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# taz.de -- Pro und Contra gebührenfreie Angebote: Nicht mehr gratis für alle?
> Die SPD streitet darüber, ob die Kostenlos-Politik bei Kita oder
> Schulessen unabhängig vom Einkommen wieder abgeschafft werden soll.
Bild: Grundschulkinder beim Mittag – und niemand zahlt
## Ja
Berlin hat über 60 Milliarden Euro Schulden. Im Landeshaushalt sind
demnächst Milliardeneinsparungen nötig. [1][2026 soll das noch dramatischer
werden]. Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt, ganz genau hinzusehen, wofür
das Land Geld ausgibt. Und festzustellen, dass staatliche Zuwendungen seit
über eineinhalb Jahrzehnten zunehmend an Menschen gehen, die gar nicht
danach gerufen haben und sie teils gar nicht brauchen.
Es war gar nicht Raed Saleh, der die ihm nun angelastete Kostenlos-Politik
auf den Weg brachte. Los ging es damit schon, als der damalige
SPD-Regierungschef Klaus Wowereit [2][im Wahlkampf 2006 warb]: „Wir machen
die Kita beitragsfrei.“ Damals fehlte wie heute der Zusatz: „bis
soundsoviel Euro“.
Das lag und liegt nicht daran, dass darauf auf einem Wahlplakat kein Platz
war. Die SPD-Verantwortlichen drückten sich schlicht darum, eine Grenze zu
ziehen, ab wann wer bezahlen müsste. Dabei ist es die Aufgabe von Politik,
Entscheidungen zu treffen. Zudem [3][machte die SPD das Ganze zu einer
Grundfrage:] Kita sei Bildung, die dürfe nichts kosten, sonst stelle man ja
auch den freien Schulbesuch infrage. Der Unterschied ist bloß: Berlin würde
durch Kita-Gebühren nur einen noch vor gar nicht langer Zeit üblichen
Zustand wieder herstellen: Wer nix hat, zahlt nix, wer wenig hat, zahlt
wenig, wer viel hat, viel. Nach dem klassischen Sozialprinzip: Starke
Schultern müssen mehr tragen als schwache.
Mit einer durch die Kita-Beitragsfreiheit und die späteren Beschlüsse zu
BVG-Schülerkarte und Schulessen beförderten und nicht nur von
Bundesfinanzminister Christian Lindner so bezeichneten „Gratismentalität“
soll die SPD-Politik nicht zu tun haben. Das beteuerte Saleh vielfach.
Warum der Staat und vor allem die SPD nicht nur den Bedürftigen und
Wenig-Verdienern hilft, sondern selbst Begüterten Kita, Ticket und Essen
bezahlt, vermochte er dabei nur so zu erklären: Er wollte da nicht
differenzieren, sondern die Spitzenverdiener „über ein gerechteres
Steuersystem abrechnen“. Was aber weder schnell noch auf Berliner
Landesebene durchzusetzen ist.
Selbst wenn Berlin die eingangs erwähnten Milliarden nicht einsparen
müsste, wäre nicht einfach Geld „über“. Da muss man gar nicht mal [4][zum
Schuldenabbau kommen], obwohl dessen Höhe bei wachsenden Zinsen den
Landeshaushalt immens belastet. Egal ob Brückensanierung, Bäder-Unterhalt
oder Obdachlosenhilfe – drängende Projekte gibt es genug.
Wenn den Gratis-Befürwortern sonstige Argumente ausgehen, kommt meist: aber
der Verwaltungsaufwand! Der sei angeblich riesig und es darum letztlich
billiger, undifferenziert an alle zu überweisen – wie bei der
Energiepauschale 2022. So kann man argumentieren. Aber nur, wenn man in der
Politik innerlich kapituliert hat. Stefan Alberti
##
## Nein
Seit anderthalb Jahrzehnten arbeitet Berlin daran, das Grundrecht auf
Bildung für alle Kinder zu verwirklichen – unabhängig vom Geldbeutel der
Eltern. Seit Einführung eines ersten kostenfreien Kita-Jahres 2007 wurden
die Hürden sukzessive abgebaut; vergangenes Jahr kam als bislang letzter
Schritt das dritte Gratis-Hort-Jahr hinzu.
In keinem anderen Politikbereich hat die Landespolitik in der Vergangenheit
so konsequent an der Verwirklichung einer positiven, sozialen Vision
gearbeitet. In puncto kostenfreier Bildung, zu der das Schulmittagessen
genauso gehört wie die Nachmittagsbetreuung, ist Berlin Vorreiter,
bundesweit. So familienfreundlich, so inklusiv, so unbürokratisch geht es
nirgends sonst zu.
Dass nun ausgerechnet aus der SPD selbst, die maßgeblich für diese Politik
verantwortlich ist, die Forderung nach einer partiellen Rückabwicklung
kommt, ist eine Groteske. Sie zeigt, jeder fortschrittlichen
sozialdemokratischen Politik wohnt die Regression inne. Geschliffen werden
könnte der letzte positive Markenkern der hauptstädtischen SPD. Man sieht
schon die Wahlplakate vor dem geistigen Auge: „Kostenloses Schulessen für
alle abschaffen. SPD!“ Eine Partei im Selbstzerstörungsmodus.
Der rechte Parteiflügel, jener, der sich unnötigerweise der CDU als
Juniorpartner an den Hals geworfen hat, begründet den Vorstoß mit dem
angeblichen Streben nach Gerechtigkeit, schließlich sollen ja nur die
Gutverdienenden zur Kasse gebeten werden. Mit jenem Scheinargument hatte
sich auch CDU-Bürgermeister Kai Wegner vor Kurzem kritisch zur allgemeinen
Kitagebührenfreiheit zu Wort gemeldet.
Schon daran sieht man: Jedes Aufweichen der bisherigen Teilhabepolitik –
und sei es nur die Wiedereinführung der Zuzahlung beim Mittagessen für gut
verdienende Eltern – öffnet Tür und Tor. Aus der SPD reicht man den kleinen
Finger, und diejenigen, die überall und dann womöglich auch für alle ein
Preisschild dranhängen wollen, reißen schon am Arm. Eine Politik, die die
Interessen der Mehrheit der Familien ohne hohe Einkommen verteidigt, ist
nicht selbstverständlich in Zeiten, in denen
Bürgergeldempfänger:innen wieder als Sündenböcke für eine verfehlte
– die Reichen schonende – Steuerpolitik herhalten müssen.
Ganz praktisch kommt hinzu: Durch den allgemeinen Grundsatz der
Gebührenfreiheit hat sich Berlin riesiger Verwaltungsaufgaben entledigt.
Keine Einkommensprüfungen, keine Anträge, keine überforderten Bezirksämter.
Will man das alles wieder künstlich reaktivieren, um ein paar Milliönchen
an der falschen Stelle einzunehmen, die dann zum Teil für die Verwaltung
wieder draufgehen? Wer an dieser Schraube dreht, beweist nur eines: Er ist
nicht bereit, Bildung zur – auch finanziellen – Priorität zu machen. Erik
Peter
4 Apr 2024
## LINKS
[1] /SPD-Fraktionsklausur-in-Leipzig/!5988227
[2] /Berliner-SPD-Chef-kritisiert-Ampel/!5873150
[3] /!5283537/
[4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157124/umfrage/schuldenstand…
## AUTOREN
Stefan Alberti
Erik Peter
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