionen: Poroschenko will mehr Beobachter | |
Bei Nichteinhalten des Minsk-Abkommens oder „weiteren russichen | |
Aggressionen“ plant die EU Sanktionen. Mehr OSZE-Beobachter sollen die | |
Pufferzone überwachen. | |
Gedenkmarsch für den Maidan: Für die Unabhängigkeit | |
Tausende Menschen erinnern an die Toten der Maidan-Proteste in Kiew. Bei | |
einem Anschlag auf die Feier in Charkiw sterben zwei Menschen. | |
Krieg in der Ukraine: Gefangenaustausch bei Lugansk | |
Trotz fortgesetzter Gefechte tauschen Rebellen und ukrainische Armee | |
Gefangene aus. In Moskau demonstrieren Zehntausende gegen den Maidan. | |
Krieg in der Ukraine: Von Waffenruhe keine Spur | |
Auch wenn die Intensität nachgelassen hat, es gibt weiterhin | |
Kampfhandlungen in der Ostukraine. USA und Großbritannien beraten über | |
Sanktionen gegen Russland. | |
Europa, Russland und Minsk II: „Was hier geschieht, ist schamlos“ | |
Die Juristin Constanze Stelzenmüller sieht die europäische Friedensordnung | |
in Gefahr. Ein Gespräch über Putin, Obama und rote Linien. | |
Debatte Waffenstillstand von Minsk: Die Macht hinter der Macht | |
Am Donnerstag vor einer Woche wurde in Minsk ein Waffenstillstand | |
vereinbart. Im Donbass wird dennoch gekämpft, nicht alle setzen auf | |
Frieden. | |
Krieg in der Ukraine: Die Kämpfe gehen weiter | |
Trotz der Minsker Vereinbarungen schweigen die Waffen immer noch nicht. | |
Kiew wirft Russland vor, weitere Panzer in den Donbass geschickt zu haben. | |
Kommentar EU-Mission für die Ukraine: Hilflose Idee aus Kiew | |
Der ukrainische Präsident Poroschenko ist für eine vom UNO-Sicherheitsrat | |
mandatierte Polizeimission der EU. Das wird nicht funktionieren. | |
Kommentar Lage in der Ukraine: Von Frieden kann keine Rede sein | |
Die Vereinbarungen von Minsk-II werden nicht umgesetzt, das macht die | |
Situation in Debalzewe klar. Dennoch muss weiter auf Diplomatie gesetzt | |
werden. | |
Krieg in der Ukraine: Rückzug aus Debalzewe | |
Die Stadt wurde von den ukrainischen Truppen aufgegeben. Die EU wirft den | |
Separatisten den Bruch der Waffenruhe vor. Es ist ein erneutes | |
Gipfeltreffen in Minsk geplant. | |
Friedensprozess in Gefahr: Ukraine verliert Kampf um Debalzewe | |
In der Ukraine fließt wenige Tage nach dem Minsker Verhandlungsmarathon mit | |
Kanzlerin Merkel wieder Blut. Ist das Friedensabkommen bereits gescheitert? | |
Die Wahrheit: Ukraine voll aua! | |
Der politische Leitkommentar: Krampf um Blut und Boden in Europa. Die Lage | |
ist zerschwurbelt. Wohin und wogegen vor allem geht es? | |
Hoffnung auf Frieden in der Ukraine: Einen Schritt vor, zwei zurück | |
Die Konfliktparteien im Osten der Ukraine werfen sich gegenseitig vor, die | |
Waffenruhe zu verletzen. Die EU weitet die Sanktionen aus. | |
Nach dem Ukraine-Gipfel: Ruhe ohne Frieden | |
Seit dem Bekanntwerden des Minsker Abkommens ist in Teilen der umkämpften | |
Region Ruhe eingekehrt. Doch die Menschen sind skeptisch. | |
Norbert Röttgen über Minsk II: „Putin hat keine Vision für sein Land“ | |
Der Westen läuft den Krisen hinterher. Der Vorsitzende des Auswärtigen | |
Ausschusses des Bundestages wünscht sich eine vorausschauendere Politik. | |
Militärexperte über den Ukrainekonflikt: „Im Kalten Krieg gab es das nicht�… | |
Wie sehen die Fronten in der Ukraine aus? Der russische Militärexperte | |
Alexander Golz über den Zustand beider Streitkräfte und mögliche | |
US-Waffenlieferungen an Kiew. | |
Sotschis Olympisches Erbe: Welle des Patriotismus | |
Ein Jahr nach den Winterspielen strömen die russischen Skitouristen nach | |
Sotschi. Auch dank der Sanktionen des Westens floriert das Geschäft. |