| # taz.de -- SPD-Chef zu Koalitionsverhandlungen: „Müssen beim Klimaschutz kl… | |
| > Raed Saleh verteidigt die Verhandlungen mit der CDU in Berlin: Es gehe um | |
| > Inhalte. Eine solche Koalition müsse sich am Klimaschutz messen lassen. | |
| Bild: Wichtig für den Klimaschutz: das Tempelhofer Feld, das CDU und SPD gerne… | |
| taz: Herr Saleh, die [1][Koalitionsverhandlungen mit der CDU] gehen auf die | |
| Zielgerade. Wie läuft's? | |
| Raed Saleh: Insgesamt gut. | |
| Woran liegt das? | |
| Wir haben schon in den [2][Sondierungsverhandlungen für Berlin] wesentliche | |
| Punkte festgemacht: Die Stadt muss eine gute Arbeitgeberin bleiben, hier | |
| geht es um Tariftreue, Mindestlohn und die Rückführung der ausgegliederten | |
| Unternehmen etwa bei der Charité und Vivantes. Wir werden die | |
| Gebührenfreiheit der Bildung und unsere Errungenschaften bei der sozialen | |
| Teilhabe beibehalten, etwa das kostenlose Schülerticket und das kostenlose | |
| Essen für alle Grundschulkinder. Nun haben wir in den | |
| Koalitionsverhandlungen gemeinsam neue Bereiche definiert, in denen wir die | |
| Berlinerinnen und Berliner weiter entlasten können, etwa durch die | |
| Gebührenfreiheit in der Meisterinnenprüfung und bei den Sozialassistenten. | |
| Und es geht darum, dass man in der Krise nicht spart, dass weiter | |
| investiert wird. | |
| Wir haben den Eindruck, dass die CDU sehr viele SPD-Positionen akzeptiert | |
| hat – um nicht zu sagen: geschluckt. | |
| Die CDU hat auch Punkte, die ihr wichtig sind – da gibt es mit uns | |
| Überschneidungen, etwa beim Thema Sicherheit im öffentlichen Raum und die | |
| damit verbundene temporäre und anlassbezogene Videoüberwachung an | |
| kriminalitätsbelasteten Orten. Das war mit [3][unseren bisherigen Partnern | |
| so nicht möglich.] | |
| In diesem Fall vor allem nicht mit der Linkspartei . | |
| Die Linken waren bisher ein kritischer, aber verlässlicher Partner. Ich | |
| selbst unterstütze bekanntermaßen rot-rot-grüne Konstellationen – aber | |
| nicht, wenn man am Ende seine wichtigsten Inhalte aufgeben muss, also das | |
| Ziel gleicher Lohn für gleiche Arbeit, die Schaffung von bezahlbarem | |
| Wohnraum, das Ziel der Entlastung und Gebührenfreiheit, das Ziel einer | |
| bezahlbaren Stadt, aus der niemand verdrängt wird. | |
| Sie stellen Grüne und Linke als Gentrifizierer dar? | |
| Mir ist wichtig, dass diese Stadt für alle bezahlbar bleibt. Daher bin ich | |
| froh, dass wir diese Punkte nun in den Koalitionsverhandlungen vereinbaren | |
| konnten. Die SPD darf die Menschen, die auf sozialdemokratische Politik | |
| angewiesen sind, nicht im Stich lassen. Na klar könnten wir es uns leicht | |
| machen und in die Opposition gehen und na klar habe ich auch darüber | |
| nachgedacht. Doch das hieße, es sich leicht zu machen, die Hände in den | |
| Schoß zu legen und zu sagen: Okay, wir überlassen die Stadt Schwarzen und | |
| Grünen. Aber was würde dadurch besser? | |
| Berlins Juso-Chefin Sinem Tasan-Funke [4][hat in der taz erklärt:] „Eine | |
| CDU-geführte Regierung wäre ein Rückschritt für diese Stadt. Ihr | |
| konservatives Menschenbild ist mit unserem Grundverständnis der SPD als | |
| linke, progressive Volkspartei nicht vereinbar.“ | |
| Ich bin in ganz engem Austausch mit den Jusos. Sie tun das, was sie machen | |
| müssen. Doch mir geht es um unsere Inhalte. Wenn wir die im Augenblick am | |
| besten in dieser Konstellation umsetzen können – und danach sieht es nach | |
| jetzigem Stand in den Verhandlungen aus –, dann ist das jetzt der richtige | |
| Weg. Auch wenn, wie Sie wissen, ich kein Fan einer großen Koalition bin. | |
| Die gar keine große ist, die Mehrheit beträgt acht Stimmen. | |
| Einige in der SPD sagen, wir müssen gegen eine Koalition mit der CDU sein, | |
| das liegt in unserer DNA. Vor dieser Äußerung habe ich großen Respekt. In | |
| meiner DNA liegt aber, das Maximale für die Menschen herauszuholen. Auf der | |
| Suche danach, die Menschen, für die wir eine Verantwortung tragen, | |
| bestmöglich zu unterstützen, scheue ich keine Konflikte. | |
| Im Wahlkampf hatten Sie CDU-Chef Kai Wegner als „einsamen Kai“ verspottet | |
| und [5][als verlängerten Arm der Immobilienlobby bezeichnet.] Wie sitzt es | |
| sich mit ihm an einem Tisch? | |
| Schauen Sie auf das, was wir vereinbaren: Da werden Sie schwarz auf weiß | |
| sehen, dass unsere sozialen Themen auch im Bereich Wohnungspolitik fest | |
| vereinbart worden sind. | |
| Die CDU hat den [6][Mietendeckel weggeklagt…] | |
| … der verfassungsrechtlich auf wackeligen Beinen stand. Ich habe | |
| Erfahrungen mit einer Koalition mit der CDU. Wir haben von 2011 bis 2016 | |
| miteinander regiert. Und nochmal: Ich bin kein Fan einer großen Koalition; | |
| große Koalitionen dürfen immer nur eine Sache auf Zeit sein. Aber wir haben | |
| damals viele wichtige Dinge umsetzen können. Zum Beispiel [7][den Rückkauf | |
| der Wasserbetriebe], die neue Liegenschaftspolitik, die Grund und Boden der | |
| Berlinerinnen und Berliner für kommende Generationen hält und nicht mehr | |
| verkauft, der Einstieg in die gebührenfreie Kita, die Einführung des | |
| Landesmindestlohns und vieles mehr. Wir haben die Menschen entlastet. Wenn | |
| die Menschen mehr Geld im Portemonnaie haben, ist das die beste Medizin | |
| gegen Gentrifizierung. | |
| An der [8][Wucht der Gentrifizierung] hat das bisher noch nichts geändert. | |
| Ich möchte keine Zustände wie in London oder Paris mit einer reichen | |
| Innenstadt, die sich die Mehrzahl der Menschen nicht leisten kann. Berlin | |
| muss bezahlbar bleiben. Dafür entlasten wir die Menschen. | |
| Mit dem inhaltlichen Argumenten überzeugen Sie in Ihrer Partei längst nicht | |
| alle. Beim [9][Mitgliederforum der SPD Mitte] haben am Mittwoch viele | |
| angekündigt, sie würden gar nicht auf den Koalitionsvertrag schauen, weil | |
| es grundsätzlich nicht der CDU gehe. | |
| Ja, ich höre oft in den letzten Tagen, dass sich „Politik gut anfühlen“ | |
| muss. Das allein reicht mir aber nicht, mir geht es darum: Was holt man für | |
| die Menschen raus? Bei wichtigen Fragen diskutiert die SPD seit jeher im | |
| Bund wie im Land intensiv und leidenschaftlich nach der richtigen Politik | |
| für die Menschen, die auf unsere Unterstützung angewiesen sind. Das macht | |
| mich stolz. Diese Debatten bereichern unsere Partei. | |
| In früheren Debatten waren die Fronten nicht so verhärtet wie jetzt. | |
| Das sehe ich anders. | |
| Was sagen Sie zur Kritik, mit den Grünen nicht genug verhandelt zu haben? | |
| Ich empfinde den Vorwurf der Grünen, dass wir jetzt mit der CDU verhandeln, | |
| als falsch – denn die Berliner Grünen hatten längst Verabredungen mit der | |
| CDU getroffen. Und schauen Sie mal in viele andere Bundesländer: Da | |
| regieren die Grünen schon seit langem ganz munter mit der CDU. | |
| Sie haben eben die Diskussionskultur in ihrer Partei gelobt. Machen sie | |
| deswegen keinen baldigen Parteitag in Präsenz? Daran gab es harsche Kritik. | |
| Wir machen einen, am 26. Mai. Das ist längst verabredet. | |
| Was ist dabei Thema? Der Mitgliederentscheid über die Koalition muss ja | |
| nicht noch mal bestätigt werden. | |
| Wir müssen diskutieren, wie die Wahl anders – besser – hätte laufen könn… | |
| Das ist notwendig, diesen Prozess brauchen wir, auch um es beim nächsten | |
| Mal besser zu machen. | |
| Sie selbst leiten in den Koalitionsverhandlungen für die SPD die | |
| Arbeitsgruppe Vielfalt und damit das nach [10][der Namensabfrage nach | |
| Silvester] vielleicht kontroverseste Thema. Vergangene Woche haben 17 | |
| Initiativen in einem offenen Brief vor Rückschritten in diesem Bereich | |
| gewarnt. | |
| Dass ich diese Arbeitsgruppe leite, ist auch ein Signal. Für meine Partei | |
| und für mich ist das Thema eine Haltungsfrage. Es gab gute Debatten in der | |
| Runde; die Ergebnisse, die sich wirklich sehen lassen können, stellen wir | |
| diese Woche vor. Es ist ja kein Geheimnis, dass ich die Aussagen der CDU | |
| nach der Silvesterrandale falsch fand. Ich fand die einfach … | |
| … rassistisch? | |
| Ich glaube, die Aufgabe von Politik ist es, Menschen zusammenzuführen und | |
| nicht zu spalten. | |
| Bisher gibt es keine Entschuldigung von [11][Kai Wegner dafür]. | |
| Es gab ein Eingeständnis, wonach der Weg von Franziska Giffey, das Thema | |
| über einen Jugendgipfel zu bearbeiten, der richtige Weg sei. Es geht um | |
| Bildung, Integration und Teilhabe. | |
| Das reicht Ihnen, nach dieser großen Empörung? | |
| Die Haltung der SPD ist den potenziellen Koalitionspartner klar. Berlin ist | |
| das Zuhause von verschiedenen Menschen, Kulturen, Religionen und | |
| Lebensentwürfen. Diese Vielfalt bereichert Berlin und ist uns willkommen. | |
| Das heißt auch, dass das [12][Kopftuchverbot etwa für Lehrerinnen] fällt? | |
| Wir werden die Regelung der aktuellen Gesetzgebung anpassen. Das heißt, es | |
| werden Frauen mit Kopftuch unterrichten. | |
| Was ist mit dem Wahlrecht auf kommunaler Ebene für nicht EU-Bürger*innen? | |
| Das ist komplizierter, weil wir es als Land nicht allein machen können. Die | |
| Senkung des Wahlalters auf 16 bei Wahlen zum Abgeordnetenhaus können wir | |
| selbst entscheiden. Wir werden Mehrheiten für eine Verfassungsänderung | |
| suchen. So ist das in den Sondierungen mit der CDU verabredet. | |
| Ein anderes derzeit stark diskutiertes Thema ist die Klimapolitik. CDU und | |
| SPD haben dafür ein [13][Sondervermögen beschlossen in Höhe von bis zu 10 | |
| Milliarden Euro.] Gibt es konkrete Ideen, was mit dem Geld passieren soll? | |
| Gibt es – sie werden gerade in einer Unterarbeitsgruppe ausverhandelt. Ganz | |
| unabhängig von dieser möglichen Koalition ist doch klar: All diejenigen, | |
| die derzeit so tun, als gäbe es beim Thema Klima keine Herausforderung, die | |
| über alles hinausgehen muss, was wir bisher hatten, erkennen die Realität | |
| nicht an. Als ich diese 10 Milliarden Euro in den Verhandlungen | |
| angesprochen habe…. | |
| Es war doch eigentlich eine Idee der Linkspartei. | |
| In den Debatten um Rot-Grün-Rot kam das von der Linken, stimmt, wurde aber | |
| von den Grünen vehement abgelehnt. Sie haben gesagt: Das Geld darf nicht | |
| durch Kredite, sondern muss durch Einsparungen zusammenkommen. Aber das | |
| kann ich nicht nachvollziehen, wir brauchen doch jetzt einen großen, ja den | |
| größten Wurf, nachdem sich gezeigt hat, dass während der Pandemie | |
| Investitionen genau der richtige Weg waren. Wir müssen gerade als Land | |
| Berlin ein Vorbild sein, alle anderen Bundesländer werden nachziehen. Davon | |
| bin ich überzeugt. Und die Menschen werden eben genau dann eine | |
| ambitionierte Klimapolitik mittragen und befürworten, wenn wir sie nicht | |
| durch Einsparungen im sozialen Bereich finanzieren. | |
| In der Debatte um den [14][Klima-Volksentscheid] ist die Umsetzbarkeit der | |
| vielen notwendigen Maßnahmen eine große Frage. Viele sagen: Wegen | |
| [15][Fachkräftemangel] und Lieferkettenproblemen klappt das nicht bis 2030. | |
| Und auch zehn Milliarden Euro für den Klimaschutz in den nächsten | |
| dreieinhalb Jahren auszugeben ist eine Herausforderung. | |
| Das weiß ich, ich habe meine [16][Erfahrungen mit der Schulbauoffensive.] | |
| Aber auch da hat sich inzwischen viel getan. Und was nicht ausgegeben wird, | |
| geht ja nicht verloren. Aber natürlich soll das Geld auch wirklich | |
| ausgegeben werden, es gibt ja auch gar keine Alternative. Dieses Geld soll | |
| eine Motivation sein, neue Firmen zu gründen oder weitere Mitarbeiterinnen | |
| einzustellen. Das ist ja auch ein Riesenkonjunkturprogramm des Landes. Wir | |
| müssen uns, sollte die schwarz-rote Koalition zustande kommen, am | |
| Klimaschutz messen lassen, wir müssen klotzen. Und die 10 Milliarden Euro | |
| sind dafür eine realistische Größenordnung. | |
| Das heißt auch eine andere [17][Verkehrspolitik]? | |
| Ja, zum Beispiel die Ladeinfrastruktur ausbauen, das war bisher schwierig. | |
| Eine andere Verkehrspolitik heißt aber nicht, eine Citymaut einzuführen und | |
| damit eine weitere Gentrifizierung anzustoßen, indem man sagt, wir machen | |
| die Stadt noch schöner, aber nur für wenige Berlinerinnen und Berliner. | |
| Wenn man will, dass die Leute ihr Auto stehen lassen, braucht es einen | |
| günstigen Öffentlichen Nahverkehr. Es braucht Anreize. | |
| Das von SPD und CDU schon [18][für Mai verabredete 29-Euro-Ticket] lässt | |
| aber auf sich warten, weil die BVG sagt, sie sei derzeit ausgelastet mit | |
| dem neuen Deutschlandticket. | |
| Ich erwarte, dass man dafür eine schnelle Lösung findet. | |
| Klimaschutz geht ja auch einfach, indem man Sachen nicht macht, etwa | |
| [19][die Verlängerung der A 100 durch Friedrichshain.] | |
| Gegen den Weiterbau gibt es einen [20][klaren Parteitagsbeschluss.] | |
| Was ist [21][mit einer Randbebauung am Tempelhofer Feld?] Es braucht diese | |
| Frischluftschneise, um der Überhitzung der Stadt entgegenzuwirken. | |
| Was die Randbebauung betrifft, bin ich persönlich skeptisch, aber mit | |
| dieser Haltung in meiner Partei in der Minderheit. Es gibt einen | |
| Parteitagsbeschluss, demnach soll es eine behutsame Bebauung am Rand geben. | |
| Bisher ist jenseits dieser Bebauung aber völlig unklar, was dort entstehen | |
| soll: Wie soll denn die Infrastruktur aussehen? Wird es soziale Angebote | |
| geben? Ich würde mir vor allem wünschen, den Ort zu verschönern und kreativ | |
| zu entwickeln. Auch ein respektvoller Umgang mit dem Ergebnis des | |
| Volksbegehrens muss mitgedacht werden. | |
| Ein anderes kontroverses Thema ist die Umsetzung des | |
| [22][Enteignungs-Volksentscheids.] Akzeptiert die CDU die Ergebnisse der | |
| von Rot-Grün-Rot eingesetzten Kommission? | |
| Das ist die Verabredung im Sondierungspapier. | |
| Warum braucht es das verabredete Rahmengesetz? | |
| Das geht weiter als bisher gedacht. Berlin wäre das erste Bundesland mit so | |
| einem Gesetz. | |
| In welchen Bereichen könnte es Anwendung finden? | |
| Dort, wo es um Daseinsvorsorge geht. | |
| Bei Energieunternehmen? | |
| Der Weg einer Rekommunalisierung wie bei Wasser und Strom in öffentlicher | |
| Hand ist auch für Energieunternehmen ein kluger Weg, wobei ich hier die | |
| Beteiligung Privater nicht ausschließe. | |
| Die Koalitionsverhandlungen gehen dem Ende entgegen, da stellt sich die | |
| Frage: Was macht Raed Saleh im neuen Senat? | |
| Ich bin SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzender und mache meine Arbeit gerne. | |
| Was ist ihre Prognose: Werden die Mitglieder am Ende dem Koalitionsvertrag | |
| zustimmen? | |
| Wir sind noch nicht fertig mit den Verhandlungen. Aber wenn die Ergebnisse | |
| am Ende stimmen, werden viele von denen, die noch Bauchschmerzen haben, am | |
| Ende sagen: Das ist der vernünftige Weg. | |
| 26 Mar 2023 | |
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| Bert Schulz | |
| Stefan Alberti | |
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