# taz.de -- Chaos beim Schulessen: Kinder kommen hungrig heim | |
> Ein neuer Groß-Caterer für Schulen hat Probleme, Essen zu liefern. | |
> Kritik, er habe sich übernommen, weist er zurück: schuld sei das | |
> Vergabeverfahren. | |
Bild: Das hat aber schon geschmeckt: ein Teller in einer Weddinger Schule im Ja… | |
Berlin taz | Der Speisenplan des Humboldt-Gymnasiums in Tegel klingt nicht | |
schlecht: Am Dienstag gibt es „mediterrane Gemüsepfanne mit Kichererbsen, | |
dazu gebackene Ofenkartoffeln und Joghurt-Dip (100 Prozent Bio)“ oder | |
„Kokos-Gemüse-Curry mit Bio-Linsen, Bio-Karotte, Bio-Sellerie und | |
Bio-Brokkoli, dazu Bio-Vollkornreis“. Dazu wird „Handobst“ und „Rohkost… | |
gereicht. Oder auch nicht. | |
Denn Dutzende Berliner Schulen, nicht nur das Humboldt-Gymnasium, haben in | |
der ersten Woche nach den Ferien kein, zu wenig, kaltes oder ungenießbares | |
Mittagessen geliefert bekommen. Schulleiter wurden mit Beschwerden von | |
Eltern überschüttet und schrieben zurück, dass sie in den nächsten Tagen | |
ihren Kindern bitte genügend Brote einpacken sollen, weil die | |
Essensversorgung derzeit nicht gewährleistet sei. | |
Betroffen sind Einrichtungen, die seit neuestem durch den Caterer 40 | |
Seconds beliefert werden. Dieser hat nach eigenen Angaben im aktuellen | |
Vergabeverfahren „das Los“ für 103 Schulen gezogen, was 38.000 bis 40.000 | |
Essen pro Tag bedeute. Dieses enorme Wachstum, im vorigen Schuljahr | |
lieferte 40 Seconds rund 5.000 Essen pro Tag aus, konnte der Caterer | |
offenbar nicht stemmen. | |
## Drohung mit fristloser Kündigung | |
Aus der Politik hagelt es Kritik. Staatssekretär Torsten Kühne (CDU) habe | |
im Gespräch mit dem Caterer „umgehend einen Zeitmaßnahmeplan gefordert, um | |
kurzfristig Abhilfe zu schaffen“, erklärte ein Sprecher der | |
Bildungsverwaltung. Aus den Bezirken heißt es, die Probleme seien | |
„gravierend“, „teilweise extrem“: nicht nur habe Essen gefehlt oder sei | |
Stunden zu spät geliefert worden, auch an Ausgabepersonal habe es gefehlt. | |
Der Neuköllner Bezirksamtssprecher Christian Berg sagte zur taz, „in | |
einzelnen Fällen war auch das gelieferte Essen ungenießbar, es gab Gemüse | |
mit Schimmel, Suppe war wässrig, Essen schmeckte verbrannt, Brot war | |
tiefgekühlt“. | |
Man erwarte in dieser Woche eine spürbare Verbesserung – ansonsten schließe | |
man eine fristlose Kündigung nicht aus, heißt es aus Neukölln sowie aus | |
Steglitz-Zehlendorf. Pankows Schulstadtrat Jörn Pasternack (CDU) ergänzte, | |
es würden „Abmahnungen ausgesprochen sowie Ersatzvornahmen geprüft“. | |
Marzahn-Hellersdorf prüft ebenfalls „rechtliche Schritte“. | |
Das Unternehmen weist den Vorwurf zurück, man habe sich übernommen, über | |
Anwälte ließ Geschäftsführer Thorsten Schermall eine Erklärung verbreiten. | |
Der Tenor: schuld seien Verzögerungen im Vergabeverfahren. Man habe teils | |
erst in den Sommerferien die Zuschläge bekommen „zu einem Zeitpunkt, zu dem | |
die Ansprechpartner in den Schulen und Bezirksämtern sowie das | |
Bestandspersonal urlaubsbedingt nicht erreichbar waren“. Nur dadurch komme | |
es „an vereinzelten Schulen“ zu Verzögerungen bei der Auslieferung, von | |
minderer Qualität des Essens will er gar nichts hören. | |
Dass die Vergabe mit eine Rolle gespielt haben kann bei den Problemen, | |
sieht auch der Schulstadtrat von Marzahn-Hellersdorf, Stefan Bley (CDU). | |
„Die Vergabe wurde aufgrund von Klagen und Fristen relativ spät zugesagt“, | |
sagte er der taz. Sein Pankower Kollege und Parteifreund Pasternack | |
ergänzte, das Vergaberecht sei nicht gemacht für die Art und Weise, wie in | |
Berlin Schulcaterer ausgewählt wurden: nämlich nicht nach dem Preis, | |
sondern über eine „Bewertung von Dritten“, also den Schulen. | |
## Schulen bewerten Speisekarten | |
Diese Bewertung erfolgte dieses Mal nicht mehr wie zuvor über Testessen an | |
den Schulen – diese Methode war von unterlegenen Bewerbern bei der | |
Vergabekammer moniert worden. Dieses Mal mussten Bewerber eine Speisekarte | |
für 20 Tage vorlegen, die die Schulen bewerteten. Dass die Essen 5,17 Euro | |
kosten und die Zutaten Bio-Standards erfüllen sollen, war zudem festgelegt. | |
Ausgeschrieben war die Essenslieferung für 430 Berliner Grundschulen und | |
grundständige Gymnasien. | |
Aber auch diese Auswahlmethode hatte offenbar ihre Tücken: Bei der | |
Vergabekammer sind aktuell 53 „Nachprüfungsverfahren“ durch unterlegene | |
Bieter anhängig. Schon länger kritisieren Schulen, dass sie wegen der | |
Vergaberichtlinien beliebte Caterer nicht einfach behalten dürfen. | |
9 Sep 2024 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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