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# taz.de -- Kinderarmut in Berlin: „Ein Hotspot für Kinderarmut“
> Dass Sozialprojekte in den Bezirken gestrichen werden sollen, ist der
> falsche Ansatz, sagt Gabriele Schlimper vom Paritätischen
> Wohlfahrtsverband.
Bild: Die Kinderarmut in Berlin ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen
taz: Die Kinderarmut ist in Berlin in den vergangenen Jahren stark
angestiegen, wie dramatisch ist die Situation?
Gabriele Schlimper: Wir reden bei [1][Kinderarmut] oftmals nur über
Geldarmut, aber wir müssen auch über Rechtearmut, also Teilhabearmut, über
Bildungsarmut und Erziehungsarmut reden. Was die Geldarmut betrifft, werden
wir in Berlin nur noch von Bremen überholt. 23,6 Prozent der Kinder, die in
Berlin leben, sind indirekt von Armut betroffen. Das ist viel zu viel. In
Brandenburg sind es beispielsweise nur zehn Prozent. Das heißt nicht, dass
Kinder hier halb verhungert auf der Straße leben, sondern dass ihre Eltern
als armutsgefährdet eingestuft werden. Hier sind Alleinerziehende mit 40
Prozent die größte Risikogruppe, aber auch Transferleistungsbezieher,
Arbeitende oder Eltern mit mehreren Kindern.
Welche Folgen hat das für die Betroffenen?
Viele Dinge, die für andere Kinder selbstverständlich sind, Sportclub,
Pfadfinder, Schwimmen und so weiter, können sie nicht machen. Spätestens
wenn Ferien sind oder auch bei Klassenfahrten und Ausflügen, erleben sie,
dass das mit großem Aufwand für die Eltern verbunden ist oder sie gar nicht
mitfahren können. Das sind auch kleine Dinge. Kinder sind untereinander
nicht immer empathisch, da geht es darum, welche Schuhe hast du an, hast du
einen Laptop zu Hause, hast du das neue iPhone, kannst du dich am
Schulessen beteiligen und so weiter. Einfach mal ins Freibad oder eine
Pizza oder Eis essen gehen wird zum Problem: Man kriegt eine Kugel Eis kaum
noch unter 2 Euro. Wenn Sie [2][Alleinerziehend] mit zwei Kindern in
Teilzeit oder im Transferleistungsbezug sind, müssen Sie sagen: nee, ist
nicht – während alle anderen sich ein Eis holen gehen. Das ist ausgrenzend.
Was muss getan werden?
Wir brauchen endlich eine vernünftige Finanzierung für Kinder. Eine
unabhängige [3][Grundsicherung], die nicht von anderen staatlichen
Leistungen wie Kindergeld oder Wohngeld abgezogen wird.
In Berlin gibt es die Landeskommission Kinder- und Familienarmut, in der
auch der Paritätische Mitglied ist. Was ist das genau?
Die Landeskommission ist ein Versuch, Kinderarmut mehrdimensional zu
betrachten. In der Arbeitsgruppe sitzen unter anderem der Beirat für
Familienfragen, die Landesarmutskonferenz, die Regionaldirektion der
Bundesagentur für Arbeit, die Handelskammer, die Sportjugend und der
Landesbeirat für Menschen mit Behinderung und denken gemeinsam darüber
nach, was sie tun können.
Zum Beispiel?
Etwa bei der Bildungsdurchlässigkeit: Welche Möglichkeiten geben wir den
Kindern oder jungen Menschen, aus ihrer Situation herauszukommen? Der
Ausweg aus Armut liegt in der Bildung, also müssen Schulen ausreichend
ausgestattet sein und Freizeitangebote subventioniert werden. Es braucht
Angebote, um Schulabschlüsse nachzuholen und eine Berufsausbildung
anzugehen. Corona hat die Kluft zwischen armen und reichen Familien noch
größer gemacht, die nächste große Kluft entsteht durch die hohe Inflation.
Hier zu gucken, welche Stärkungs- und Entlastungsstrukturen es gibt, um den
Kindern trotzdem eine Zukunft in dieser Gesellschaft zu geben, das ist
neben der Umverteilung das Wichtigste.
Welche Strukturen?
40 bis 60 Prozent der Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket werden
nicht abgeholt, weil die Leute da nicht durchsteigen. Das kann nicht sein.
Das Prozedere ist viel zu kompliziert und mit vielen Hürden verbunden.
Überall dort, wo wir Beratungsstellen haben und wo es niedrigschwellig
möglich ist, Eltern zu beraten, wird das sehr gut genutzt. Das heißt, wir
brauchen in dieser Stadt eine verlässliche Infrastruktur zur beratenden
Unterstützung von Familien, die wenig Geld haben, um ihnen aufzuzeigen,
welche Möglichkeiten staatlicher Unterstützung es gibt. Dass jetzt die
Mittel für Sozialprojekte in den Bezirken gestrichen werden sollen, ist der
falsche Ansatz. Dann bleiben wir ein Hotspot für Kinderarmut.
11 Jul 2023
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## AUTOREN
Marie Frank
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