| # taz.de -- Norbert Röttgen über Minsk II: „Putin hat keine Vision für sei… | |
| > Der Westen läuft den Krisen hinterher. Der Vorsitzende des Auswärtigen | |
| > Ausschusses des Bundestages wünscht sich eine vorausschauendere Politik. | |
| Bild: Wladimir Putin nach den Gesprächen in Minsk. | |
| taz: Herr Röttgen, wie beurteilen Sie das neue Minsker Abkommen? | |
| Norbert Röttgen: Das Ergebnis begründet die Hoffnung, dass ein Ende des | |
| Blutvergießens erreicht werden kann. Alles hängt aber an dem Willen | |
| insbesondere der von Moskau unterstützten Rebellen, die Vereinbarung auch | |
| umzusetzen. | |
| Wieviel Hoffnung haben sie, was die Umsetzung des Abkommens betrifft? | |
| Es gibt viele Begleitumstände der Verhandlung, die Zweifel an der | |
| Bereitschaft zur Umsetzung begründen. Wir müssen also abwarten und hoffen. | |
| Bevor wir auf Russland zu sprechen kommen – sollte der Westen nicht auch | |
| selbstkritisch sein an manchen Punkten? | |
| Ja, absolut. Allerdings ist nach meiner Einschätzung nichts falsch gemacht | |
| worden, was Wladimir Putins Tun entschuldigt. Außerdem hat alles seine | |
| Zeit. Jetzt ist akutes Handeln gefragt. Die Zeit zu sagen, welche Fehler | |
| haben wir gemacht, die muss dann noch kommen. | |
| Was sollte dem Westen in diesen Tagen nicht noch einmal passieren? | |
| Es sollte vor allem nicht passieren, dass wir unvorbereitet sind. Das ganze | |
| Jahr 2014 mit all seinen internationalen Konflikten, Russland, IS Ebola, | |
| hat uns unvorbereitet getroffen. Wir sollten uns also auch etwas | |
| vorausschauend und nicht nur hinterhereilend mit möglichen Krisenlagen | |
| beschäftigen. | |
| Was heißt das konkret? | |
| Bei internationalen Krisen haben wir in der Vergangenheit fast durchgängig | |
| weggeschaut, auch dann, wenn sie schon erkennbar waren. Wir haben uns zu | |
| sehr auf das verlassen, was wünschbar ist und zu wenig in Szenarien des | |
| Möglichen gedacht. Die politische Beschäftigung mit Krisen ist oft an die | |
| mediale Aufmerksamkeit gebunden. Aber Außenpolitik muss auch dann wirksam | |
| sein, wenn Krisen nicht im Fernsehen sind. Die Syrien-Krise war im Zentrum | |
| der internationalen Aufmerksamkeit, als eine amerikanische Intervention | |
| drohte. Die wurde abgewendet durch russische Vermittlung. Das Morden ging | |
| weiter, aber die Beschäftigung mit der Krise hat geendet. Solche Fehler | |
| müssen wir abstellen. | |
| Gerade erleben wir eine Art Showdown der Diplomatie. Wird dabei nicht zu | |
| viel über die Ukraine geredet und zu wenig mit der Ukraine? | |
| Das glaube ich nicht. Woanders sehe ich schon einen Mangel. Wenn wir klar | |
| sind in der Ablehnung von Waffenlieferungen, weil sie nicht helfen, sondern | |
| eskalieren, dann müssen wir klar machen, dass wir den Aufbau von Staat und | |
| Wirtschaft in der Ukraine umfassend und stärker als bislang unterstützen. | |
| Worum geht es dem Westen beim Ukraine-Konflikt, um ein Gesellschaftsmodell | |
| nach unserem Vorbild oder um die Erweiterung seiner Einflusssphäre? | |
| Es geht um die Ukraine und gleichzeitig um viel mehr. Es geht um die | |
| europäische Friedensordnung, die von Putin verletzt wird, um die | |
| Wiederherstellung dieser europäischen Friedensordnung als das Resultat des | |
| blutigen 20. Jahrhunderts. Es geht darum, den hegemonialen Machtanspruch, | |
| den Putin erhebt, zurückzuweisen. Dieser Machtanspruch nach außen geht | |
| einher mit einer gesteigerten Repression im Inneren. Viel kleiner kann man | |
| es leider nicht sagen: es geht um Frieden, Sicherheit und Freiheit in | |
| Europa. | |
| Sehen Sie denn eine Gesamtstrategie bei Wladimir Putin? | |
| Für mich hat Putin keine Strategie, auch keine Vision für sein Land. Er | |
| handelt taktisch. Es ist eine taktische Reaktion auf die Maidan-Bewegung, | |
| von der er sich doppelt bedroht sah. Er befürchtete, dass der Rote Platz | |
| der nächste Maidan werden könnte. Es ist der Freiheitsbazillus, den er am | |
| meisten fürchtet. Im Hinterkopf hat er dabei den Zerfall der Sowjetunion, | |
| die Angst vor einem weiteren Verlust des territorialen, geopolitischen | |
| Einflussbereichs. Ausdruck seiner Schwäche und nicht seiner Strategie ist, | |
| dass er militärische Mittel einsetzt. | |
| Erfolgreich. Die Krim scheint für die Ukraine verloren. | |
| Die Bundesrepublik und Europa, der Westen muss bei der klaren | |
| völkerrechtlichen Position bleiben, dass die Krim zur Ukraine gehört und | |
| die Annexion rechtswidrig ist. Aber auf der Krim gibt es zurzeit keine | |
| ukrainischen Staatsgewalt. | |
| Die Krim ist also verloren? | |
| Die Macht des Faktischen liegt bei Russland, aber die normative Macht, also | |
| das Völkerrecht, steht dafür, dass die Krim Teil des ukrainischen Staates | |
| ist. Macht und Völkerrecht stehen gegeneinander. | |
| Teilen Sie die Befürchtung, dass Putin sein militärisches Vorgehen ausdehnt | |
| auf andere ehemalige Mitgliedstaaten des sowjetischen Reiches? | |
| Ich glaube, dass Putin seine und Russlands geopolitische Macht so weit wie | |
| möglich ausdehnen will und wird. Und das heißt, dass er dieser Logik folgen | |
| wird, so viel nehmen wird, wie er kriegen kann. | |
| Und wie sollte der Westen darauf reagieren? | |
| Wenn wir dabei bleiben, den Konflikt asymmetrisch zu führen, ihn nicht | |
| militärisch zu beantworten, was ich für unbedingt richtig halte, heißt das, | |
| dass kurzfristig die Handlungshoheit und die taktischen Gewinne auf Seiten | |
| von Putin sind. Mittel- und langfristig wird er scheitern, weil er in eine | |
| Sackgasse läuft. Die Folge seines Handelns ist die Isolierung Russlands. | |
| Was aber unsere Zeit ausmacht, ist eine wachsende Interdependenz, | |
| Globalisierung. Also geht es um Zeit und dafür ist das strategische Gut des | |
| Westens seine Einheit und Einigkeit. Das ist übrigens der wesentliche Sinn | |
| von Sanktionen. In wirtschaftlichen Sanktionen drücken sich die | |
| Entschlossenheit und die Einheit des Westens aus. | |
| In den USA werden Waffenlieferungen offensiv ins Gespräch gebracht. | |
| Francois Hollande und Angela Merkel diskutieren alleine mit Putin. Gibt es | |
| denn diese Einigkeit des Westens überhaupt? | |
| Bis zum jetzigen Zeitpunkt gibt es sie. Es gibt keine Waffenlieferungen, es | |
| gibt wirtschaftliche Sanktionen und es gibt ein einheitliches politisches | |
| und wirtschaftliches Vorgehen gegenüber Putin. Käme es zu | |
| Waffenlieferungen, gäbe es in einer sehr wesentlichen Frage | |
| unterschiedliche Verhaltensweisen. Das würde den Westen nicht stärken. | |
| Nimmt das deutsch-amerikanische Verhältnis Schaden durch die klare | |
| Festlegung von Angela Merkel, keine Waffenlieferungen zu unterstützen? | |
| Nein, das glaube ich nicht. Es war richtig, sich gegen Waffenlieferungen | |
| auszusprechen. Ich halte es aber auch für legitim, dass die Diskussion über | |
| Waffenlieferungen geführt wird. Ich finde, man muss das auch respektieren, | |
| weil sie auch differenziert von vielen begründet wird. Vielleicht haben wir | |
| zu wenig miteinander diskutiert, bevor die Diskussion öffentlich und | |
| kontrovers geworden ist. Ein weiterer Punkt, aus dem wir lernen sollten, | |
| dass das transatlantische Gespräch als Dauergespräch ungemein wichtig ist. | |
| Kann Europa noch einheitlich handeln? Die Erfolge populistischen Parteien | |
| scheinen dagegen zu sprechen. | |
| Es ja auch Putins Interesse, den Westen zu spalten – die USA und Europa, | |
| aber auch die europäischen Gesellschaften. Er finanziert den Front | |
| National, weil das eine Kraft ist, die destruktiv in Frankreich wirkt. | |
| Europa ist zudem selbst in einer krisenhaften Verfassung, die wir auch | |
| überwinden müssen, um die notwendige Handlungsfähigkeit in der äußeren | |
| Krise zu erhalten. | |
| Hat an der inneren Krise Europas nicht auch die deutsche Sparpolitik einen | |
| Anteil? | |
| Ich würde es anders ausdrücken. In der Schicksalsfrage Europas, der | |
| Wirtschaft, müssen wir zu einem Konsens kommen. Wenn es dabei bleibt, dass | |
| es hier einen tiefgehenden Dissens gibt, wie wir mit der Herausforderung | |
| der Euro-Krise, des fehlenden Wachstums und hohen Arbeitslosigkeit, vor | |
| allem Jugendarbeitslosigkeit umgehen, wird sich das auch auf die äußere | |
| Geschlossenheit auswirken. Dazu muss auch Deutschland einen Beitrag | |
| leisten. | |
| Was heißt das auf die Politik des Finanzministers Wolfgang Schäuble | |
| bezogen? | |
| Es geht nicht um einen Minister, es geht darum, dass auch wir alles daran | |
| setzen müssen, dass es zu Kompromisslösungen in Wirtschafts-, Währungs- und | |
| Sozialfragen kommt. Es reicht nicht, dass wir austauschen, was wir für uns | |
| und für sich genommen für richtig halten. Wir müssen zu einem europäischen | |
| Konsens und Kompromiss kommen. | |
| Erklärt sich so das starke diplomatische Engagement der Bundesregierung in | |
| diesen Tagen? Kann Europa schon bald nicht mehr mit einer Stimme | |
| verhandeln? | |
| Das ist hat viel eher humanitäre Gründe. Denken Sie an die Tausenden | |
| eingekesselten Soldaten in Debalzewe. Im Übrigen will ich Ihnen aber Recht | |
| geben: Ich beobachte in Europa eine zunehmende Renationalisierung. Das | |
| politische Verhalten in den europäischen Ländern wird immer mehr danach | |
| ausgerichtet, wie man zu Hause Applaus bekommt. So gefährden wir unsere | |
| europäische Handlungsfähigkeit. Wenn jeder auf sich blickt und für sich | |
| redet, ist das der Keim, der die Einheit Europas gefährdet. | |
| Nun wird durchaus befürchtet, Angela Merkels diplomatische Offensive könnte | |
| nicht erfolgreich sein. Warum geht sie das Risiko wohl ein? | |
| Weil dieses Risiko, dass man politisch nicht zum Erfolg kommt, ein ungleich | |
| geringeres ist im Verhältnis zu dem Risiko, was zu erwarten ist, wenn man | |
| es erst gar nicht versucht. Es geht um die Verhinderung weiteren | |
| Blutvergießens in der Ostukraine. | |
| 12 Feb 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ines Pohl | |
| Andreas Rüttenauer | |
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