# taz.de -- Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch: „Den Karren in den Mist … | |
> Berlins Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch wirft der CDU und SPD vor, | |
> mit der Haushaltspolitik keine Rücksicht auf Menschen mit geringem | |
> Einkommen zu nehmen. | |
Bild: „Sehr viel gezielter entlasten, als wir es bisher getan haben“: Betti… | |
taz: Frau Jarasch, fällt es der Ex-Mobilitätssenatorin mit Blick auf die | |
schwarz-rote Verkehrspolitik schwer, sich an die Gepflogenheit zu halten, | |
wonach Ex-Senator:innen sich zur Arbeit ihrer Nachfolger:innen | |
nicht äußern sollten? | |
Bettina Jarasch: Ich finde das grundsätzlich eine gute Gepflogenheit. Aber | |
so viel kann ich sagen: Ich würde Verkehrssenatorin Ute Bonde wünschen, | |
dass die Möchtegern-Verkehrsminister in der CDU-Fraktion sie vielleicht | |
erst mal machen lassen und ihr überhaupt eine Chance geben, ihre eigene | |
Agenda zu entwickeln und ein Stück weit umzusetzen. | |
taz: Sie spielen auf den [1][Vorschlag der CDU-Senatorin] an, den | |
öffentlichen Personennahverkehr auch über höhere Parkgebühren oder | |
Arbeitgeberabgaben zu finanzieren. | |
Jarasch: Ja. Sie ist gerade erst gestartet und hat nur sehr wenig Zeit, um | |
überhaupt etwas zu liefern. Da hat sie sich ein paar innovative Ideen | |
getraut, und sofort wurde sie zurückgepfiffen. So schlägt man seinen | |
eigenen Spitzenfrauen im Senat die Beine weg. Das ist kein guter Stil. | |
taz: Ohne jetzt weiter auf Ihre Nachfolgerin einzugehen: Wie ist denn Ihr | |
Eindruck vom aktuellen Zustand des ÖPNV? | |
Jarasch: Alarmierend. Wir sehen immer mehr Verspätungen, Ausfälle, | |
überfüllte Züge und Busse. Das liegt am Personal- und Fahrzeugmangel. Dabei | |
hatten wir uns in der vorherigen Koalition bewusst auf den Weg gemacht, um | |
das Ruder bei der jahrelang heruntergesparten ÖPNV-Infrastruktur | |
herumzureißen. Wir wollten, dass es mehr Busse, Bahnen und damit dichtere | |
Takte gibt. | |
taz: SPD-Haushälter Torsten Schneider sagt, in den Verkehrsverträgen | |
„steckt eine Milliarde Euro drin, [2][grüne Fantasiepolitik], lauter Fata | |
Morganas“. Das richtet sich auch gegen Sie. Perlt das an Ihnen ab? | |
Jarasch: So redet jemand, der weiß, dass er den Karren richtig tief in den | |
Mist gefahren hat. Beim ÖPNV kürzen heißt nicht einfach, auf ein paar | |
schöne Polster verzichten. Es bedeutet ganz brutal: weniger Wagen für | |
U-Bahn und Tram, weniger Busse, sprich: mehr überfüllte Züge, dünnere | |
Takte, weniger Angebot für die Menschen, die nicht mit dem Auto fahren | |
wollen oder können. Das ist unsozial hoch zehn. Wer braucht den ÖPNV denn | |
am dringendsten? | |
taz: Sagen Sie es mir. | |
Jarasch: Ganz oft Menschen mit geringem Einkommen oder ältere Menschen. | |
Deshalb merkt man Schneider sein schlechtes Gewissen an: Wenn die SPD | |
ausgerechnet bei den Verkehrsverträgen massiv kürzt, bricht sie ihr | |
Versprechen, dass es trotz Einsparungen keinen Sozialabbau geben wird. | |
taz: Um Einsparungen bei bestimmten Dickschiffen im Haushalt wird man aber | |
nicht herumkommen. | |
Jarasch: Wir haben diesen [3][aufgeblähten Haushalt] von Anfang an | |
kritisiert, weil klar war, dass im laufenden Jahr all die schönen | |
Versprechen nicht gehalten werden können. Natürlich gehören Großprojekte | |
auf den Prüfstand. Vor allem die, bei denen absehbar ist, dass in den | |
nächsten Jahren kein Geld da sein wird, um sie zu Ende zu bringen: der | |
Abriss des Jahnstadions oder [4][Straßenprojekte, für die der Bund bereits | |
die Fördergelder gestrichen hat]. | |
taz: Die Koalition keilt zurück, sie hätte von Rot-Grün-Rot einen | |
aufgeblähten Haushalt geerbt. Jetzt müsse man den wieder zurückfahren. | |
Jarasch: Natürlich schreiben die Senatsverwaltungen immer erst mal alles | |
auf, was sie gerne umsetzen würden. Wir sind aber 2021 jeden Titel | |
durchgegangen und haben sofort gestrichen, was nicht zu stemmen war. Das | |
hat sich die aktuelle Regierung nicht getraut und einen völlig überzogenen | |
Haushalt vorgelegt. Das rächt sich jetzt. Zudem haben wir zu unseren | |
Regierungszeiten trotz der Krisen durch Corona und Putins Überfall auf die | |
Ukraine Rücklagen für Notzeiten gebildet. Diese Rücklagen hat Schwarz-Rot | |
nun restlos verpulvert. Bei zukünftigen Krisen steht Berlin also blank da. | |
Dieses Schmierentheater um den Haushalt belastet am Ende vor allem Menschen | |
mit geringem Einkommen oder in prekären Lebenssituationen. | |
taz: Sparpotenzial sehen Teile der Koalition im kostenlosen Mittagessen für | |
Grundschüler:innen. Wie stehen Sie dazu? | |
Jarasch: Wir wollen, dass alle Kinder gutes Essen in der Schule bekommen. | |
Angesichts der Haushaltslage stellt sich jedoch die Frage, [5][weshalb | |
Kinder von Gutverdienern dafür nichts zahlen sollen]. | |
taz: Das heißt, Zustimmung zu den Kürzungsideen? | |
Jarasch: Wir werden in den nächsten Jahren sehr viel gezielter entlasten | |
müssen, als wir es bisher getan haben. Damit die Unterstützung wirklich | |
zuverlässig bei denjenigen ankommt, die sie dringend benötigen. Und das | |
sind gerade diejenigen, bei denen es trotz harter Arbeit oft hinten und | |
vorne nicht reicht. | |
taz: Kommen wir zu Ihrer Partei: Die Grünen sind in Berlin in der letzten | |
Umfrage auf 15 Prozent abgerutscht. Macht Sie das nervös? | |
Jarasch: Die Umfrage interessiert mich wenig. Wichtiger sind mir | |
Wahlergebnisse. Und die zeigen mir, dass wir in Berlin seit der Wahl 2021 | |
stabil geblieben sind. Die Wähler:innen bleiben uns treu, darauf sind | |
wir auch ein bisschen stolz. Denn es sind schwere Zeiten. Was sich | |
allerdings auch in Berlin bemerkbar macht: Die Leute, die uns nicht | |
wählen, können uns massiv nicht mehr ausstehen. Da haben sich harte Fronten | |
gebildet, von denen wir wieder wegkommen müssen. | |
taz: Hat Ihre Partei deshalb jüngst im Rahmen der Konferenz „Jwd adé“ den | |
Blick auf den Stadtrand gerichtet? Ist das der neue Fokus nach der | |
[6][Innenstadt-Außenbezirke-Diskussion] bei der Wahl 2023? | |
Jarasch: Nein. Wir machen Politik für die gesamte Stadt. Das war schon | |
immer unser Anspruch. Das heißt, wir kümmern uns genauso um den Stadtrand | |
und die spezifischen Probleme dort. Die CDU hat aber 2023 Wahlkampf gemacht | |
mit der Behauptung, nur sie würden sich um die Außenbezirke kümmern. Von | |
diesen großspurigen Versprechen für den Stadtrand hat die schwarz-rote | |
Koalition bislang wenig eingelöst. | |
taz: Von welchen Problemen reden wir eigentlich genau? | |
Jarasch: Viele Menschen am Stadtrand fühlen sich abgehängt. Beim ÖPNV haben | |
wir zwar viele gute Verbindungen ins Zentrum. Aber wenn man mit der Bahn | |
von einem Ortsteil in den anderen möchte, muss man oft erst in die | |
Innenstadt fahren und dann wieder raus, weil die Querverbindungen fehlen. | |
Das wollen wir ändern. Schließlich entscheidet sich die Verkehrswende am | |
Stadtrand, nicht in der Innenstadt. Und sie entscheidet sich über den ÖPNV | |
und – das sage ich ausdrücklich – nicht über das Rad. | |
taz: Also auch das wieder eine Verkehrsfrage? | |
Jarasch: Nein, das beginnt schon bei schlichten Alltagsdingen wie der | |
Nahversorgung: die langen Wege zur nächsten Bank, zur Post oder nur zum | |
Bankautomaten, die verödeten Einkaufszentren, fehlende Arztpraxen, keine | |
Orte, um sich zu treffen. | |
taz: Das Land Berlin wird ja keine Einkaufscenter aufkaufen oder | |
massenhaft selbst Bankautomaten betreiben? Was wären denn Ihre Lösungen? | |
Jarasch: Aus Einkaufszentren Orte machen, an denen man auch einen | |
Bürgeramtstermin erledigen kann oder eine Beratungsstelle findet. | |
S-Bahnhöfe mit der DB zusammen wiederbeleben, sodass man da auf dem Heimweg | |
noch rasch einen Liter Milch kaufen oder sein Paket abholen kann. Dafür | |
haben wir ganz praktische Vorschläge entwickelt. | |
taz: Zwischen den Eigenheimen in Kladow und den Plattenbauten in | |
Neu-Hohenschönhausen liegen aber Welten, allein in der Sozialstruktur der | |
Bevölkerung. Ist es zielführend, hier eine Lösungsschablone für alle | |
drüberzulegen? | |
Jarasch: Natürlich nicht, deshalb entwickeln wir die Lösungen ja gemeinsam | |
mit den Menschen vor Ort, die am besten wissen, was sie brauchen. Und klar, | |
auch das Leben am Stadtrand und die Gründe, dort zu wohnen, sind | |
vielfältig. Aber alle haben das Recht darauf, dass ihre Grundversorgung | |
gesichert ist. Und die Probleme in den Plattenbauten in | |
Neu-Hohenschönhausen und im Falkenhagener Feld in Spandau sind womöglich | |
ähnlicher, als Sie das denken. | |
taz: Ihnen ist aber schon bewusst, dass sich zumindest in den | |
Großsiedlungen im Osten der Einsatz bei den Wahlen 2026 ebenso wenig | |
auszahlen wird wie 2021 und 2023? Die Leute wählen hier AfD, inzwischen BSW | |
– und, wie Sie selbst sagen, sie können die Grünen nicht ausstehen. | |
Jarasch: Wir brauchen hier stabile Nerven, und die haben wir. Für uns ist | |
es wichtig, vor Ort zu sein, viel zuzuhören, herauszufinden, was Menschen | |
brauchen, um Veränderungen mitgehen zu können und dann gemeinsam Lösungen | |
für praktische Probleme zu entwickeln. Und ja, das zahlt sich aus, auch | |
heute schon: Trotz des Gegenwinds verzeichnen wir massiven | |
Mitgliederzuwachs – auch in den Ostberliner Bezirken. | |
21 Aug 2024 | |
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[1] https://www.tagesspiegel.de/berlin/city-maut-parkgebuhren-oder-arbeitgebera… | |
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## AUTOREN | |
Rainer Rutz | |
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