# taz.de -- Berlins Grünen-Fraktionschefs: „Nicht die besseren Linken, sonde… | |
> Bettina Jarasch und Werner Graf wollen ach der Abgeordnetenhauswahl 2026 | |
> wieder regieren. Die CDU als Partner schließen sie trotz aller Kritik | |
> nicht aus. | |
Bild: Bettina Jarasch und Werner Graf im Abgeordnetenhaus | |
taz: Frau Jarasch, Herr Graf, die für die Grünen [1][ernüchternde | |
Bundestagswahl] liegt knapp zwei Monate zurück. Ist die Erklärungssuche für | |
Ihre Verluste abgeschlossen? | |
Bettina Jarasch: Für uns ist eines ganz klar: Es braucht Grüne mit einer | |
klaren Haltung, die zu dem stehen, wofür es uns braucht, die nicht weichen | |
und auch nicht rechten Diskursen hinterherlaufen. Das ist aber etwas, was | |
für uns in Berlin eigentlich schon immer galt. Und daran halten wir auch | |
fest. | |
taz: Und was ist die Konsequenz daraus, auch Richtung Abgeordnetenhauswahl | |
2026? | |
Werner Graf: In der Analyse ist man nie fertig, so schnell wie die Welt | |
sich heutzutage ändert. Wir müssen uns daher auf unsere eigenen Stärken | |
besinnen. Das heißt für uns: Wir müssen nicht die besseren Linken sein, | |
sondern die besten Grünen. | |
taz: Das heißt was genau? | |
Jarasch: Natürlich müssen wir auch in der Sozialpolitik etwas anbieten. Das | |
werden wir auch tun. Beim Thema Wohnen und Mieten beispielsweise mit der | |
Lizenz zum Vermieten und unserem Gesetz für bezahlbare Mieten. Aber vor | |
allem müssen wir auf unsere Schwerpunktthemen gehen. Das ist Klimaschutz, | |
das ist die Verkehrswende, das ist die Verteidigung der offenen | |
Gesellschaft und der Demokratie. Da werden wir gebraucht. Da müssen wir | |
Haltung zeigen und da müssen wir die besten Grünen sein. | |
taz: Bei einer Wahlauswertung klang es aber so, als ob der bei der Grünen | |
bundesweit ohnehin schon links eingeordnete Berliner Landesverband noch | |
linker werden müsste, direkt abgeleitet von den Wahlerfolgen der | |
Linkspartei. | |
Graf: Ich bleibe dabei: Wir wollen die besten Grünen werden, und da sind | |
wir uns einig. | |
taz: Es gab nach der Wahl auch Leute, die gesagt haben: Dieser Mitte-Kurs | |
von Robert Habeck, der war schon richtig, wir haben den nur nicht | |
überzeugend rübergebracht. Was halten Sie denn davon? | |
Graf: Ich bin kein Freund davon, zu sagen: Wir müssen jetzt radikal nach | |
links oder müssen mehr in die Mitte. Ich glaube, wir überzeugen dann, wenn | |
wir unsere Themen nach vorne stellen. Der Klimawandel ist das zentrale | |
Problem unserer Zeit, das wir angehen müssen. Das klappt aber nur, wenn wir | |
gleichzeitig dafür sorgen, dass die Menschen mit wenig Geld im Geldbeutel | |
nicht unter die Räder kommen. Gerade jetzt werden wir Grüne mit einem | |
ökosozialen Ansatz so sehr wie nie gebraucht. | |
taz: Nun ist die Linke aber in dem Wählerspektrum erfolgreich gewesen, um | |
das Sie auch warben. Sie sind da also Konkurrenten. Passt es dann, wie | |
bisher im Abgeordnetenhaus weiter gemeinsame Anträge mit der Linksfraktion | |
zu stellen? Müssen Sie sich Richtung 2026 nicht abgrenzen? | |
Jarasch: Als grüne Oppositionsführung schauen wir weniger auf die Linke, | |
sondern wir setzen uns mit einer schwarz-roten Regierung auseinander, die | |
keinen Plan hat, wie es eigentlich mit Berlin weitergehen soll. Das wird ja | |
immer deutlicher. Sie hat keine Antwort auf die Frage, wie das Leben | |
bezahlbar bleiben kann, sie hat außer Rückabwicklung auch keine eigenen | |
Alternativen für eine Verkehrswende entwickelt. Und in Sachen Klimaschutz | |
ist sie ein Totalausfall. Die CDU muss immer mehr ihrer hemdsärmeligen | |
Versprechen aus dem Wahlkampf 2023 wieder einkassieren, während die SPD | |
ihren sozialen Markenkern verliert. | |
taz: Na, die SPD hat bei den Kürzungen im Haushalt [2][ihr Konzept der | |
Gratis-Stadt] etwa bei Schulessen und Kita erfolgreich verteidigt. | |
Graf: Also, ich weiß nicht, ob das wirklich sozial ist, wenn Schwarz-Rot | |
den Preis für das Sozialticket für Bus und Bahn von 9 auf 19 € mehr als | |
verdoppelt, gerade für Menschen, die es am schwersten in dieser Stadt | |
haben. | |
taz: Unter Rot-Rot-Grün und Rot-Grün-Rot [3][kostete das Ticket aber bis | |
Anfang 2023 sechs Jahre lang noch mehr], nämlich 27,50 Euro. | |
Graf: In der Regierung mit Grünen und Linken wurde der Preis des | |
Sozialtickets gesenkt, um den Menschen mit dem wenigsten Geld in der Stadt | |
mehr Mobilität und somit Teilhabe zu ermöglichen. Und von den Kürzungen bei | |
der Caritas, Diakonie, Arbeiterwohlfahrt oder den vielen anderen kleinen | |
sozialen Trägern haben wir noch gar nicht gesprochen. | |
taz: Was heißt das denn nun für die bisherige Kooperation bei Anträgen mit | |
der Linksfraktion? | |
Jarasch: Es gibt Themen, wo es sehr gut ist, wenn die demokratische | |
Opposition zusammenarbeitet, auch um bestimmte Kritikpunkte stärker zu | |
machen. Ansonsten kann ich nur sagen, dass Ihr Eindruck täuscht: Die | |
allermeisten unserer Anträge sind grün pur. | |
taz: Vergangene Woche bei einem kleinen Landesparteitag hieß es mehrfach | |
selbstbewusst: „Wenn wir ab 2026 wieder regieren …“ – mit wem wollen Sie | |
das denn machen? | |
Jarasch: Wir wollen tatsächlich gerne wieder Verantwortung übernehmen und | |
dafür werben wir in der Stadtgesellschaft. Wir wollen wieder regieren, weil | |
wir im Unterschied zu der Koalition, die wir jetzt gerade erleben, einen | |
Plan haben. Weil wir wollen, dass Berlin bezahlbar bleibt. Wir wollen, dass | |
Berlin deutlich grüner wird, damit wir im Klimawandel geschützt sind. Wir | |
wollen, dass man im Straßenverkehr sicher und gut unterwegs ist, genauso | |
wie in der U-Bahn. Und wir stehen dafür, dass Berlin stabil demokratisch | |
bleibt. | |
taz: Ja, aber mit wem all das? Mit der CDU? Oder mit SPD und Linken? | |
Jarasch: Wir haben schon vor einigen Jahren miteinander beschlossen, dass | |
wir uns dafür Optionen erarbeiten wollen. Optionen, Plural, mehrere also. | |
taz: Die Frage ist dann bloß: Wer wird 2026 das prägende Gesicht der | |
Grünen? Wer also Spitzenkandidatin oder Spitzenkandidat? Da sind Sie beide | |
im Gespräch, die Noch-Bundesministerin Lisa Paus und Ex-Finanzsenator | |
Daniel Wesener. | |
Jarasch: Wir haben noch Zeit und werden gemeinsam ein Angebot machen, das | |
am besten zu Berlin und auch zu uns Grünen passt. | |
taz: Unter den vier Genannten sind zwei Männer. Jetzt rein theoretisch: | |
Ginge das überhaupt in einem Landesverband, der bislang immer nur Frauen an | |
der Spitze der Kandidatenliste hatte? | |
Graf: Wir können uns nur wiederholen … | |
taz: Warum so zurückhaltend? Auf der Grünen-Internetseite steht doch schon | |
der „Call for Papers“, der Aufruf, sich mit Ideen fürs Wahlprogramm | |
einzubringen. Warum dann nicht auch ein offener „Call for People“? | |
Jarasch: Da können Werner Graf und ich jetzt im Chor antworten, Herr | |
Alberti: Sie können sicher sein, dass wir das rechtzeitig entscheiden, um | |
Berlin ein passendes grünes Angebot zu machen. Zum richtigen Zeitpunkt. | |
taz: Ein Beschluss zu mehreren Optionen hin oder her: Bei einer | |
Wahl-Nachlese Anfang März war von Offenheit für die Option Schwarz-Grün | |
nicht viel zu spüren, hingegen viel Sympathie, wieder mit SPD und Linken | |
zusammenzugehen. | |
Jarasch: Es gab ja genau genommen in Berlin seit der Wiedervereinigung | |
immer eine Mehrheit für Rot-Grün-Rot, in welcher Kräfteverteilung auch | |
immer. Die Bundestagswahl hat das nur allen erneut ins Gedächtnis gerufen. | |
Wir arbeiten daran, dass wir mehrere Optionen haben. Und dabei bleiben wir | |
auch. | |
taz: Eine Koalition wäre ja sogar aktuell im Abgeordnetenhaus möglich. | |
Graf: Das ist ja 2023 auch nicht an uns gescheitert. Das, was Friedrich | |
Merz Ende Januar gemacht hat, dass er im Bundestag die Brandmauer zwischen | |
der CDU und der AfD eingerissen hat, das ist für uns ein wirklich großes | |
Vergehen an der Demokratie. Das steckt noch wahnsinnig in den Knochen, und | |
dass man in dieser Situation nicht freudig dazu aufruft, mit der CDU | |
zusammenzugehen, das muss jedem verständlich sein. | |
taz: Berlins CDU-Chef Kai Wegner fand das Merz-Manöver doch auch nicht gut. | |
Graf: Ich glaube auch, dass Kai Wegner nicht der beste Freund von Friedrich | |
Merz ist und auch nicht immer Friedrich-Merz-Politik macht. | |
taz: Wenn Sie auf die Finanzlage Berlins schauen oder auf jene Studie, der | |
zufolge 108 Milliarden Euro nötig wären, um die öffentliche Infrastruktur | |
in Ordnung zu bringen: Welches Adjektiv beschreibt dann Ihre Gemütslage? | |
Jarasch: Entschlossen. | |
Graf: Entschlossen | |
taz: Entschlossen? Kein bisschen enttäuscht, frustriert, machtlos? | |
Jarasch: Entschlossen sage ich deshalb, weil es ja Möglichkeiten gibt, über | |
Transaktionskredite, aber auch über andere Einnahmemöglichkeiten, an mehr | |
Geld zu kommen. Und dazu die Gelder, die jetzt vom Bund für Investitionen | |
in die Infrastruktur kommen. Diese Möglichkeiten gibt es, und wir sind fest | |
entschlossen, sie alle zu nutzen. Enttäuscht bin ich nur, weil ich bei | |
Schwarz-Rot den nötigen Plan dafür vermisse. | |
taz: Und Sie haben diesen Plan? | |
Graf: Natürlich ist nicht die komplette Stadt in fünf Jahren fertig | |
saniert. Aber wir müssen es gezielt und schnell angehen. Es ist ein Fehler, | |
die BVG in die Krise zu sparen. Wir brauchen mehr Wagen für die U-Bahn | |
statt neuer Linien auf dem Papier, die nie kommen. Und die Feuerwehr und | |
Polizei braucht sanierte und gute Gebäude statt ein Museum oder Olympische | |
Spiele. Die Luftschlösser von CDU und SPD sind alle geplatzt. Wir brauchen | |
endlich eine seriöse Politik, die die Prioritäten auf das Funktionieren der | |
Stadt setzt. | |
22 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.wahlen-berlin.de/wahlen/BU2025/afspraes/index.html | |
[2] /Triell-um-Berlins-SPD-Vorsitz/!6000313 | |
[3] /Plenardebatte-im-Abgeordnetenhaus/!6035787 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
Innensenatorin Iris Spranger | |
Bettina Jarasch | |
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