# taz.de -- Debatte Waffenstillstand von Minsk: Die Macht hinter der Macht | |
> Am Donnerstag vor einer Woche wurde in Minsk ein Waffenstillstand | |
> vereinbart. Im Donbass wird dennoch gekämpft, nicht alle setzen auf | |
> Frieden. | |
Bild: Pause? Ein Seperatist ist der Nähe von Debalzewe am Dienstag. | |
Die Kampfpause stieß von Anfang an auf Skepsis – sogar bei den | |
Verhandelnden selbst. Unter den eingeschlossenen ukrainischen Soldaten war | |
es unpopulär, den Verkehrsknotenpunkt Debalzewe kampflos aufzugeben, wie | |
unter den separatistischen Belagerern, ihn nicht zu erobern. Hier waren | |
alle, außer der leidenden Zivilbevölkerung, gegen den Waffenstillstand. | |
Wer in Verhandlungen eintritt, muss davon ausgehen, dass die jeweils andere | |
Seite dem Ergebnis nicht nur zustimmen, sondern es auch umsetzen will. Aber | |
in allen Verhandlungen versucht die eine Seite auch, die andere über den | |
Tisch zu ziehen. Das ist nicht nur im Geschäftsleben so. Wo der | |
Vertragsbruch nicht von Anfang an geplant war, wird er zuweilen als | |
Notbremse eingesetzt. Die Gegner werden dann – oft zu Recht – als | |
abgefeimte Schufte hingestellt. | |
Gelegentlich ist es aber auch so, dass die eine Seite die eingegangenen | |
Verpflichtungen gar nicht einlösen kann. Aus allen organisatorischen und | |
politischen Kontexten ist das Problem der Durchsetzung von bindenden | |
Entscheidungen doch vertraut. Die Personen mit Herrschaftsanspruch können | |
ihren Willen in den Machtgeflechten, die sie repräsentieren sollen, nur | |
eingeschränkt umsetzen; die oben befehlen, die unten nicken und machen dann | |
irgendetwas anderes. | |
In dieser Frühphase des ukrainischen Kriegs erschien Putin immer wieder | |
nicht nur als böswilliger Verbrecher, der er wahrscheinlich ist, sondern | |
auch als – im eigenen Lager – allmächtig, was er sicherlich nicht ist. Dass | |
er vom Großmachtstatus Russlands retten will, was sich irgendwie noch | |
retten lässt, ist offenkundig, und dafür lässt er alle möglichen plausiblen | |
und unplausiblen Geschichtsbilder mobilisieren. Ein solch stolzer und | |
freier Umgang mit Geschichte kennzeichnet alle Nationalismen und begeistert | |
ihre Anhänger. Der Putinismus wird dabei von machtvollen Strömungen | |
getragen – nicht zuletzt in der russischen Armee, den Geheimdiensten, der | |
orthodoxen Kirche und den verschiedenen nationalistischen Netzwerken. | |
## Auf russische Lieferungen angewiesen | |
Der Anschein absoluter Macht, den der Putin’sche Personenkult produziert, | |
bedeutet aber nicht, dass der Halbgott beliebig gegen die Wunschträume | |
seiner politischen Basis agieren kann. Es ist daher nicht recht glaubhaft, | |
dass Putin eine Einstellung der militärischen Hilfen an die | |
separatistischen Kampftruppen durchsetzen könnte; selbst wenn er es wollte. | |
Die Kommandeure der Aufständischen tanzen ohnehin nicht nach seiner Pfeife, | |
obwohl sie auf russische Lieferungen angewiesen sind. | |
Auf ukrainischer Seite gibt es andere Restriktionen der präsidialen | |
Handlungsmacht. Poroschenko ist zwar in freien Wahlen zum Präsidenten | |
gewählt worden; die regierende Koalition steht aber keineswegs einig hinter | |
ihm. Ihr rechter Flügel war gegen das Abkommen von Minsk. Die verschiedenen | |
ukrainischen Kampfverbände, die durchaus nicht unter dem Dach der | |
ukrainischen Armee vereinheitlicht worden sind, erstreben überwiegend nicht | |
einen verlustreichen Waffenstillstand, sondern den Sieg. | |
Nicht nur die separatistische Seite, auch die nationalukrainische würde | |
europäische Friedenspolizisten, die Poroschenko in seiner Verzweiflung | |
herbeiwünscht, nicht ernst nehmen. Ministerpräsident Jazenjuk, den die | |
amerikanische Regierung ohnehin lieber als ukrainischen Präsidenten gesehen | |
hätte, wartet nur darauf, die Anklage des nationalen Verrats vorbringen zu | |
können, die ansonsten längst zirkuliert. | |
Selbst die Durchsetzungsfähigkeit der europäischen Verhandlungspartner ist | |
prekär. Das Streben nach einer Deeskalation hat sogar in der EU – sowohl | |
bei Regierungen wie generell in den Medien – gewichtige Gegner. Der Vorwurf | |
der Feigheit findet in den USA Rückhalt nicht nur unter den Republikanern | |
im Kongress, sondern auch insgesamt in der politischen Öffentlichkeit. Die | |
Stunde der tapferen Nationalisten rückt näher. | |
20 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Erhard Stölting | |
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