# taz.de -- Debatte um kostenloses Schulmittagessen: Sollen sie etwa Stullen es… | |
> Berlin gibt derzeit über 180 Millionen für das Mittagessen an | |
> Grundschulen aus. Ein Betrag, der angesichts der Haushaltslage | |
> Begehrlichkeiten weckt. | |
Bild: Heute bleibt die Küche kalt: Mit dem Ende der Beitragsfreiheit könnten … | |
Berlin taz | Denkverbote soll es nicht mehr geben, Tabus natürlich auch | |
nicht, und Heiligtümer schon recht gar nicht. Seit Wochen kündigen die | |
Spitzen der schwarz-roten Koalition mit Formulierungen dieser Art an, dass | |
es angesichts der Berliner Haushaltslage demnächst ungemütlich wird. Die | |
Rede ist von mindestens fünf Milliarden Euro, die bis 2026 eingespart | |
werden müssen. [1][Das ist jeder achte Euro des insgesamt rund 80 | |
Milliarden umfassenden aktuellen Doppelhaushalts.] Eine Menge Holz also. | |
Nicht zuletzt führende CDU-Politiker:innen schauen dabei vor allem auf | |
einen Posten: die vor fünf Jahren vom damaligen rot-rot-grünen Senat | |
eingeführte Beitragsfreiheit für das Mittagessen in Grundschulen. Von der | |
profitieren aktuell immerhin 182.000 Schüler:innen. Verpackt wird der | |
Streichvorschlag stets als nettes Gesprächsangebot an die SPD-Fraktion, | |
deren Chef Raed Saleh die kostenlose Schulspeisung maßgeblich vorangebracht | |
hatte und sie bis heute als [2][„sozialdemokratische Errungenschaft“] | |
preist. | |
„Es gibt so ein paar soziale Geschenke auch im Bildungsbereich, über die | |
wir zumindest mal reden müssen“, erklärte in diesem Sinne der Regierende | |
Bürgermeister Kai Wegner (CDU) jüngst [3][in einem Interview mit Table | |
Media]mit Blick auf das Milliardenloch. Um dann auf den Punkt zu kommen: | |
„Ist es gerecht, dass es an allen Schulen ein kostenloses Mittagessen gibt? | |
Ist das der richtige Weg?“ Man wird ja mal fragen dürfen. SPD-Chef Saleh | |
soll nicht amüsiert gewesen sein. | |
Konkret geht es um satte 182 Millionen Euro im laufenden und 184 Millionen | |
Euro im kommenden Jahr, die im aktuellen Doppelhaushalt für die | |
„Beköstigung“ von Klasse eins bis sechs eingeplant sind. Dementsprechend | |
groß sind die Begehrlichkeiten, die Beitragsfreiheit beim Schulmittagessen | |
an der Spree über die Wupper gehen zu lassen. | |
## Vorbild Hamburg? | |
Ihren Anfang haben die jüngsten Diskussionen ausgerechnet in der SPD selbst | |
genommen, und zwar bei den beiden neuen Landesvorsitzenden Martin Hikel und | |
Nicola Böcker-Giannini. Schon [4][im SPD-internen Wahlkampf um die | |
Parteispitze] hatten die beiden gegen die „Umsonststadt“ von Raed Saleh | |
polemisiert. Vor gut einem Monat legten sie noch einmal nach. Das „für alle | |
kostenfreie Schulessen“ führe in Berlin dazu, „dass wir das komplett aus | |
Landesmitteln finanzieren müssen“, erklärte Hikel und verwies dann auf das | |
Beispiel Hamburg. | |
In der Hansestadt bekämen Kinder aus Haushalten mit Sozialhilfebezug | |
ebenfalls ein kostenloses Mittagessen, das werde aber nicht aus dem | |
Landeshaushalt, sondern über die [5][Mittel des Bildungs- und | |
Teilhabepakets (BuT) des Bundes] finanziert, so Hikel. In Berlin sind das | |
rund 30 Prozent aller Schüler:innen. Für die restlichen 70 Prozent gelte | |
dann: „Wer nicht BuT-berechtigt ist, muss sein Schulessen selbst zahlen.“ | |
Auch wenn der Vorstoß der SPD-Vorsitzenden nach taz-Informationen kurz | |
darauf im Landesvorstand abgebügelt wurde, ist zumindest bei Fraktionschef | |
Raed Saleh ein gewisser Grad an Vergnatztheit geblieben. „Das ist doch | |
verrückt, worüber hier diskutiert wird“, sagt Saleh zur taz. Er habe vor | |
allem die Familien im Blick, die jeden Euro dreimal umdrehen müssten, aber | |
nicht BuT-berechtigt sind. | |
Womit Saleh durchaus einen Punkt hat. Denn was heißt das für die Kinder von | |
Alleinerziehenden mit 2.200 Euro netto im Monat, wenn bei einem Preis von | |
derzeit 5,16 Euro pro Mittagsportion über 100 Euro für das Schulessen | |
fällig werden? Woanders sparen oder mit heimischen Stullenpaketen | |
vorliebnehmen? | |
Hinzu komme, so Saleh, der Mehraufwand für die Verwaltung: „In dem Moment, | |
in dem man das System aufkündigt, schafft man ein riesiges | |
Bürokratiemonster.“ Ein Argument, das auch im Haus von Bildungssenatorin | |
Katharina Günther-Wünsch (CDU) gesehen wird. Im Fall einer „gestaffelten | |
Kostenbeteiligungsfreiheit zum Schulmittagessen“ würden zusätzliche | |
„personelle Ressourcen benötigt, welche den möglichen Einsparungen und | |
Entlastungen gegenzurechnen sind“, sagt Günther-Wünschs Sprecherin Susanne | |
Gonswa zur taz. | |
Zudem sei es mitnichten so, dass die BuT-Segnungen den betroffenen Familien | |
automatisch zufließen würden. So müssten die Schüler:innen zunächst in | |
Vorleistung gehen und „selbst einen Kostenbeitrag zum Schulmittagessen | |
zahlen“, eine „teilweise Rückerstattung“ aus Bundesmitteln „erfolgt da… | |
jeweils im folgenden Jahr“. Immerhin, so Gonswa: „Damit würde der | |
Landeshaushalt um diesen Betrag entlastet werden.“ | |
## Caterer drohen mit Personalabbau | |
Geradezu fassungslos auf die Debatte in Berlin reagiert der Verband | |
deutscher Schul- und Kitacaterer. Zumal die Verträge für die kommenden vier | |
Jahre mit den Caterern gerade erst neu abgeschlossen wurden. Dabei sei man | |
davon ausgegangen, dass wie bisher 90 Prozent der Grundschüler:innen am | |
Schulessen teilnehmen, so Landessprecherin Meike Müller. Bei einer | |
Abschaffung der Beitragsfreiheit dürfte die Teilnehmer:innenzahl dem | |
Verband zufolge auf unter 70 Prozent fallen. | |
Unter solchen Bedingungen hätten sich im Zuge des Vergabeprozesses viele | |
Caterer „aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht erst beworben“, sagt Müll… | |
zur taz. Ihre Warnung: „Wenn in Zukunft deutlich weniger Schülerinnen und | |
Schüler am Mittagessen teilnehmen, Umsatz und Gewinn für die Unternehmen | |
also deutlich sinken, werden sie darauf reagieren müssen, vor allem mit | |
Personalabbau.“ | |
Raed Saleh geht dann auch davon aus, dass das Mittagessen die anstehenden | |
Sparverhandlungen ebenso unbeschadet überstehen wird wie [6][die | |
Beitragsfreiheit in den Kitas]. Auch darüber wollten die Kritiker:innen | |
der „Umsonststadt“ immer wieder reden, inklusive der neuen SPD-Chef:innen. | |
Hier dürften „Korrekturen“ am bestehenden System gleichwohl noch | |
schwieriger werden. | |
Zwischen 2007 und 2017 schrittweise eingeführt, hat nicht einmal die | |
Bildungsverwaltung einen Plan, wie viel Geld sich mit einer Rolle rückwärts | |
einsparen ließe. Im Jahr gebe das Land etwa 2,5 Milliarden Euro ins gesamte | |
Berliner Kita-System, so der Senat. Was davon die Beitragsfreiheit und was | |
all die anderen Ausgaben abdeckt, lasse sich aus dem Stand nicht in | |
„allgemeingültigen Zahlen“ ausdrücken. | |
6 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Kuerzungsplaene-in-Berlin/!6024009 | |
[2] /SPD-Streit-um-Gebuehrenfreiheit/!6002463 | |
[3] https://table.media/podcast/table-today/funktioniert-berlin-wieder-herr-weg… | |
[4] /Neue-Doppelspitze-der-Berliner-SPD/!6012676 | |
[5] /Kinderarmut-in-Berlin/!5943402 | |
[6] /Pro-und-Contra-gebuehrenfreie-Angebote/!5999327 | |
## AUTOREN | |
Rainer Rutz | |
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